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Kernfusion und Mini-Atomkraftwerke – eine neue Chance für die Atomkraft?

Düsseldorf. Trotz des deutschen Atomausstiegs geht die Nuklear-Forschung weiter. Die FDP hofft auf einen Kernfusions-Reaktor. Andere Länder setzen auf Mini-Atomkraftwerke. Was das ist und wie Forscher Chancen und Risiken einschätzen.

 Das Lawrence Livermore National Laboratory (hier: ein Vorverstärker) schaffte 2022 eine Kernfusion, die mehr Energie freisetzte als verbrauchte.

Das Lawrence Livermore National Laboratory (hier: ein Vorverstärker) schaffte 2022 eine Kernfusion, die mehr Energie freisetzte als verbrauchte.

In Deutschland ist die friedliche Nutzung der Atomkraft Geschichte, am 15. April 2023 gingen die drei letzten Meiler vom Netz. Die Energiekonzerne sind froh, dass dieses Kapitel abgeschlossen ist. Doch ein nächstes Kapitel könnte vielleicht aufgeschlagen werden, denn auch bei der Nukleartechnik gibt es neue Entwicklungen.

Kernfusions-Reaktoren

Die FDP will, dass in Deutschland einer der ersten Reaktoren zur Kernfusion entstehen. Die Koalitionspartner in der Ampel lehnen das schon mal ab. Die Idee hinter der Kernfusion: Bei der Verschmelzung von Atomkernen wird Energie frei. Anders als bei der Kernspaltung in einem Atomkraftwerk wird dabei aber nur eine kleine Menge Radioaktivität freigesetzt, das Risiko einer Kettenreaktion besteht so nicht. Das Prinzip ist schon länger bekannt. Im Dezember 2022 ist es Wissenschaftlern in Kalifornien erstmals gelungen, mit einer Kernfusion mehr Energie zu gewinnen, als sie vorher zu deren Start einsetzen mussten. Das galt als ein Durchbruch.

Doch der Weg zu einer industriellen Nutzung der Kernfusion ist – jenseits der politischen Debatte in Deutschland - noch weit. „Ich rechne damit, dass es noch mindestens 20 Jahre dauert, bis ein echtes Demonstrationskraftwerk den Betrieb aufnehmen kann“, sagt Hartmut Zohm, Professor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, unserer Redaktion. Die Forschungsarbeiten liefen zwar schon seit den 1950er Jahren, aber erst jetzt sei man so weit, dass eine Maschine gebaut werde, die mehr Energie aus Kernfusion erzeugen werde, als man zum Aufheizen des Wasserstoffplasmas brauche. Diese Maschine ist der Versuchsreaktor International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER) und wird im südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache entwickelt.

Zohm stellt auch klar: „Übrigens stimmt es nicht, dass kein strahlender Müll als Nebenprodukt erzeugt wird. Es wird radioaktive Abfälle geben, aber die müssen nicht auf geologischen Zeitskalen gelagert werden, weil sie viel schneller abklingen als bei einem Spaltungsreaktor. Es gibt also kein Endlagerproblem.“

Im ITER lösen besondere Magnete in heißen Plasmawolken die Kernfusion aus. An anderen Orten versuche Wissenschaftler es mit Lasern, die die Kernfusion in Gang bringen soll. Zohm sieht den erstere im Vorteil: „Die Magnettechnologie ist weiter entwickelt und hat seit Jahren auf ein energieerzeugendes Kraftwerk hin gearbeitet, während die Versuche zur Laserfusion bisher hauptsächlich militärisch motiviert waren“, erläutert der Physiker. Die Magnetfusion habe daher einen Vorteil auf dem Weg zum Kraftwerk.

Mini-Atomkraftwerke

Einen anderen Weg verfolgen Forscher, die auf kleine Atomkraftwerke (Small Modular Reactors, SMR) setzen. Hier geht es wie bei den großen Meilern darum, Energie mit Hilfe der Kernspaltung zu erzeugen, ohne aber die Risiken der Kernschmelze und das Endlager-Problem zu haben. SMR sind Reaktoren, bei denen ein einzelner Reaktor eine elektrische Leistung von weniger als 300 Megawatt aufweist. Das ist nur so viel Kapazität, wie ein kleiner Braunkohle-Block im rheinischen Revier hat. Zum Vergleich: Emsland, der gerade abgeschaltete Meiler von RWE, hat eine Kapazität von gut 1400 Megawatt. Weil der Reaktorkern bei einem SMR kleiner ist als bei einem klassischen Atomkraftwerk, entsteht auch weniger Wärme, die abgeführt werden muss. Wegen des geringeren „radioaktiven Inventars pro Reaktior“, wie es heißt, ist auch die Gefahr eines großen Atomunfalls geringer.

Die Idee für die Minireaktoren geht - wie so oft – auf die militärische Forschung zurück. In den 1950er Jahren versuchet man, Atomkraft als Antriebstechnik für militärische U-Boote zu nutzen. 2020 wurden in Russland zwei SMR-Pilotanlagen in Betrieb genommen, die auf einer schwimmenden Plattform installiert worden sind, wie das Öko-Institut erläutert. Auch in China und Indien werden SMR-Anlagen gebaut. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält sie für eine Zukunftstechnologie. SMR werden insbesondere als Chance gesehen, eine klimafreundliche Technologie zur Stromerzeugung hinzubekommen, da hier kaum Kohlendioxid anfällt.

Dennoch ist das Öko-Institut nicht überzeugt: „Eine durch die Hersteller angestrebte weltweite Verbreitung der Anlagen in hoher Stückzahl würde zu einer entsprechenden Verbreitung von spaltbarem Material führen, was in Hinblick auf Proliferationsrisiken problematisch ist“, schreiben die Experten in einem Gutachten für das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung. Proliferationsrisiken meint die Risiken, dass Vernichtungswaffen bzw. atomwaffenfähiges Material weitergegeben werden. Aus der friedlichen könnte eine kriegerische Nutzung werden.

Offen ist, ob die Mini-Reaktoren wirtschaftlich betrieben werden können. „Durch die geringe elektrische Leistung sind bei SMR die Baukosten relativ betrachtet höher als bei großen Atomkraftwerken. Eine Produktionskostenrechnung unter Berücksichtigung von Skaleneffekten aus der Atomindustrie legt nahe, dass im Mittel dreitausend SMR produziert werden müssten, bevor sich der Einstieg in die SMR-Produktion lohnen würde“, heißt es in dem Gutachten für das Bundesamt. So weit ist man noch nicht.

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) fordert eine Chance: „Bei Zukunftstechnologien dürfen wir uns nicht von anderen Ländern abhängen lassen. Deshalb brauchen wir mehr Technologiefreiheit.“ In der Ampel, die Prognose ist nicht gewagt, wird es aber kein grünes Licht für SMR geben.