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Atomenergie

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Transmutation: Ein neues Verfahren könnte Atommüll harmloser machen – und die Suche nach Endlagern vereinfachen

Die Suche nach einem Endlager für nukleare Abfälle verzögert sich um viele Jahre. Neue Techniken, mit denen sich Radioaktivität reduzieren lässt, könnten helfen.

Die Suche nach einem Endlager gestaltet sich schwierig. Transmutation könnte die Anforderungen, die an ein Lager zu stellen sind, sinken lassen. Foto: dpadata-portal-copyright=

Die Suche nach einem Endlager gestaltet sich schwierig. Transmutation könnte die Anforderungen, die an ein Lager zu stellen sind, sinken lassen. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

Für Guido Houben ist die Sache klar: Mittels Transmutation könnte die Radioaktivität von Atommüll „erheblich reduziert“ werden, schwierige Spaltprodukte wie Jod 129 oder Technetium 99 würden entschärft. Houben ist einer der Köpfe des schweizerischen Start-ups Transmutex, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Technologie so schnell wie möglich in industriellem Maßstab anzuwenden.

Mit dem Begriff „Transmutation“ wird ein Umwandlungsprozess bezeichnet, bei dem ein chemisches Element in ein anderes chemisches Element verwandelt wird. Weltweit wird an Konzepten gearbeitet, um das Gefahrenpotenzial radioaktiver Abfälle durch Transmutation zu verringern.

Im Labor funktioniert die Transmutation bereits. Die Anwendung in großem Maßstab ist nach Überzeugung Houbens zum Greifen nahe. „Wir arbeiten daran, die erste beschleunigergetriebene Anlage spätestens im Jahr 2032 fertigzustellen. Es geht also nicht um Jahrzehnte weiterer Forschungsarbeit“, sagt Houben.

Sein Unternehmen sei bereits in der Konzeptionsphase und auch mit deutschen Zulieferern im Gespräch über den Aufbau von Lieferketten für die Serienproduktion. Einen ersten digitalen Zwilling einer Transmutationsanlage werde man 2024 präsentieren, der erste Spatenstich für den Bau einer Anlage könnte nach Houbens Worten 2028 erfolgen.

Durch die Transmutation werde der Atommüll „deutlich leichter handhabbar“ und bekomme eine „humanere Dimension“, sagt Houben. Es gehe nicht mehr um eine Lagerung des Mülls für Hunderttausende von Jahren, sondern nur noch um mehrere Hundert Jahre.

Die Suche nach einem Endlager könnte bis 2068 dauern

Houben ist sich sicher, dass sich dadurch ganz neue Perspektiven für die Suche nach einem Endlager für hochradioaktiven Müll aus den deutschen Atomkraftwerken ergeben. „Die Anforderungen, die an ein Endlager zu stellen wären, könnten neu definiert werden“, sagt Houben. Darin stecke eine große Chance für Politik und Gesellschaft. „Letztlich ließe sich auf diesem Weg vielleicht sogar die Endlagerdebatte befrieden“, ergänzte er.

Die Suche nach einem Endlager gestaltet sich in Deutschland schwierig. Erst vor einigen Tagen war bekannt geworden, dass sie sich noch Jahrzehnte hinziehen könnte. Bis 2031 sollte eigentlich geklärt sein, wo in Deutschland hochradioaktive Abfälle langfristig gelagert werden sollen. Doch daraus wird nichts, wie das Bundesumweltministerium kürzlich erklärte. Mittlerweile ist davon die Rede, dass sich das Verfahren im ungünstigsten Fall bis 2068 hinziehen könnte.

Die Frage, ob Transmutation zur Lösung des Endlagerproblems beitragen kann, ist nicht unumstritten. Viele Forscher sind offen für die Technologie, etwa Dirk Bosbach, Experte für nukleare Entsorgung am Institut für Energie- und Klimaforschung des Forschungszentrums Jülich.

Die Transmutation sei ein Verfahren, „das man im Auge behalten sollte“, sagt Bosbach. „Bei der tiefengeologischen Endlagerung, für die Deutschland sich entschieden hat, ist eine der Herausforderungen, die hochradioaktiven Abfälle für einen Zeitraum von einer Million Jahren sicher einzuschließen.“ Das sei „ohne Frage nicht einfach, aber machbar“.

Durch Transmutation könnten langlebige Radionuklide in kurzlebige umgewandelt werden. „Das könnte dazu führen, dass die Anforderungen, die an die Endlagerung zu stellen sind, weniger hoch werden“, sagte er.

„Start-ups, die sich mit dem Thema befassen, sind eine Bereicherung. Sie gehen anders vor als klassische Forschungszentren“, ergänzte der Wissenschaftler. Möglicherweise könnten sie dazu beitragen, bestimmte Entwicklungen zu beschleunigen. „Allerdings glaube ich nicht, dass wir beim Thema Transmutation kurzfristig industrielle Lösungen sehen werden.“

Grüne lehnen die Technologie ab, FDP ist offen

Eine im Auftrag des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) entstandene Analyse kommt zu dem Ergebnis, die für die Transmutation erforderlichen Anlagen stünden „nicht im großtechnischen Maßstab zur Verfügung“. Es gehe „also nicht um heute bereits einsatzfähige Technologien“.

Es seien aller Voraussicht nach noch viele Jahrzehnte an Forschungs- und Entwicklungsarbeit erforderlich. Aus Sicht der Befürworter ist diese Aussage zu hinterfragen, da wesentliche Teile der Forschungsarbeit bereits geleistet seien.

Allerdings kann die Transmutation in Deutschland ohnehin nur dann ein Thema werden, wenn die Politik mitzieht. Das sieht auch Houben von Transmutex so. „Natürlich sind wir in Deutschland wesentlich davon abhängig, wie sich die politische und gesellschaftliche Debatte entwickelt“, sagt er. Technologie, Finanzierung und Genehmigungsverfahren seien „relativ absehbar“. Entscheidend sei am Ende der politische Wille.

Doch die Ampelkoalition ist in dieser Frage zerstritten. Die Grünen lehnen die Technologie ab. Transmutation sei „keine Option zur Lösung des Atommüllproblems“, sagt Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. „Einigen Nukliden mit verkürzten Halbwertszeiten stünden deutlich größere Mengen Abfall mit etwas niedrigeren Halbwertszeiten gegenüber. Die Jahrhundertaufgabe der Endlagersuche bliebe ohnehin bestehen“, gibt Wenzel zu bedenken.

Dagegen stehen FDP-Politiker wie Michael Kruse, der energiepolitische Sprecher seiner Fraktion im Bundestag, der Technologie offen gegenüber: „Wissenschaftlicher Fortschritt in der Kerntechnik hat das Potenzial, die Jahrhundertaufgabe der Endlagerung zu beschleunigen und zu vereinfachen“, sagt er.

Es bestünden gute Chancen, mittels innovativer Technologien Erfolge bei der weiteren Verwertung der Spaltprodukte zu erzielen. „Transmutation ist dabei ein interessanter Ansatz, der technologieoffen erforscht und ergebnisoffen weiterverfolgt werden sollte“, sagt Kruse.

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„Weltweit modernste und sicherste“ Kraftwerke: Kubicki kritisiert AKW-Aus als „dramatischen Irrtum“

Die drei verbleibenden Atomkraftwerke in Deutschland sollen am Wochenende vom Netz gehen. Auch der TÜV sieht das kritisch.

Wolfgang Kubicki (FDP) spricht zu Beginn der Fragestunde im Bundestag.

Wolfgang Kubicki (FDP) spricht zu Beginn der Fragestunde im Bundestag.© Foto: Michael Kappeler

Die FDP und der TÜV verschärfen ihre Kritik an der Abschaltung der drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerke zum 15. April.

„Die Abschaltung der weltweit modernsten und sichersten Atomkraftwerke in Deutschland ist ein dramatischer Irrtum, der für uns noch schmerzhafte ökonomische und ökologische Konsequenzen haben wird“, sagte FDP-Vize Wolfgang Kubicki den Zeitungen der Funke Mediengruppe laut Vorabbericht.

Die drei Kernkraftwerke hätten nach Angaben des TÜVs bis Ende des Jahrzehnts sicher weiterlaufen können.

„Die Anlagen befinden sich in einem sehr guten Zustand. Die drei Kernkraftwerke, die am 15. April abgeschaltet werden sollen, wurden 1988 und 1989 in Betrieb genommen und sind für eine Betriebsdauer von mindestens 40 Jahren ausgelegt“, sagte Joachim Bühler, Geschäftsführer des TÜV-Verbands, der Zeitung „Bild“ einem Vorabbericht zufolge.

„Die deutschen Kernkraftwerke zählen nach wie vor zu den sichersten Kraftwerken der Welt.“ Das gelte bis zur Abschaltung und darüber hinaus.

Bühler und Kubicki bemängelten auch die Folgen des AKW-Aus für die Klimabilanz und die Stromversorgung. „Die Atomkraftwerke liefern die Grundlast. Das heißt: Egal, ob draußen die Sonne scheint oder der Wind weht, die AKW liefern stabil Strom“, erklärte Bühler.

Der Atomstrom, der nicht durch erneuerbare Energien gedeckt werde, müsse durch Strom aus Kohle und Gas kompensiert werden – mit entsprechend schlechterer CO2-Bilanz.

„Wer auf Kohlekraft setzt, während weltweit CO2-arme Atomkraftwerke geplant und gebaut werden, darf sich weder auf die Vernunft noch auf die Wissenschaft berufen“, sagte Kubicki. (Reuters)

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FOCUS online exklusiv - Söder setzt weiter auf Kernkraft und stellt neuen Atomplan vor

In wenigen Tagen werden die letzten drei laufenden Kernkraftwerke abgeschaltet. Nun flammt einmal mehr die Diskussion auf, ob der Ausstieg richtig oder falsch ist. Im Interview mit FOCUS online positioniert sich Bayerns Ministerpräsident Söder klar: Er will weiter auf Atomkraft setzen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder FOCUS Online / Imago

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder FOCUS Online / Imago© FOCUS Online / Imago

FOCUS online: Am Samstag werden die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Ist damit Atomkraft in Deutschland Geschichte?

Markus Söder: Nein. Es ist ein grundlegender Fehler, Ideologie vor Vernunft zu setzen. Die Abschaltung der Kernenergie ergibt aus pragmatischen Gründen zu diesem Zeitpunkt keinen Sinn. Deutschland braucht bezahlbaren, verlässlichen und CO2-freien Strom. All das liefert die Kernenergie. Solange die Krise andauert und der Übergang zu alternativen Energien noch nicht komplett organisiert ist, ist es besser, weiter auf Kernkraft statt auf Kohle zu bauen. Kohlekraftwerke verursachen so viel CO2-Emissionen wie ein Drittel des gesamten PKW-Ausstoßes in Deutschland. Das kann doch kein Mensch wollen.

Die Bundesregierung offenbar schon – mit der klaren Haltung: Der Ausstieg ist beschlossene Sache und wird jetzt durchgezogen. Wie wollen Sie diesen Prozess noch stoppen?

Söder: Es besteht eine große Doppelmoral darin, zu Hause aus der Kernkraft auszusteigen und gleichzeitig – wie Robert Habeck – Atomkraftwerke in der Ukraine gut zu finden und parallel Atomstrom aus Frankreich und Tschechien zu importieren. Damit entzieht sich Deutschland seiner Verantwortung. Für mich ist klar: Wenn die Union die nächste Bundestagswahl gewinnt, sollte es eine Verlängerung der Kernenergie geben.

„Energiepolitik schadet dem Klimaschutz, unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand“

Wie soll das gehen? Ein Kernkraftwerk lässt sich ja nicht einfach an- und ausschalten.

Söder : Die Kernkraftwerke sollen ja über 20 Jahre zurückgebaut werden. Da spielen jetzt zwei Jahre hin oder her keine Rolle. Wir brauchen für einen Weiterbetrieb neue Brennstäbe und ein technisches Update. Das ist machbar. Das bestätigt auch der TÜV als maßgebliche Prüfinstanz. Mein Vorschlag ist, die Anlagen, die bis jetzt am Netz waren, weiterzufahren und die kurz zuvor stillgelegten Kraftwerke als Reserve zu behalten. Mit einer Energiepolitik, wie sie von Grünen, FDP und SPD betrieben wird, fahren wir jedenfalls vor die Wand. Sie schadet dem Klimaschutz, unserer Wirtschaft und unserem Wohlstand.

Wie lange wollen Sie den Betrieb von AKW in Deutschland verlängern? 

Söder: Bis die Energiekrise überwunden ist. Spätestens bis Ende des Jahrzehnts. Bis dahin sollte der Übergang zu regenerativen Energien, den wir weiter energisch vorantreiben werden, gut organisierbar sein.

Wie sähe eine solche Verlängerung aus? Ist auch der Bau neuer Anlagen eine Option?

Söder: Wir brauchen auch neue Forschung neben dem Weiterbetrieb der bisher laufenden AKWs. Zum einen sollten wir die Forschung für die sogenannte kleine Kerntechnologie forcieren. Zum anderen brauchen wir mehr Wissen über die neue Kernfusion. Der Durchbruch in den USA ist bemerkenswert. Diese Chance dürfen wir nicht verspielen und wieder nur anderen überlassen. Daher wird Bayern in die Forschung zur neuen Kernfusion einsteigen. Wir überlegen sogar, in Bayern einen Kernfusionsreaktor für Forschungszwecke zu bauen, um Wirtschaft und Wissenschaft auf den besten Weg zu bringen. Gerne auch in Partnerschaft mit anderen Bundesländern.

„Wir wollen den Weiterbetrieb“

Um das nochmal festzuhalten. Während in Deutschland soeben die letzten AKW vom Netz gehen, plädieren Sie für ein Revival der Kernkraft mit dem Weiterbetrieb bestehender Kraftwerke und dem Neubau von kleinen, modernen AKW?

Söder: Wir wollen den Weiterbetrieb der drei laufenden Kernkraftwerke und die Bereitstellung drei weiterer in Reserve.

So oder so laufen wir nach diesem Sommer in einen Winter ohne Kernkraft. Robert Habeck versicherte dieser Tage, dass die Versorgung mit Energie dennoch gesichert sei. Sind Sie da auch so optimistisch?

Söder: Robert Habeck hat sich so oft geirrt. Die Gas-Umlage etwa ist als Konzept komplett gescheitert. Dann sagte er letztes Jahr, wir brauchen keine Kernenergie für den Winter, und wir brauchten die dann doch. Auch die jetzigen Pläne zu den Heizungen sind nicht durchdacht und rein ideologisch geprägt. Niemand kann erklären, warum ein 79-Jähriger seine Heizung nicht behalten soll, ein 80-Jähriger aber schon.

Im Grunde setzt Deutschland jetzt ja nur um, was 2011 unter dem Eindruck von Fukushima beschlossen wurde. Bereuen Sie im Nachhinein, dass Sie einer der ersten und entschlossensten Befürworter des Ausstiegs waren?

Söder : Nein. Die Zeit war eine andere. Wir haben damals Isar 1 abgeschaltet, weil es nicht gegen einen Flugzeugabsturz abgesichert war. Isar 2 ist sicher. Die Welt hat sich doch tatsächlich geändert. Das gilt besonders für die Grünen: Früher waren sie als Pazifisten auf jedem Ostermarsch und heute sagt die Außenministerin, wir seien in einem Krieg mit Russland. Die Realität verändert Programme: Deshalb sagt übrigens heute eine Mehrheit der Deutschen, dass es Sinn macht, die Kernkraftwerke vorübergehend weiterlaufen zu lassen. Und die Bürgerinnen und Bürger haben recht.

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Nobelpreisträger und Klimaforscher fordern Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke

Am Samstag sollen die drei letzten deutschen AKWs vom Netz gehen. 20 Wissenschaftler und weitere Unterstützer haben nun einen Appell an Bundeskanzler Scholz verfasst. Darin fordern sie „im Interesse der Bürger von Deutschland, Europa und der Welt“ den Weiterbetrieb der Anlagen.

Das Kernkraftwerk Emsland. Nach der Abschaltung am 15. April rechnet Betreiber RWE mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase pa/dpa/Sina Schuldt

Das Kernkraftwerk Emsland. Nach der Abschaltung am 15. April rechnet Betreiber RWE mit einer 14 Jahre dauernden ersten Rückbauphase pa/dpa/Sina Schuldt© Bereitgestellt von WELT

Deutsche Umweltvereine fordern die Politik seit Jahren dazu auf, im Klimaschutz den Empfehlungen von Wissenschaftlern zu folgen. Kurz vor dem Vollzug des deutschen Atomausstiegs am Samstag erweist sich der Appell „follow the science“ jedoch als schwere Hypothek.

Denn während etwa der BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschland das Aus für die drei letzten deutschen Kernkraftwerke mit „bunten Abschaltfesten“ feiern will, fordern führende Klimawissenschaftler und Spitzenforscher das genaue Gegenteil: den Weiterbetrieb der drei Meiler Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

In einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) argumentieren 20 Wissenschaftler und weitere Unterstützer, dass die drei Reaktoren mit ihrer Jahresproduktion von zuletzt 32,7 Milliarden Kilowattstunden mehr als zehn Millionen Haushalte in Deutschland mit klimafreundlicher Elektrizität versorgt haben. Damit könnten im Vergleich zur Kohlekraft auch weiterhin bis zu 30 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr eingespart werden.

„Aus diesen Gründen fordern wir Sie im Interesse der Bürger in Deutschland, Europa und der Welt dazu auf, die deutschen Pläne zum Atomausstieg zu überdenken und die noch zur Verfügung stehenden Kernkraftwerke weiterzunutzen“, heißt es in dem offenen Brief: „Die Kernenergie in Deutschland kann klar ersichtlich zur Linderung der Energiekrise und dem Erreichen der deutschen Klimaziele beitragen.“

Zu den Unterzeichnern gehört der Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing vom Max-Planck-Institut für Festkörperforschung. Auch der Nobelpreisträger für Physik, Stephen Chu, der im Kabinett von Barack Obama US-Energieminister war, gehört zu den Zeichnern des Appells an Olaf Scholz. „Ihre Führungsposition als Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland steht in dieser Frage in besonderer Verantwortung“, heißt es in dem Schreiben.

Insbesondere zahlreiche führende Klimaforscher haben den offenen Brief unterzeichnet, darunter James Hansen vom Goddard Institute for Space Studies und Kerry Emanuel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Am Samstag endet in Deutschland eine Ära

Dazu kommen Pushker Kharecha, Klimawissenschaftler an der Columbia University in New York, der Geophysiker Szymon Malinowski aus Warschau und Tom Wigley von der Universität Adelaide in Australien. Vom Institut für Küstenforschung in Geesthacht haben die Professoren Hans von Storch und Eduard Zorita unterzeichnet. Weitere Naturwissenschaftler wie der Physiker André Thess von der Universität Stuttgart und der Leibniz-Preisträger Herbert Roesky von der Universität Göttingen sind dabei, ebenso eine Reihe von Ökonomen und Juristen.

Initiiert wurde der offene Brief vom Verein „Replanet DACH“, einem Zusammenschluss von europäischen Ökomodernisten. Dabei handelt es sich um Umwelt- und Klimaschützer, die vor allem im Einsatz von Technologie und wissenschaftsbasierten Lösungen den besten Ansatz sehen. Technologieverbote und Wohlstandseinbußen halten Ökomodernisten für nicht zielführend.

Mit der Abschaltung der drei letzten deutschen Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland endet in Deutschland am Samstag nach mehr als 60 Jahren die Ära der friedlichen Nutzung der Kernenergie für die Stromerzeugung. Zeitweise hatten 19 Kernkraftwerke zwischen 25 und 30 Prozent des deutschen Strombedarfs gedeckt.

Inzwischen wird der Wegfall der Atomkraftwerke vor allem durch eine stärkere Nutzung von Kohle- und Gaskraftwerken kompensiert. Deutschland hat deshalb nach Polen und Tschechien die höchsten spezifischen CO₂-Emissionen in der Stromproduktion.

Die Bundesregierung will bis 2030 den Anteil erneuerbarer Energien auf 80 Prozent fast verdoppeln und das schwankende Aufkommen von Wind- und Solarkraft durch den Neubau von rechnerisch etwa 50 Gaskraftwerken der 500-Megawattklasse ausgleichen.

Unter dem Eindruck der durch den russischen Angriffskrieg verstärkten Energiekrise hatten zuletzt zahlreiche Staaten die Laufzeiten ihrer Atomkraftwerke verlängert. In Frankreich, Großbritannien, Polen, Tschechien und den Niederlanden ist zudem der Bau neuer Kernkraftwerke geplant.

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Atomkraftwerk lieferte noch zwei Milliarden Kilowattstunden

Das Atomkraftwerk (AKW) Neckarwestheim 2 hat in diesem Jahr noch mehr als 1,9 Milliarden Kilowattstunden Strom produziert. Das teilte der Betreiber EnBW in der Nacht zum Sonntag mit. Bislang war von mehr als 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom im sogenannten Streckbetrieb bis 15. April die Rede gewesen. Mit einer Kilowattstunde Strom kann man zum Beispiel eine Stunde staubsaugen.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2.

Wasserdampf steigt aus dem Kühlturm des Kernkraftwerks Isar 2.© Peter Kneffel/dpa

Neckarwestheim 2 als letztes noch laufendes Kernkraftwerk in Baden-Württemberg war in der Silvesternacht vom Netz genommen worden, um die 193 Brennelemente neu zusammenzusetzen. Ohne diese Konfiguration wäre früheren Angaben zufolge nur etwa ein Drittel der Produktionsmenge möglich gewesen. Am 19. Januar ging der Meiler im Landkreis Heilbronn wieder ans Netz und lief bis Samstag 23.59 Uhr.

Eigentlich hätte er als eines der letzten drei AKW in Deutschland schon an Silvester endgültig abgeschaltet werden sollen. Doch wegen der Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verlängerte die Bundesregierung die Laufzeit für den Meiler sowie zwei Reaktoren in Niedersachsen und Bayern bis diesen Samstag.

«An unseren drei Kernkraft-Standorten Neckarwestheim, Philippsburg und Obrigheim haben unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den zurückliegenden insgesamt rund 55 Jahren eine stets sichere Stromproduktion gewährleistet», erklärte der Geschäftsführer der EnBW-Kernkraftsparte, Jörg Michels. Mit der Abschaltung von Neckarwestheim 2 werde nun auch in der fünften und letzten Anlage der Rückbau im Mittelpunkt stehen. Am Standort Neckarwestheim arbeiten laut der Mitteilung rund 650 EnBW-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter.

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Junge Christdemokraten wollen Nutzung der Kernkraft einklagen

Mitglieder der Jungen Union in Nordrhein-Westfalen reichen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie protestieren gegen die Klima- und Energiepolitik der Ampel-Bundesregierung – und befürchten drastische Freiheitsbeschränkungen. Es geht nicht nur um den Atomausstieg.

Das Kernkraftwerk Isar 2 picture alliance/dpa

Das Kernkraftwerk Isar 2 picture alliance/dpa© Bereitgestellt von WELT

Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist eine ungewöhnliche Beschwerde von jungen Menschen zwischen 28 und 33 Jahren eingegangen: Vier Mitglieder der Jungen Union (JU) Nordrhein-Westfalen klagen gegen die Klima- und Energiepolitik der Bundesregierung und insbesondere gegen das Ende der Nutzung der Kernkraft.

Dabei werden JU-Landeschef Kevin Gniosdorz, Rafael Sarlak, Katharina Kotulla und Tim Knopff vertreten durch Kotullas Vater Michael Kotulla, Direktor des Instituts für Umweltrecht an der Universität Bielefeld und Inhaber des Lehrstuhls für Umweltrecht und Verfassungsgeschichte. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte auf WELT-Anfrage den Eingang der Beschwerde.

Gegenüber WELT erklären die Beschwerdeführer den juristischen Vorstoß: Nach ihrer Auffassung „verstößt die Bundesregierung gegen ihre Pflicht zum Klimaschutz und zum Schutz der Freiheit künftiger Generationen“. Die Ampel habe „aus rein ideologischen Gründen“ nicht die Grundsatzentscheidung zum Ausstieg aus der Kernkraft aus dem Jahr 2011 nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens oder spätestens nach der Energiekrise infolge des russischen Angriffskrieges auf die gesamte Ukraine noch einmal überdacht.

Das Ziel der Klimaneutralität sei im gesetzgeberischen Prozess bei der Beendigung der Nutzung der Atomkraft nicht hinreichend berücksichtigt worden. Technologieoffenheit sei ein „wesentlicher Baustein“ auf dem Weg zur Klimaneutralität.

Ihre Beschwerde richtet sich explizit gegen das geänderte Atomgesetz mit dem Ausstieg aus der Kernkraft zum 15. April 2023, das Gesetz zum beschleunigten Ausbau von LNG-Terminals sowie gegen das Energiewirtschaftsgesetz zur Versorgungssicherheit.

„Die Abschaltung der klimafreundlichen Kernkraftwerke sorgt für einen eklatanten CO₂-Mehrausstoß. Die Ampel produziert lieber dreckigen Kohlestrom, als auf eigenen emissionsarmen Strom aus Kernenergie zu setzen“, sagt JU-Landeschef Gniosdorz WELT. „Neben dem Klima belastet die Ampel zudem unsere Gesundheit, und sie schränkt die Handlungsmöglichkeiten unserer sowie nachfolgender Generationen ein. Deshalb reichen wir Verfassungsbeschwerde ein.“

Die Beschwerdeführer beziehen sich in ihrem 35-seitigen Schriftstück auf den wegweisenden Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, wonach dem Klimaschutz erstmals Verfassungsrang zugestanden wurde.

Junge Klimaschützer, unter ihnen auch Luisa Neubauer von „Fridays for Future“, hatten mithilfe von Umweltorganisationen Beschwerde gegen das 2019 von der damaligen schwarz-roten Bundesregierung verabschiedete Klimaschutzgesetz eingereicht und feierten den Gerichtsbeschluss, der ihnen teilweise recht gab, als „historische Entscheidung“.

Auch die vier Jungunionisten aus NRW finden in dem Beschluss wichtige Anknüpfungspunkte für ihre Begründung heute. Die Beschwerdeführer fassen ein wichtiges Argument der Verfassungshüter so zusammen: Je größer der CO₂-Ausstoß, der heute ermöglicht werde, desto stärker müsse der Gesetzgeber in Zukunft auf die Bremse treten und den CO₂-Ausstoß durch Einschränkung von Freiheiten verringern, um nicht das begrenzte deutsche CO₂-Budget zu überschreiten. Nach ihrer Überzeugung ließe sich das mit der Nutzung von Atomkraft verhindern.

Ziel der Klage ist es, dass die Ampel-Bundesregierung ihre Energiepolitik insgesamt überdenkt: Sie müsse, so die Beschwerdeführer, „die Risiken der Nutzung der Kernkraft zu den unvermeidlichen Konsequenzen des Unterlassens der Nutzung ins Verhältnis setzen und eine wissenschaftlich fundierte Abwägung treffen, ob die Risiken der Kernkraftwerke so groß sind, dass man dafür zwingend über die nächsten Jahre Millionen Tonnen CO₂ ausstoßen muss“. Die vier Jungunionisten schlagen vor, eine wissenschaftliche Kommission einzusetzen.

Nun muss in Karlsruhe zunächst über die Zulässigkeit der Beschwerde entschieden werden. Unabhängig davon fordert JU-Landeschef Gniosdorz auch praktisch eine rasche Rückkehr zur Kernkraft: „Aus politischer Sicht wäre es klug, Kernkraftwerke dort, wo es möglich ist, wieder schnell ans Netz zu bringen. Die Zeit rennt uns davon. Emissionsarme Kernkraft eignet sich aus ökonomischen und ökologischen Gründen als Brückentechnologie.“

Die JU NRW befürwortet zwar den Ausbau von erneuerbaren Energien, aber Gniosdorz betont auch, eine 100-prozentige Abdeckung mit grünem Strom werde „perspektivisch nicht möglich sein, da die Speicherkapazitäten dafür noch nicht vorhanden sind“.