Die Regierungen in Europa und den USA verhängen eifrig Sanktionen gegen Russland, wollen aber nicht die Folgen tragen. Das wird nicht funktionieren.
© Michael Kappeler / dpaÖlembargo und Gas-Krise: Stell Dir vor es ist Wirtschaftskrieg, und keiner geht hin
In der Kreml-Hierarchie ist Dmitrij Medwedew nur noch Vizechef des Sicherheitsrats, um so eifriger müht sich Russlands früherer Präsident, Wladimir Putin mit antiwestlicher Propaganda zu erfreuen. Auf seinem Telegram-Kanal postete er jüngst die Fotos von Boris Johnson und Mario Draghi und daneben ein großes Fragezeichen, was offenbar bedeuten sollte: »Wer ist der nächste«?
Russlands einstige Reformhoffnung geriert sich schon länger als Moskaus oberster Kriegshetzer, aber in diesem Fall hat er einen Punkt. Fünf Monate nach dem russischen Überfall auf die
Ukraine sitzt Putin offenbar fester im Sattel denn je, dafür macht manche Regierung in den G7-Staaten nicht unbedingt den souveränsten Eindruck, und das gilt nicht nur für die Kabinette in
London und
Rom. Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron sieht sich nach einem glanzlosen Wahlsieg einer Opposition aus putinfreundlichen Rechts- und Linkspopulisten gegenüber. In den
USA stellen sich Joe Bidens Demokraten auf eine Schlappe bei den Kongresswahlen im Herbst ein. Und Bundeskanzler
Olaf Scholz war bei den Wählern auch schon mal beliebter. Putin hat den Westen geeint, so lautet der Befund, aber nicht unbedingt stärker gemacht.
Der Westen führt den Wirtschaftskrieg nicht mit der notwendigen Ehrlichkeit
Ursache ist nicht zuletzt der Wirtschaftskrieg, von dem sich kaum behaupten lässt, dass er nach Plan verläuft. Sechs Sanktionspakete hat die Anti-Kreml-Koalition inzwischen auf den Weg gebracht, und wenn die Konjunkturforscher recht behalten, wird die beispiellose Kette von Handelsschranken und Technologiesperren Russland schon im laufenden Jahr in eine Rezession stürzen.
Nur: Putins Fähigkeit, Krieg zu führen, haben die Maßnahmen bislang kaum beeinträchtigt, weil die steigenden Energiepreise zugleich die Staatskasse füllen. Umso größer sind die Kollateralschäden im Westen, wo der Konflikt zu historisch hohen Inflations- bei gleichzeitig sinkenden Wachstumsraten geführt hat, weshalb eine wachsende Zahl von Ökonomen mit einer Rezession rechnet, zumindest in Europa. Ist es denkbar, so lautet inzwischen die Frage, dass die Sanktionen ihr Ziel verfehlen?
Das wäre eine voreilige Schlussfolgerung, weil die meisten Strafmaßnahmen langfristig wirken, und es ein Gebot westlicher Selbstachtung ist, den Handel mit dem Kriegsherrn im Kreml auf ein Minimum zu beschränken. Unübersehbar aber ist, dass der Westen seine Sanktionspolitik gegen den Kreml nicht mit der notwendigen Geduld, Entschlossenheit und Ehrlichkeit führt. Wirtschaftskrieg bedeutet, dem Gegner zu schaden, in dem man sich selbst schadet. Wer über Sanktionen redet, darf über die Kosten nicht schweigen. Sie können nicht weggeredet, sondern bestenfalls möglichst gerecht verteilt werden.
Das ist die Logik des ökonomischen Konflikts, der sich vor allem die Europäer derzeit freilich mit allen nur erdenklichen Winkelzügen zu entziehen versuchen. Frei nach der pazifistischen Formel: Stell Dir vor es ist Wirtschaftskrieg, und keiner geht hin.
Weil die Ökonomie der Ukraine im Zuge der russischen Invasion eingebrochen ist, braucht die Regierung in Kiew dringend Geld, das nach Lage der Dinge nur aus dem Westen kommen kann. Doch wenn die europäischen Regierungschefs auf ihren gut ausgeleuchteten Bahnreisen nach Kiew vor die Kameras treten, reden sie viel über den weit entfernten EU-Beitritt des Landes, aber nur wenig über die nötigen Finanzmittel für den nahenden Herbst.
Bei der Konferenz der G7-Finanzminister stellten die USA sieben Milliarden Euro für die Ukraine bereit, die Deutschen lediglich eine Millarde Euro. Und von den neun Milliarden Euro, die Brüssel im Frühjahr der Regierung Selenskyj versprochen hat, ist gerade mal eine Milliarde bewilligt. Dabei müssen sich die Europäer noch auf deutlich höhere Zahlungen einstellen, wie der zuständige EU-Haushaltskommissar Johannes Hahn diese Woche im SPIEGEL vorgerechnet hat. Machen die Regierungschefs hingegen im selben Stil weiter wie bisher, geht der Ukraine wahrscheinlich eher das Geld als die Munition aus.
Wie Europa auf den Anstieg der Energiepreise reagieren sollte, ist unter Experten ebenfalls wenig umstritten. Die Regierungen sollten bedürftigen und gering verdienenden Haushalten unter die Arme greifen, aber möglichst nicht die Preise mit staatlichen Milliarden drosseln, um den Anreiz zum Sparen zu erhalten. So würden die unvermeidlichen Sanktionslasten den gut und besser verdienenden Bürgern auferlegt, die Einbußen am ehesten verkraften können.
»Liebe Regierung, bitte finanziere meinen Wahlkampf«
Doch davon halten viele europäische Regierungschefs wenig, schon gar nicht der in Bedrängnis geratene französische Präsident Emmanuel Macron. Er hat seinen Landsleuten gerade ein umfassendes Paket sogenannter Kaufkrafthilfen versprochen, dass die Spritpreise dauerhaft deckeln und möglichst allen Franzosen Treibstoffkosten wie vor dem Ukrainekonflikt sichern soll. So hat es sein Wirtschaftsminister Bruno Le Maire jüngst allen Ernstes versprochen. Dass so etwas unbezahlbar ist und nur »die gefährliche Illusion einer unbegrenzten und kostenlosen französischen Staatsverschuldung« nährt, wie es der französische Notenbankchef François Villeroy de Galhau ausgedrückt hat, ist dem Mann im Élysée gleichgültig. Schließlich gilt es, neue Proteste der Gelbwesten abzuwenden.
So ist es derzeit an vielen Stellen in der europäischen Politik. Die Regierenden heften sich gelb-blaue Ukraine-Bändchen ans Revers, aber sie verschließen die Ohren, wenn die Rede auf die nötigen Finanzhilfen kommt. Sie lassen sich für strenge Russland-Sanktionen feiern – und schauen betreten weg, wenn geklärt werden muss, wer dafür aufkommen soll. Sie fordern die Zeitenwende und hoffen insgeheim, dass alles wieder so wird wie vor dem 24. Februar.
Dabei zeigen Umfragen, dass die Bürgerinnen und Bürger sehr wohl bereit sind, zugunsten der Ukraine auf Wohlstand zu verzichten. Nur müssen die Kosten nachvollziehbar und gerecht verteilt sein. Wladimir Putin dagegen hält die Demokratien für schwach und dekadent, und es gibt offensichtlich manche im Westen, die ihren Bürgern ebenfalls nicht allzu viel zutrauen. Politiker wie Markus Söder zum Beispiel, der bayerische Ministerpräsident.
Der Mann hat offenbar bemerkt, dass die bayerischen Landtagswahlen im nächsten Jahr zu einem Zeitpunkt stattfinden könnten, zu dem die Wähler noch immer unter dem Schock ihrer letzten Gasrechnung stehen. Und so hat er am Wochenende gefordert, dass die Berliner Regierung gleichzeitig einen staatlich finanzierten Tankrabatt und Steuersenkungen beschließen soll. Genauso hätte die Forderung lauten können: »Liebe Bundesregierung, finanziere meinen Wahlkampf!«
Das ist einerseits ein nachvollziehbarer Wunsch für einen Politiker, dessen Umfragewerte gerade im Keller sind. Andererseits aber der falsche Ansatz in einem Wirtschaftskrieg.