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Mehr als 100.000  

Zahl der Asylanträge in Deutschland steigt wieder

Seit 2016 ist die Zahl der Erstanträge von Asylbewerbern stetig gesunken, vor allem 2020 kamen wegen Corona nur wenige Menschen. Nun steigt die Zahl wieder. Vor allem eine Gruppe verzeichnet einen erheblichen Zuwachs. 

Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist in diesem Jahr wieder angestiegen. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in seiner Statistik ausweist, nahm die Behörde bis Ende September 100.278 Erstanträge entgegen. Das sind 35,2 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres, das allerdings stark von der Corona-Pandemie, den geschlossenen Grenzen und der weitgehenden Einstellung des Flugverkehrs geprägt war.

Von 2016 bis 2020 waren die Zahlen stetig gesunken. Als Erstes hatte die "Welt am Sonntag" über die Statistik berichtet. Von den Erstantragstellern waren etwa 19,5 Prozent Kinder im Alter von unter einem Jahr, die in Deutschland geboren wurden. Die Zahl der Folgeanträge stieg nach der Übersicht des Bundesamtes um 162 Prozent auf 31 454. Damit nahm das Bundesamt von Januar bis September insgesamt 131.732 Asylanträge entgegen (+ 52,9 Prozent).

Die meisten kommen aus Syrien

Die meisten Asylbewerber, die erstmals um Schutz nachsuchten, kamen auch in diesem Jahr aus SyrienAfghanistan und Irak. 40.472 Erstanträge stammten von Menschen aus Syrien (+ 57,1 Prozent), 8.531 von Schutzsuchenden aus dem Irak (+ 22,2 Prozent). Besonders stark legte die Zahl der Antragsteller aus Afghanistan zu, insgesamt registrierte das Bamf bis Ende September 15.045 Erstanträge (+ 138 Prozent).

In Afghanistan haben im August die militant-islamistischen Taliban die Macht übernommen. Die Lage galt aber auch vorher schon als äußerst instabil. Im gesamten Jahr 2020 hatte das Bundesamt 9.901 Erstanträge auf Asyl von Afghanen verzeichnet. Die Zahl ist deutlich geringer als etwa im Jahr 2016, als mehr als 127.000 Anträge von Afghanen eingegangen waren, wie aus der Statistik des Bundesamtes hervorgeht.

EU-weite Steigerung

Auch die EU-Asylbehörde (Easo) verzeichnet einen Anstieg. Die Zahl der Asylbewerber habe fast wieder das Niveau aus der Zeit vor der Corona-Pandemie erreicht. Allein im August hätten die EU-Staaten rund 56.000 internationale Schutzgesuche registriert, sagte Easo-Direktorin Nina Gregori den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Sonntag.

Der Easo-Chefin zufolge ist der August der dritte Monat mit einer deutlich gestiegenen Zahl an Asylanträgen. Grund dafür seien vor allem ein Höchststand bei afghanischen Bewerbern. Allein von afghanischen Staatsangehörigen sei im August eine Rekordzahl von 10.000 Asylanträgen in der EU gestellt worden, das entspreche einer Steigerung um 38 Prozent gegenüber dem Vormonat.

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Wie Deutschland und die EU die Belarus-Route kappen wollen

Die Lage in Belarus spitzt sich weiter zu: Über Polen fliehen Tausende Menschen nach Deutschland. Wie kann sich die Situation bessern? Was plant Seehofer? Ein Überblick.

Tausende Menschen aus dem Irak, Syrien und anderen Krisengebieten sind seit dem Sommer über Belarus und Polen unerlaubt nach Deutschland gekommen. An diesem Mittwoch will Innenminister Horst Seehofer (CSU) im Bundeskabinett Gegenmaßnahmen besprechen. Einfache Lösungen sind nicht in Sicht. Denn Hintergrund der neuen Fluchtroute ist ein komplizierter geopolitischer Konflikt.

Die Europäische Union hatte Strafmaßnahmen gegen Belarus verhängt, weil Machthaber Alexander Lukaschenko im Frühjahr ein Flugzeug zur Routenänderung zwang und einen Blogger aus der Maschine holte. Im Gegenzug kündigte Lukaschenko an, Migranten auf dem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten. Tatsächlich betätige sich Lukaschenko nun als "Chef eines staatlichen Schleuserrings", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas diese Woche.

Wie viele unerlaubt Einreisende kommen über die Belarus-Route?

Mehr als 5.000 unerlaubt Eingereiste hat die Bundespolizei dieses Jahr auf der Belarus-Route registriert. Bis Ende Juli kamen nur 26 Menschen über Belarus und Polen unerlaubt nach Deutschland. Im August waren es schon 474, im September nach jüngsten Angaben der Bundespolizei 1.903.

Bis zum 17. Oktober kamen weitere rund 3.000 unerlaubt eingereiste Personen an der deutsch-polnischen Grenze hinzu, die meisten wohl ebenfalls über die Belarus-Route. Die Kurve ging also steil nach oben. Jüngste Zahlen aus Brandenburg – wo die meisten der Menschen ankommen – könnten auf ein Abflachen hindeuten: Voriges Wochenende wurden 288 Menschen im Grenzgebiet aufgegriffen, eine Woche vorher noch 392. Ob das ein Trend ist, bleibt offen.

Wie sieht die Situation an Polens Grenze zu Belarus aus?

Fakt ist, dass Polen sowie Lettland und Litauen versuchen, die EU-Außengrenze nach Belarus dichtzumachen. Die Länder bauen Grenzzäune, Polen plant auch eine dauerhafte Befestigung. Der dortige Grenzschutz registrierte allein seit Anfang Oktober rund 10.000 Versuche eines illegalen Übertritts an der Grenze zu Belarus – nach 6.000 im September. Viele Migranten werden an der Grenze abgewiesen, was nach internationalem Recht legal ist.

Illegal sind hingegen sogenannte Push-Backs – wenn Menschen bereits EU-Gebiet erreicht haben und eigentlich das Recht hätten, einen Asylantrag zu stellen. Auch Push-Backs werden den polnischen Behörden vorgehalten. Migranten berichteten der polnischen Presse, sie seien nach der Rückkehr nach Belarus von dortigen Uniformierten verprügelt und wieder zurück Richtung Polen getrieben worden. Die genaue Lage ist unklar, weil Polen im Grenzgebiet den Ausnahmezustand verhängt hat. In jedem Fall schaffen es trotz allem Tausende über die EU-Außengrenzen und Polen nach Deutschland.

Ist die Lage mit 2015 oder 2016 vergleichbar?

Die Zahlen sind viel niedriger als damals. Für 2015 bilanzierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 476.649 Erst- und Folgeanträge um Asyl. 2016 waren es allein 722.370 Erstanträge. 2021 meldete das Bamf bis Ende September 100.278 Erstanträge. Allerdings waren das 35,2 Prozent mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahrs. Das wird zum Teil damit erklärt, dass 2020 wegen Corona weniger Menschen kamen. Aber es gibt eben auch die Zunahme auf der Belarus-Route und anderen Wegen. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) sagt, er befürchte, "dass sich da etwas entwickeln könnte". 2015 seien "Frühindikatoren" nicht genug beachtet worden. Das solle sich nicht wiederholen. Die Politik wird leise nervös und versucht gegenzusteuern – national, international und in der EU.

Was plant Seehofer?

Bundesinnenminister Seehofer hat sich bereits an seinen polnischen Amtskollegen Mariusz Kaminski gewandt. Er schlug gemeinsame Streifen deutscher und polnischer Grenzschützer vor, und zwar vorwiegend auf polnischer Seite. Dies sei eine Maßnahme "unterhalb der Schwelle einer vorübergehenden Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen". Das klingt ein bisschen wie eine unterschwellige Drohung, denn genau über diese im Schengenraum eigentlich nicht vorgesehenen Grenzkontrollen wird in Deutschland diskutiert. Die hätten aber praktische Nachteile für beide Seiten, etwa Staus und Behinderungen im Warenverkehr, zuletzt gesehen in der Corona-Krise.

Lassen sich die Zahlen so reduzieren?

Unerlaubte Einreisen von Asylbewerbern nach Deutschland würden deutsch-polnische Streifen wohl nicht verhindern, sondern höchstens reduzieren. Es wäre keine flächendeckende Überwachung – was aber auch bei stationären Grenzkontrollen schwierig wäre. Die gemeinsamen Patrouillen könnten helfen, dass mehr Schutzsuchende in Polen registriert werden. Dann wäre Polen in den meisten Fällen auch für das Asylverfahren zuständig. Das könnte, so eine Überlegung, abschreckend wirken. Denn jene, die sich auf den Weg über Belarus machen, wollen meist nicht in Polen bleiben, sondern nach Deutschland oder in andere westeuropäische Länder.

Was tut die EU, um die Route zu kappen?

Maas und die übrigen EU-Außenminister berieten Anfang der Woche über neue Strafmaßnahmen. "Wir sind nicht länger bereit zuzusehen, dass es auch Unternehmen gibt wie Fluggesellschaften, die damit auch noch Geld verdienen", sagte Maas über die Belarus-Route. Die EU-Kommission verhandelt zudem mit Ländern, aus denen die Migranten kommen oder die auf ihrer Route liegen. Erfolg hatte sie nach eigenen Angaben im Irak: Es gebe keine Flüge mehr von Bagdad nach Minsk, sagte Anfang Oktober Migrationskommissarin Ylva Johansson. Die EU-Staaten sind sich einig, die Außengrenzen stärker zu schützen. Eine gemeinsame Linie zur Aufnahme und Verteilung von Migranten und Asylsuchenden finden sie jedoch seit Jahren nicht.

Was hat Lukaschenko vor?

Der Machthaber bestreitet jede Verantwortung. Klar ist: Belarus lässt Bürger aus 76 Ländern ohne Visum oder zumindest ohne größere Einschränkungen einreisen. Wie viele Menschen das nutzen, dazu gibt es keine offizielle Statistik. Doch deuten sich auch für Lukaschenko Schwierigkeiten an wegen der vielen Eingereisten, die zeitweise oder ganz in Belarus festsitzen. "Es gibt bereits genug Migranten in Minsk, die ständig in Einkaufszentren oder Innenhöfen sitzen", sagte Experte Jegor Lebedok dem Nachrichtenportal zerkalo.io und warnte sogar: "Die Gefahr von Ausschreitungen wächst." Im Grenzgebiet zu Polen sollen 15.000 Menschen im Wartestand sein.

Nun wird spekuliert, dass Lukaschenko selbst die Zahl der Einreisenden begrenzen will – vor allem mit Blick auf den nahenden Winter. Der Reiseveranstalter Anex Tour teilte mit, dass Menschen aus Afghanistan, Ägypten, dem Iran, Jemen, Nigeria, Pakistan und Syrien künftig nur mit gültigem Visum nach Belarus fliegen können. Zuvor war es möglich, ein Visum nach Ankunft am Flughafen in Minsk zu erhalten.

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Polen: Aufgerüstet und abgeschoben

Belarus schickt weiter Migranten an die EU-Grenzen zu Polen und Litauen - und gibt ihnen Metallschneider und Tränengas mit.

Aufgerüstet und abgeschoben

Die Flüchtlingskrise an den EU-Grenzen zu Polen und Litauen spitzt sich weiter zu. Polens Grenzschutz informierte am Wochenende über gewaltsame Versuche von Migranten, von Belarus aus die Grenze zu überqueren. Auch wurde über den zunehmenden Einsatz belarussischer Einheiten und die Vorbereitung zum Bau eines Winterlagers auf belarussischer Seite berichtet. Migranten und Flüchtlinge seien zudem mit Metallschneidern oder Tränengas ausgerüstet worden, um möglicherweise eine breitere Erstürmung der Grenze zu ermöglichen. Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erklärte, man diskutiere mit Litauen und Lettland, den Beistand der Nato nach Artikel 4 des Nato-Vertrages anzurufen.

Auch polnische Menschenrechtler schildern belarussische Versuche, Migranten zur Gewaltanwendung gegenüber polnischen Beamten zu nötigen. Belarussische Oppositionelle berichten zudem über weitere Transporte von Migranten aus der belarussischen Hauptstadt Minsk an die Grenze.

Polens Grenzschutz meldete am Sonntag, allein am Vortag habe es 223 Versuche gegeben, die Grenze illegal zu überqueren. 77 Mal seien Verordnungen zum Verlassen polnischen Territoriums ausgesprochen worden, im Klartext: Flüchtlinge, denen es gelungen war, die Grenze zu überqueren, wurden in Pushbacks auf belarussisches Gebiet zurückgeschoben. Diese Praxis ist nach internationalem Recht verboten, wurde in Polen aber mit einem am 26. Oktober in Kraft getretenen Gesetz legalisiert.

Polnische Einheiten wurden mit Lasern und Stroboskoplichtern geblendet

Einen dramatischen Durchbruchversuch soll es bereits in der Nacht zum Samstag gegeben haben: Rund 100 Migranten und Flüchtlinge hätten versucht, die Grenze illegal zu überqueren, heißt es von polnischer Seite. Belarussische Einheiten hätten ihnen geholfen, die Grenzzäune zu durchschneiden und polnische Einheiten mit Lasern und Stroboskoplichtern geblendet. Auf Twitter wurden Videoaufnahmen veröffentlicht, die die Aktion zeigen sollen. Die Migranten hätten bei dem Durchbruchversuch auch Tränengas eingesetzt, das ihnen die Belarussen zur Verfügung gestellt hätten.

Das aus 14 polnischen Menschenrechtsgruppen bestehende Hilfsnetzwerk Granica arbeitet direkt hinter dem Sperrgebiet und hat mit Hunderten Migranten gesprochen, denen zunächst die Überwindung der Grenze gelang. Granica bestätigte am Sonntag, es erhalte "immer mehr beunruhigende Informationen über Versuche, Migranten zur Anwendung von Gewalt gegenüber polnischen Beamten zu nötigen. Die Migranten lehnen die Teilnahme an derlei Provokationen ab".

Eine polnische Grenzschutzsprecherin schätzte die Zahl der am Grenzdorf Kuźnica auf belarussischer Seite ausharrenden Flüchtlinge auf mittlerweile 1000. Tausende weitere Menschen warteten an anderen Stellen der Grenze. Litauens Grenzschutz berichtete am Samstag über etwa 70 Migranten, die versucht hätten, die Grenze zu Litauen zu überqueren: Sie hätten litauischen Beamten berichtet, belarussische Einheiten hätten sie von der polnischen Grenze in Militärlastwagen ins Grenzgebiet zu Litauen gebracht.

Das bisher provisorische Lager der Migranten wird winterfest gemacht

Dem belarussischen Ex-Diplomaten Pawel Latuschka zufolge soll etwa im Grenzort Brest das größte Hotel der Stadt, das Intourist, voll mit Migranten belegt sein. Der Internetinfodienst Nexta TV veröffentlichte Bilder, die den belarussischen Journalisten zufolge Flüchtlinge in Minsk zeigen, die am Sonntag in Busse geladen worden seien, um sie weiter an die Grenze zu bringen.

Dort bereiten sich Grenzschutz und Armee von Belarus offenbar auf eine lange Fortdauer der Grenzkrise vor. Der belarussische Journalist Tadeusz Giczan veröffentlichte Bilder, die ihm zufolge zeigen, wie belarussische Soldaten und Feuerwehrleute bei Kuźnica am Samstag beginnen, das bisher provisorische Lager der Migranten auszubauen. Diktator Lukaschenko habe "befohlen, einen Stromgenerator und Militärzelte zu liefern, um sich auf den Winter vorzubereiten". Das polnische Innenministerium bestätigte den Bau und fügte hinzu, Lastwagen brächten Baumaterial zur Grenze.

Polen seinerseits ist seit dem 12. November Gastgeber von zehn Bauspezialisten der Royal Engineers der englischen Armee. Die beim Städtchen Orzysz im Nordosten Polens zusammen mit US-Truppen untergebrachten britischen Ingenieure sollen "erkunden, wie wir angesichts der fortwährenden Situation an der Grenze Ingenieursunterstützung leisten können", erklärte das britische Verteidigungsministerium.

Journalisten sollen ab Ende November wieder ins Grenzgebiet reisen dürfen

Zivilen Helfern, Journalisten und internationalen Beobachtern ist der Zugang zum Grenzgebiet in Polen verboten. Der zugrundeliegende Ausnahmezustand läuft Ende November aus und soll Innenminister Mariusz Kamiński durch ein Grenzschutzgesetz ersetzt werden, das "de facto das verlängert, was es heute gibt", so der Minister am Samstag im Radiosender RMF FM. Das Parlament solle schon am Dienstag über den Gesetzentwurf beraten. Der Entwurf sieht dem Minister zufolge vor, dass zumindest einige polnische Journalisten ab Ende November wieder ins Grenzgebiet reisen dürfen, allerdings nur nach individueller Genehmigung durch den Grenzschutz. "Alle Sender und Redaktionen, die eine allpolnische Reichweite haben, werden diese Möglichkeiten wahrnehmen können."

Für die meisten Migranten sind die Umstände angesichts der selbst tagsüber oft nur knapp über dem Gefrierpunkt liegenden Temperaturen dramatisch. Polens Behörden gaben am Samstag bekannt, an der Grenze die Leiche eines jungen Syrers gefunden zu haben. Der belarussische Oppositionelle Franak Viacorka forderte die Vereinten Nationen auf, "eine humanitäre Mission nach Belarus zu schicken, bevor die Krise zu einer echten Katastrophe wird".

Dem polnischen Hilfsnetzwerk Granica zufolge informiert das UN-Flüchtlingshilfswerk Migranten in Belarus bereits, dass sie vor Ort einen Asylantrag stellen oder freiwillig nach Hause zurückkehren können. Von belarussischer Seite finde indes "eine professionelle Desinformationskampagne" statt, so Granica: Belarussen verteilten Formulare, die suggerieren, dass Migranten die Möglichkeit hätten, sich in Polen oder Deutschland niederzulassen. Das Hilfswerk fordert von Polens Regierung "eine humanitäre Brücke", um die in der Herbstkälte ausharrenden Flüchtlinge aufzunehmen - dies sei "die einzige Möglichkeit, um die Gewalt zu deeskalieren".

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Keine Aufnahme von 2000 Flüchtlingen – Bundesregierung weist Lukaschenkos Forderung zurück

Die Bundesregierung hat die Forderung des belarussischen Staatschefs Alexander Lukaschenko zur Aufnahme von 2000 an der Grenze zu Polen festsitzenden Migranten zurückgewiesen. Dies sei keine „für Deutschland oder die EU akzeptable Lösung“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Zuvor hatte Lukaschenko laut der staatlichen Nachrichtenagentur Belta kritisiert, dass die EU Gespräche über die Aufnahme der Flüchtlinge verweigere.

Die Bundesregierung und die EU werfen Lukaschenko vor, als Vergeltung für Sanktionen absichtlich Migranten an die Grenzen der EU-Staaten Lettland, Litauen und Polen zu schleusen. Im belarussisch-polnischen Grenzgebiet sitzen derzeit tausende Menschen vor allem aus dem Nahen Osten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt fest. Etwa 2000 wurden von den belarussischen Behörden in einem Logistikzentrum in der Nähe der Grenze untergebracht.

„Entsetzliche humanitäre Situation“

Lukaschenko wies den Vorwurf der Schleusung am Montag erneut zurück. Im Gegenzug warf er der EU Wortbruch vor. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela „Merkel hat mir versprochen, dass sie dieses Problem auf EU-Ebene prüfen werde“, behauptete der belarussische Präsident, der in der vergangenen Woche zweimal mit Merkel telefoniert hatte. „Aber sie tun es nicht.“ Mit Blick auf die 2000 Migranten in der Lagerhalle sagte Lukaschenko laut Belta: „Wir müssen von den Deutschen fordern, dass sie sie aufnehmen“.

In der vergangenen Woche hatte die belarussische Führung unter Verweis auf Merkel von einem „humanitären Korridor nach Deutschland“ gesprochen. Seibert sagte nun, Merkel habe mit Lukaschenko telefoniert, „weil es eine entsetzliche humanitäre Situation entlang der belarussisch-polnischen Grenze“ gebe. „Und weil natürlich immer der Versuch gemacht werden muss, im Interesse der Menschen, die dort in sehr, sehr schwierigen Umständen ausharren, Lösungen zu finden.“

Die belarussische Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja hat Angela Merkel für ihre Gespräche mit Lukaschenko kritisiert. „Aus Sicht des belarussischen Volkes wirkte das sehr seltsam“, sagte Tichanowskaja am Montag in Wien nach einer Konferenz zur Unterstützung der verfolgten Zivilgesellschaft in ihrem Land. Auch wenn es in den Telefonaten mit Minsk um die humanitäre Lage der Migranten an der belarussischen Grenze gegangen sei, dürfe Lukaschenko nicht durch diplomatischen Dialog legitimiert werden, betonte die Oppositionelle. Sie forderte erneut, den Druck auf Lukaschenko hochzuhalten und sich für die Freilassung politischer Gefangener einzusetzen.

Der geschäftsführende Außenminister Heiko Maas (SPD) nahm virtuell an der hybriden Konferenz teil, die von der österreichischen Regierung organisiert wurde. „Die innenpolitische Situation in Belarus ist so schlimm wie noch nie“, sagte Maas. Deshalb müsse jetzt die Exil-Opposition geeint bleiben und aus dem Ausland unterstützt werden. Außerdem müsse der Druck auf Lukaschenko aufrechterhalten werden, sagte Maas und verwies auf das fünfte Sanktionspaket der EU, das derzeit noch ausgearbeitet wird.

Merkel habe in der vergangenen Woche auch mit dem Chef des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Filippo Grandi, und dem Chef der UN-Migrationsorganisation IOM, António Vitorino, gesprochen. Die Bundesregierung bemühe sich darum, für diese Organisationen „Zugänge zu schaffen, damit sie bei der humanitären Versorgung der Migranten entlang der Grenze helfen können“. Sie sollten aber auch tätig werden können, „wenn es um die sichere Rückführung in die Heimatländer geht“, sagte Seibert.

Eine Gruppe von rund 150 Migranten versuchte nach Angaben des polnischen Grenzschutzes, von Belarus aus die Grenzsperren zu überwinden und illegal in die EU zu gelangen. Der Vorfall habe sich nachts in der Nähe des Ortes Dubicze Cerkiewne ereignet, teilte die Behörde am Montag auf Twitter mit. „Der Angriff auf die polnische Grenze wurde von den belarussischen Sicherheitskräften beaufsichtigt.“ Da Polen keine Journalisten in das Gebiet lässt, lassen sich die Angaben nicht überprüfen.

Heißer Tee, Kekse, Joghurt und Quark

Polens Präsident Andrzej Duda sagte dem Magazin „Sieci“, Lukaschenko richte seine Aktion möglicherweise deshalb auf Polen, „weil wir die Grenze hart verteidigen, und dem Regime in Minsk etwas daran liegt, eine physische Auseinandersetzung mit dem Westen zu zeigen“.

In Belarus lief an einer Notunterkunft in Brusgi an der Grenze zu Polen am Morgen die Versorgung der Migranten wieder an. Bilder der Staatsagentur Belta zeigten, wie Soldaten heißen Tee, Kekse, Joghurt und Quark verteilten.

Schätzungsweise 2000 Menschen nutzen die Lagerhalle als provisorische Schlafstätte. Unklar ist, wie es dauerhaft mit den Migranten weitergeht. Derzeit halten sich Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO in Belarus auf. Sie wollten klären, wie die WHO in der Krise helfen könne. Nach Behördenangaben wurden bereits rund 100 Migranten in Krankenhäuser gebracht, darunter auch Menschen mit einer Lungenentzündung. Groß ist die Sorge vor einem Corona-Ausbruch in der Notunterkunft.

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Zahl der Schleusungen an Bayerns Grenzen nimmt deutlich zu

Die bayerischen Grenzpolizeien verzeichnen im Jahr 2021 einen deutlichen Anstieg der illegalen Migration. Die Zahl der Fälle von Schleusungskriminalität habe gegenüber 2020 um 45 Prozent zugenommen, die der gewerbs- und bandenmäßigen Schleusungen sogar um 80 Prozent, teilte das Polizeipräsidium Niederbayern in Straubing am Dienstag mit. Fast dreimal so häufig wie 2020 hätten Beamte der Grenz- oder Bundespolizei Migranten aufgegriffen, die in Behältnissen von Lastern oder Transportern versteckt waren, hieß es.

An der bayerischen Südgrenze zu Österreich hätten Landes- und Bundespolizei zwischen Januar und September 2021 rund 8000 illegale Migranten aufgegriffen. An der Ostgrenze zu Österreich und Tschechien seien es im selben Zeitraum 1600 Menschen gewesen.

Zwischen dem 15. und 28. November führten die bayerischen Grenzpolizeien den Angaben zufolge einen sogenannten Konzepteinsatz gegen illegale Migration und Schleusungen durch. Dabei seien unter anderem Drohnen und ein sogenanntes Herzschlagdetektionsgerät der tschechischen Polizei zum Einsatz gekommen, hieß es. Dieses könne Menschen erkennen, die in Behältnissen versteckt seien. Die Drohnen wurden vor allem zur Überwachung des Zufahrtsverkehrs vor der Kontrollstelle eingesetzt.

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INTERVIEWCDU-Favorit Friedrich Merz  

Ampel sorgt für "ungezügelte Einwanderung in Sozialsysteme"

Schafft er es im dritten Versuch? Friedrich Merz ist zuversichtlich, endlich CDU-Chef zu werden. Mit seinem Kandidaten für den Job des Generalsekretärs Mario Czaja attackiert er die Ampelkoalition – vor allem für ihre Vorhaben in der Migrationspolitik.

Herr Merz, wie oft kann man sich eigentlich für den gleichen Job bewerben?

Friedrich Merz: Im normalen Leben einmal, in der Politik vielleicht zweimal, in der CDU unter den aktuellen, besonderen Umständen maximal dreimal.

Das heißt: Die CDU lässt sich derzeit weder mit den Maßstäben des normalen Lebens noch mit denen der Politik beurteilen?

Merz: Wir befinden uns im Augenblick im kollektiven Ausnahmezustand.

Ist es wirklich so schlimm?

Merz: Die Niederlage bei der Bundestagswahl war hart, die Umstände, unter denen wir verloren haben, waren noch härter. Das war der Tiefpunkt. Das Gute daran ist: Es geht inzwischen wieder aufwärts. Die Stimmung in der Partei ist besser als die Umfragen, und selbst die Umfragen werden langsam wieder besser.

 

Wenn es dieses Mal für Sie nicht klappt, werden Sie es definitiv nicht ein viertes Mal versuchen, oder?

Merz: Ich kandidiere erneut für den CDU-Vorsitz, weil es ein Votum der Mitglieder gibt und erst dann ein Parteitag entscheidet. Das Ergebnis wird für mich eine endgültige Entscheidung sein. So oder so.

Nach Ihrer Niederlage gegen Armin Laschet im Januar haben Sie sich selbst als Wirtschaftsminister empfohlen. Auf welches Amt schielen Sie dieses Mal, wenn es schiefgeht?

Merz: Geschielt habe ich noch nie auf ein Amt. Ich konzentriere mich jetzt voll und ganz auf den Parteivorsitz.

Und was machen Sie, Herr Czaja, wenn es nicht klappt, Generalsekretär unter Friedrich Merz zu werden?

Mario Czaja: Ich habe bislang nur in Teams kandidiert, die gewonnen haben ...

... irgendwann ist immer das erste Mal.

Czaja: Im Ernst: Friedrich Merz und unser Team sind ein großes Integrationsangebot an die CDU – und wir erfahren viel Zustimmung. Entscheidend ist, dass die Basis nun das Wort hat und sich dann alle hinter der neuen Führung versammeln.

Aber Sie werden doch unabhängig vom Ausgang in Zukunft eine prominentere Rolle spielen.

Czaja: Es mag pathetisch klingen, aber es geht nicht um mich als Person.

Das sagen alle Politiker.

Czaja: Aber ich meine das sehr ernst. Nicht viele haben es noch vor einigen Monaten für möglich gehalten, dass ich meinen Wahlkreis in Ost-Berlin nach 30 Jahren der Linken abnehme und direkt gewinne. Dies war nur im Team möglich. Dass ich nun auch darauf aufbauend meinen Beitrag zur Erneuerung der CDU leisten darf, ist eine große Wertschätzung unserer Arbeit, aber auch eine große Verantwortung. Wir sind überzeugt, die Union wird als Volkspartei zwingend gebraucht. Dafür lohnt es sich zu kämpfen.

Der 66-jährige Friedrich Merz kandidiert derzeit zum dritten Mal für den CDU-Vorsitz. Zuletzt unterlag der ehemalige Vorsitzende der Unionsfraktion im Januar Armin Laschet. Sollte Merz dieses Mal gewinnen, will er den 46 Jahre alten Mario Czaja zu seinem Generalsekretär machen. Der frühere Berliner Senator für Gesundheit und Soziales sitzt seit Oktober im Bundestag.

Herr Merz, Sie haben bei Ihrer Kandidatur erklärt, soziale Gerechtigkeit sei ein wichtiges Thema. Wie sind Sie denn plötzlich darauf gekommen?

Merz: Ich habe dazu bereits in der Vergangenheit häufiger etwas gesagt und geschrieben, häufiger, als die Medien es mitbekommen haben. Wahrscheinlich auch, weil ich in der veröffentlichten Meinung ganz gern in bestimmte Schubladen gesteckt werde. Nun habe ich diesen Aspekt nochmals deutlich betont, weil eine nüchterne Analyse des Bundestagswahlergebnisses zeigt, dass wir beim Thema "Soziale Gerechtigkeit" große Defizite hatten.

Das heißt, Sie sind dem CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann näher als FDP-Chef Christian Lindner?

Merz: Karl-Josef Laumann und ich sind politisch schon immer sehr eng beieinander gewesen.

Herr Czaja, was hat Friedrich Merz, was seine internen Konkurrenten Norbert Röttgen und Helge Braun nicht haben?

Merz: Einen besonders guten Generalsekretär, das kann er jetzt nur nicht selbst sagen.

Czaja: Ich will andere Kandidaten gar nicht bewerten. Mit Friedrich Merz gelingt eine Versöhnung mit und in der Partei.

Man könnte auch auf die Idee kommen, Friedrich Merz hätte dem inneren Frieden der CDU mehr gedient, wenn er auf eine erneute Kandidatur verzichtet hätte.

Czaja: Das sehe ich ganz anders – das Gegenteil ist der Fall. Er bringt viel Erfahrung mit, die Union auch in schwierigen Zeiten erfolgreich zu führen. Er vereint die vielfältigen Positionen und Flügel der CDU.

Merz: Ich habe darüber nachgedacht, bin aber trotzdem zu meiner Entscheidung gekommen. Mein Gefühl sagt mir, dass ich großen Rückhalt an der Basis habe und mir deshalb die Befriedung der Partei gelingen kann.

Norbert Röttgen ist der Weltmännische, Braun der Merkel-Vertraute – und Sie also der Friedensengel?

Merz: Diese Kategorisierungen fallen mir immer schwer. Mir ist etwas anderes wichtig: Ich bringe in dieses Amt nicht nur Erfahrungen aus der Bundes- und Europapolitik mit. Nach 20 Jahren in der Politik war ich 12 Jahre wieder im Beruf – und bin nun zurückgekehrt. Damit bin ich ja leider so etwas wie ein Solitär in der deutschen Parteienlandschaft. Ich würde mir wünschen, dass es solche Wechsel öfter gibt.

Herr Czaja, Ihr jüngerer Bruder ist zur FDP abgewandert. Können Sie denn überhaupt jemanden von der CDU überzeugen, wenn das nicht mal in der eigenen Familie gelingt?

Merz: Jede Familie hat ihr "schwarzes" Schaf – auch wenn es in diesem Fall gelb ist!

Czaja: Es schadet doch nicht, wenn Menschen sich unterschiedlich engagieren. Mein Bruder ist seit Langem mit Herz und Verstand Liberaler. Ich bin mir aber sicher: Würde er in meinem Wahlkreis wohnen, hätte er mich mit der Erststimme bestimmt gewählt.

Sie sind in der CDU ja eher ein Parteilinker ...

Czaja: ... nein! Ich stehe genauso in der Mitte der Partei wie Friedrich Merz.

Trotzdem sind wir neugierig, welche Breite der Volkspartei CDU Sie beide abbilden. Bitte vervollständigen Sie dafür ein paar Sätze: Die größte Ungerechtigkeit in Deutschland besteht in ...

Merz: ... den schlechten Bildungschancen von Kindern aus bildungsfernen Familien.

Czaja: Da stimme ich voll und ganz zu.

Die von der Ampel vereinbarte Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ist ...

Merz: ... in der Summe berechtigt, im Verfahren äußerst zweifelhaft.

Czaja: Die Politik sollte nicht mit Lohnhöhen Wahlkampf machen. Wenn sie sich in die Tarifautonomie einmischt, schwächt das vor allem auch die wichtige Rolle der Gewerkschaften.

Die Erbschaftsteuer sollte ...

Czaja: ... nicht erhöht werden. Weil ich generell nichts davon halte, dass der Staat weitere Steuern erhöht.

Merz: Das Problem in Deutschland ist, dass viele Erbschaften Personengesellschaften betreffen – und sich bei diesen Unternehmen Privat- und Firmenvermögen nicht trennen lassen. Jede noch so kleine Änderung bei der Erbschaftsteuer kann deshalb in hohem Maße Arbeitsplätze gefährden.

Dass Deutschland zugleich aus der Atom- und der Kohlekraft aussteigt, ist ...

Merz: ... ein ziemliches Abenteuer. Und zumindest in dieser Reihenfolge falsch.

Czaja: Die Klimapolitik der Ampelkoalition gibt weder eine belastbare Antwort auf die zukünftige Versorgungssicherheit in unserem Land noch auf die massiv steigenden Energiekosten.

Eine schärfere gesetzliche Quote für mehr Frauen in Chefpositionen ...

Merz: ... sollte es nicht geben, weil Quoten sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft immer nur die zweitbeste Lösung sind.

Czaja: Das sehe ich ähnlich. Wir brauchen vor allem eine viel bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Eine Quote kann nur in Ausnahmefällen helfen.

Dass die Ampel Einwanderung erleichtern wird, ist ...

Czaja: ... so keine vernünftige Option. Die falschen Anreize, die SPD, Grüne und FDP setzen wollen, führen nicht zu der qualifizierten Einwanderung, die wir dringend benötigen ...

Merz: ... sondern werden wieder eine ungezügelte Einwanderung in unsere Sozialsysteme bewirken. Das ist das völlig falsche Signal.

Das klingt, als wäre das Ihre größte Kritik am Koalitionsvertrag.

Czaja: Ja, die Ampelpläne sind weder gut für den Arbeitsmarkt noch für den sozialen Frieden in unserem Land.

Merz: Ich habe an Koalitionsverträge noch nie besonders hohe intellektuelle Ansprüche gestellt. Aber dieses Werk zeichnet sich in der Tat dadurch aus, dass es sich um ein unstrukturiertes Wunschkonzert ohne Preisschilder handelt. Die schönen Pläne dürften im Regierungsalltag relativ schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden.

Gestern wurde Olaf Scholz zum Kanzler gewählt. Ist das eigentlich jenes Ende der Ära Merkel, das Sie herbeigesehnt haben?

Merz: Ich habe in den letzten drei Jahren oft genug befürchtet, dass die Union nach der Bundestagswahl 2021 in der Opposition landet. Sie können mir glauben: Ich hätte sehr gern unrecht gehabt.

 

Wenn man es positiv drehen wollte, könnte man sagen: Die Wahlniederlage ist für die Union heilsam. Immerhin wissen Sie jetzt, dass es nicht egal ist, wer als Kanzlerkandidat antritt und ob es ein attraktives Programm gibt.

Merz: Wir sind bei der Wahl mit knapp über 24 Prozent hart aufgeschlagen, aber wir haben überlebt. Und in jeder Niederlage steckt auch eine Chance. Wir werden jetzt die Gelegenheit nutzen, unsere politischen Antworten weiterzuentwickeln. Denn wir müssen nicht mehr auf einen Koalitionspartner Rücksicht nehmen und können wieder sagen, was wir für richtig halten.

Czaja: In der Vergangenheit hat die CDU in der Koalition häufig den Kompromiss vorweggenommen und es versäumt zu erklären, welche Ausgangsposition ursprünglich bei uns bestand.

Was sind denn die wichtigsten inhaltlichen und organisatorischen Entscheidungen, die Sie treffen, sofern Sie gewählt werden?

Merz: Organisatorisch müssen wir unsere Parteizentrale rasch neu aufstellen. Sie arbeitet noch in Strukturen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Deshalb waren wir ja auch nicht wirklich kampagnenfähig. Inhaltlich werden wir uns schnellstmöglich wieder an die Erneuerung des Grundsatzprogramms machen.

Vielleicht eilt es gar nicht so. Die Ampel hat angekündigt, sie wolle mehr als eine Wahlperiode regieren.

Merz: Das entscheiden bei uns ja zum Glück allein die Wähler. Wir wollen rasch wieder regierungsfähig sein. Denn eine Opposition ist nur dann wirklich gut, wenn sie jederzeit die Regierung übernehmen kann.

Freuen Sie sich schon darauf, im Frühjahr Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus als Oppositionsführer abzulösen?

Merz: Ich wäre dankbar und würde mich wirklich sehr darüber freuen, wenn ich die Zustimmung einer Mehrheit der CDU-Mitglieder für meine Wahl zum Vorsitzenden bekäme.

Was nicht ausschließt, dass Herr Brinkhaus bald seinen Posten räumen muss.

Merz: Darüber mache ich mir gerade überhaupt keine Gedanken.

Dann wollen wir abschließend noch über etwas anderes spekulieren: Spätestens mit Ihrer dritten Kandidatur sind Sie so etwas wie ein popkulturelles Phänomen. In Teilen der Bevölkerung stoßen Sie aber immer noch auf viel Abneigung. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Merz: Um in Ihrem Sprachgebrauch zu bleiben: Wahrscheinlich ist eine gewisse Polarisierung für popkulturelle Phänomene normal.

Aber es gibt auch viele prominente Vertreter in Ihrer Partei, die sich offen gegen Sie als CDU-Chef aussprechen – etwa der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther. Wie wollen Sie so hartnäckige Kritiker integrieren?

Merz: Solche Wortmeldungen habe ich zuletzt nicht mehr gehört. Im Gegenteil. Außerdem bin ich sicher, dass es mir nach meiner Wahl gelingen wird, meine Kritiker einzubinden.

Aber es ist okay, wenn sich sogenannte Parteifreunde explizit gegen Sie aussprechen?
Merz: In einer demokratischen Partei gibt es Meinungsfreiheit, und die darf man auch gegenüber handelnden Personen ausüben!

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Deutschland nimmt 25.000 Afghanen aus EU-Kontingent auf

15 EU-Mitgliedstaaten haben sich in Brüssel zur Aufnahme von 40.000 afghanischen Flüchtlingen bereit erklärt. Deutschland nimmt dabei mit 25.000 Afghanen den Großteil der Menschen auf, wie die Nachrichtenagentur AFP erfuhr.
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Migration: So viele Asylanträge wie seit 2017 nicht mehr

Die meisten Anträge kamen von Schutzsuchenden aus Syrien und Afghanistan. Über etwa 108 000 der 190 800 eingegangenen Anträge hat das Bundesamt noch nicht entschieden.

So viele Asylanträge wie seit 2017 nicht mehr

In Deutschland sind im vergangenen Jahr so viele Asylanträge gestellt worden wie seit 2017 nicht mehr. Wie aus Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hervorgeht, nahm die Behörde 2021 etwa 190 800 Asylanträge entgegen. Die Zahlen liegen der Deutschen Presse-Agentur vor.

Die Gründe für die gestiegene Zahl der Asylanträge sind vielfältig: der anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, die Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan und die Migrationsroute über Belarus gehören dazu. Syrien führte erneut die Liste der Hauptherkunftsländer von Asylbewerbern im vergangenen Jahr an. Mehr als 70 000 Anträge betrafen laut Bamf-Statistik Menschen aus dem arabischen Land.

Zugenommen hat den Angaben zufolge die Zahl der Schutzsuchenden aus Afghanistan, das inzwischen wieder von den militant-islamistischen Taliban regiert wird. Mehr als 31 000 Afghanen stellten im vergangenen Jahr einen Asylantrag. Die ehemaligen Ortskräfte der Bundeswehr und anderer deutscher Institutionen hatten vorab eine Aufnahmezusage erhalten und müssen daher kein Asyl beantragen. Das gilt auch für ihre Familienangehörigen sowie für Menschenrechtler und andere Menschen aus Afghanistan, denen die Bundesregierung aufgrund ihrer Tätigkeit eine Aufnahme zugesichert hat.

Deutlich zugenommen hat laut Statistik die Zahl der Menschen aus Nordmazedonien, die beim Bamf vorstellig wurden. Im vergangenen Jahr registrierte das Bundesamt mehr als 4500 Asylanträge von Menschen aus dem Westbalkan-Staat. Insgesamt verzeichnete die Behörde einen hohen Anteil von Folgeanträgen von Menschen aus dem Westbalkan, die zuvor bereits ausgereist waren. Bei Antragstellern aus dem Kosovo registrierte das Bamf allerdings einen Rückgang.

Vergleich mit Asylzahlen des Jahres 2020 ist wenig aussagekräftig

Etwa 148 000 Anträge betrafen Ausländer, die erstmalig in Deutschland einen Asylantrag stellten - dies ist der höchste Stand an Erstanträgen seit 2018. Etwa 17,5 Prozent der Erstanträge wurden eingereicht für Kinder im Alter von unter einem Jahr, die in Deutschland geboren wurden. Das Bundesinnenministerium wies darauf hin, dass ein Vergleich mit den Asylzahlen des Jahres 2020 aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie wenig aussagekräftig sei. 2020 waren in Deutschland etwa 122 000 Asylanträge gestellt worden. 2017 hatten über 222 600 Menschen Schutz beantragt.

Über etwa 108 000 Anträge hatte das Bundesamt Ende 2021 noch nicht entschieden, und damit über knapp doppelt so viele wie am Ende des Vorjahres. Das ist laut Innenministerium vor allem "auf die anhaltende Sekundärmigration innerhalb der EU" zurückzuführen sowie auf die Tatsache, dass Entscheidungen zu Afghanistan im Spätsommer und Herbst zeitweilig wegen der veränderten Lage im Herkunftsland zurückgestellt worden waren. Im vergangenen Jahr wurden 21,4 Prozent aller Asylanträge abgelehnt. Anderweitig erledigt haben sich 36,7 Prozent der Anträge: etwa durch eine Zuweisung in ein anderes EU-Land nach dem sogenannten Dublin-Verfahren oder weil der Antrag zurückgezogen wurde.

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Koalition der Willigen geplant  

Union kritisiert Asylpläne: "Keine neuen Einladungen"

Innenministerin Faeser will die Asylpolitik auf europäischer Ebene neu aufstellen. Die Union hält von den Plänen nichts – und verlangt deutliche "Stoppsignale" an Geflüchtete.

Die Union hat die Ankündigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kritisiert, in der EU-Flüchtlingsfrage gemeinsam mit einigen anderen Ländern eine "Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten" zu schmieden.

"Oberste Priorität für eine deutsche Innenministerin muss jetzt sein, klare Stoppsignale zu senden und keine neuen Einladungen zu verteilen", sagte der CDU-Innenexperte Christoph de Vries der "Bild"-Zeitung vom Montag. Deutschland habe "viele Jahre die größten humanitären Lasten in Europa getragen".

CSU: Mehr Zusammenarbeit, statt Spaltung

Faeser hatte am Freitag gesagt, die Lage etwa an der Grenze zu Belarus zeige, dass die EU "ein effizientes und krisenfestes Asylsystem" brauche. Deutschland könne sich vorstellen, "auf dem Weg zu einem gemeinsamen funktionierenden EU-Asylsystem mit einer Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten voranzugehen".

"Mit Alleingängen einiger weniger Staaten lässt sich das Problem der Migration nicht lösen", sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber "Bild". Faeser solle "mehr Energie auf das Zusammenarbeiten in Europa aufwenden als auf das Spalten Europas."

"Eine Koalition der Willigen ist der einzige Ausweg"

Die EU-Asylreform ist seit Jahren blockiert. Länder wie Ungarn oder Polen lehnen eine Verteilung ankommender Flüchtlinge auf alle EU-Staaten kategorisch ab. Pläne für eine "Koalition der Willigen" waren auch von Faesers Vorgängern Horst Seehofer (CSU) und Thomas de Maizière (CDU) in unterschiedlichen Varianten unterstützt worden – konnten die Blockade aber nicht aufbrechen.

Unterstützung für derartige Pläne gibt es aber weiter auch bei den Grünen. "Eine Koalition der Willigen ist da der einzige Ausweg", sagte der Vorsitzende des EU-Ausschusses im Bundestag, Anton Hofreiter, der Nachrichtenagentur AFP. Er sehe "momentan nicht, dass wir mit Mitgliedstaaten wie Ungarn oder Polen zu einem gemeinsamen Ergebnis in dieser Frage kommen können". Hofreiter verwies auch darauf, dass "eine ganze Reihe Städte und Kommunen", bereit sei, "Geflüchtete aufzunehmen".

 

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Scharfe Töne in der deutschen Migrationsdebatte

Um das Thema Migration ist in Deutschland neuer Streit ausgebrochen. Die Pläne der «Ampel», das Zuwanderungsrecht ganz neu aufzustellen und Deutschland nun auch rechtlich zu dem Einwanderungsland zu machen, das es faktisch längst ist, werden nun unter dem Aspekt des «Wie» diskutiert. Dass eine neue Migrationspolitik nötig ist, darüber herrscht weitgehend Konsens. Doch auf welche Weise das geschehen soll, ist heftig umstritten. Die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser hat erklärt, mit den europäischen Nachbarstaaten eine «Koalition der aufnahmebereiten Mitgliedstaaten» schmieden zu wollen. «Wir sind bereit, voranzugehen», twitterte sie. Wer niemanden aufnehmen wolle, solle Ausgleichszahlungen leisten. Darauf hagelte es Kritik nicht nur erwartbar von der AfD, sondern auch von Unionspolitikern, die einen ähnlich scharfen Ton anschlugen wie die AfD.
«Das derzeitige Asylsystem ist dysfunktional und gleicht einer Lotterie», teilte der AfD-Vize Tino Chrupalla mit. «Finanzielle Fehlanreize und unterlassene Abschiebungen führen zu illegaler Migration, Schleuserkriminalität und zahlreichen Todesopfern im Mittelmeer.» Noch drastischer klang der christlichsoziale EVP-Abgeordnete Christian Doleschal: «Das wird Europa auf Dauer zerstören.» Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries forderte, «klare Stoppsignale zu senden und keine neuen Einladungen zu verteilen». Deutschland habe viele Jahre die «grössten humanitären Lasten» in Europa getragen und sehe sich nun weiter steigendem Migrationsdruck ausgesetzt: «Dies hat zu gesellschaftlichen Verwerfungen in unserem Land geführt, an deren Wiederholung kein verantwortungsbewusster Politiker ein Interesse haben kann.»

Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, stellte zudem klar, dass keiner der europäischen Nachbarn zum Mitmachen bereit sei. Das hätten vergangene Debatten gezeigt. Faesers Amtsvorgänger Horst Seehofer hatte 2019 einen ähnlichen Vorstoss gemacht, um die in Griechenland angekommenen Bootsmigranten europaweit zu verteilen, was jedoch scheiterte, da niemand zur Aufnahme bereit war. Mit Mühe erklärten sich 2020 zehn EU-Länder zur Aufnahme von 400 Menschen bereit – im griechischen Lager Moria befanden sich Tausende.

Der Zugang per Asyl ist einfacher

Die Ausgangslage in Deutschland ist wie folgt: Es ist leicht, per Asylantrag ins Land zu kommen, und wer dies geschafft hat, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit bleiben, da die meisten Herkunftsländer nicht bei Ausschaffungen kooperieren. Zudem werden Asylbewerber vom Staat finanziert. Weniger leicht ist es, als Arbeitsmigrant einzuwandern, denn die Hürden sind viel höher, und der Zuwanderer muss für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommen. Wenig überraschend, dass die meisten den Weg über das Asylverfahren wählen.

Bundeskanzler Olaf Scholz beschrieb den Ist-Zustand am vergangenen Mittwoch im Parlament so: «Es gibt eine ziemlich gute Möglichkeit für Zuwanderung nach Deutschland, wenn man einen Arbeitsvertrag erhält oder in Aussicht hat.» Weitere Möglichkeiten sollten geschaffen werden.

Die Wirtschaft klagt dabei im Chor über den Mangel an Fachkräften. Diese drängen aber gerade nicht nach Deutschland, sondern es kommen stattdessen mehrheitlich ungebildete junge Männer, die Asyl beantragen, obwohl sie keine Flüchtlinge sind und daher in der Regel abgelehnt werden. Um den im Land befindlichen abgelehnten Asylbewerbern Chancen zu geben, soll der «Spurwechsel» geschaffen werden, also die Möglichkeit, trotzdem in Deutschland zu bleiben und zu arbeiten. Dies werde «illegaler Migration Tür und Tor öffnen», befürchtet de Vries.

Höchster Stand von Asylanträgen seit 2017

Dass in der Debatte stets von «Flüchtlingen» die Rede ist, ist ebenfalls nicht sachgerecht, denn nur der kleinere Teil ist tatsächlich vor Verfolgung geflohen. Die Anerkennungsquote beim echten Asyl liegt bei 0,8 Prozent. Insgesamt werden rund 40 Prozent der Antragsteller unter Schutz gestellt, etwa nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder durch subsidiären Schutz. Mit anderen Worten: Weit über die Hälfte der Antragsteller kann die Eigenschaft «Flüchtling» nicht für sich in Anspruch nehmen.

Auch in der Bundestagsdebatte am vergangenen Donnerstag wurde um das Thema gestritten. Die Grünen-Abgeordnete Filiz Polat begrüsste, dass «endlich Schluss» sei mit der «Ausgrenzungsrhetorik» und dass die «Einbürgerung für alle unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit» komme. Union und AfD konnten sich über diese Aussichten hingegen gar nicht freuen. Die Zahl der Asylanträge in Deutschland ist vergangenes Jahr laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit 190 800 auf den höchsten Stand seit 2017 gestiegen.

Auch aus Nordrhein-Westfalen waren scharfe Töne zu hören. Der liberale Integrationsminister Joachim Stamp verwies stolz darauf, dass kein anderes Bundesland so konsequent gegen Straftäter und Gefährder vorgehe wie NRW. Die Union sei orientierungslos. Sie habe «erst Chaos hinterlassen und jetzt nur platte Parolen von so seltsamen Figuren wie Amthor», twitterte Stamp. Der CDU-Abgeordnete Philipp Amthor hatte Kritik an Faesers Plänen geübt: «Anstatt das drängende Problem der Fachkräftemigration zu priorisieren, wird es durch solche Töne wohl eher zu mehr Asylanträgen kommen.»

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