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Bürgergeld

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Debatte um Erhöhung - Jetzt droht Söder der Ampel mit einem Anti-Bürgergeld-Bündnis

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Anfang November bei einem Bund-Länder-Gipfel im Berliner Bundeskanzleramt Bernd von Jutrczenka/dpa

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) Anfang November bei einem Bund-Länder-Gipfel im Berliner Bundeskanzleramt Bernd von Jutrczenka/dpa© Bernd von Jutrczenka/dpa

Das Bürgergeld soll im Januar um zwölf Prozent erhöht werden. Union und FDP stemmen sich gegen den starken Anstieg. CDU und CSU wollen zudem den Kreis der Bezieher einschränken. Allerdings gibt es auch Widerspruch in der Union.

Die starke Erhöhung des Bürgergeldes Anfang 2024 sorgt für Zwist in der Union. Der Sozialflügel stemmt sich gegen Forderungen aus den Parteiführungen, die Erhöhung zu stoppen. CSU-Chef Markus Söder schmiedet eine neue Initiative. Und auch führende FDP-Politiker verlangen, die Anhebung um zwölf Prozent zurückzunehmen.

Die mehr als fünf Millionen Bürgergeld-Empfänger sollen zum 1. Januar 2024 im Schnitt rund 12 Prozent mehr Geld bekommen - Alleinstehende dann 563 Euro. Anders als bei früheren Anpassungen war die monatelang stark erhöhte Inflation aufgrund einer Änderung der Regeln bei der Berechnung für 2024 stärker berücksichtigt worden.

Söder droht Ampel mit dem Bundesrat

„Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen“, sagte der bayerische Ministerpräsident Söder dem Magazin „Stern“. „Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen. Deshalb werden wir im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen. Denn die Balance zwischen Fördern und Fordern stimmt nicht“, begründete Söder den Vorstoß. „Wer arbeitet, muss erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet. Deshalb brauchen wir Änderungen.“

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte ebenfalls eine Rücknahme der deutlichen Erhöhung des Bürgergeldes. „Jeder dritte Euro, den die Bundesregierung ausgibt, fließt in Sozialausgaben. Das geht nicht mehr“, sagte Djir-Sarai der „Bild am Sonntag“. „Deshalb ist es jetzt dringend notwendig, das Bürgergeld neu zu bewerten. Die geplante Erhöhung zum 1. Januar ist nicht mehr angemessen“, fügte er hinzu. Es könne nicht sein, dass die Regierung in Zeiten knapper Kassen und mit der niedrigsten Inflation seit 2021 das Bürgergeld um zwölf Prozent anhebe. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) müsse die geplante Erhöhung stoppen. „Alles andere ist auch der arbeitenden Bevölkerung nicht zu vermitteln“, erklärte Djir-Sarai.

Heil: Bürgergelderhöhung in Zukunft „relativ mickrig“

Finanzminister Christian Lindner hat den Bereich Soziales mit dem Bürgergeld als einen von drei Bereichen genannt, um Lücken im Haushalt für 2024 zu stopfen. Mit Blick auf das Bürgergeld wies der FDP-Chef in den Zeitungen der Funke-Mediengruppe darauf hin, dass sich die Inflationsrate wesentlich besser entwickelt, als bei der Festlegung des Regelsatzes für 2024 prognostiziert. Die Inflation war im November auf 3,2 Prozent gesunken - die geplante Bürgergeld-Erhöhung ab Januar basiert noch auf einer Inflation von 9,9 Prozent, wie der FDP-Sozialexperte Pascal Kober erklärt hatte.

Sozialminister Heil hatte Forderungen nach Aussetzung der Erhöhung bereits zurückgewiesen. Der Minister verweist auf den Mechanismus, dass die starke Erhöhung mit der hohen Inflation dieses Jahres zu tun hat. Wenn die Inflation aber 2024 wieder sinke, werde die darauf folgende Bürgergelderhöhung „relativ mickrig sein“, sagte der Minister unlängst voraus.

CDU-Sozialflügel warnt: Menschen nicht verunsichern

Der Vorsitzende der CDU-Arbeitnehmervereinigung CDA, Karl-Josef Laumann, wandte sich ebenfalls dagegen, die für Anfang 2024 geplante Erhöhung des Bürgergelds zu streichen. „Beim Bürgergeld war eine Anpassung der Regelsätze dringend notwendig“, sagte der nordrhein-westfälische Sozialminister dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Es sei falsch, in der aktuellen Haushaltslage nur die Sozialleistungen zu kritisieren. „Niemand darf denken, die CDU stehe nicht an der Seite der kleinen Leute“, warnte Laumann.

CDA-Vize Christian Bäumler betonte ebenfalls: „Die Forderung nach Sozialabbau in Deutschland verunsichert die Menschen und gefährdet den sozialen Frieden. Eine Politik, die die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher macht, ist mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar“, mahnte Bäumler. Er warnte davor, mit „Sozialstaatspolemik die geistigen Grundfesten der Union“ zu zerstören.

Kein Bürgergeld für neu ankommende Ukraine-Flüchtlinge?

Aus der Union kommt noch eine weitere Forderung. Söder will einen Stopp von Bürgergeld-Zahlungen an neu ankommende ukrainische Flüchtlinge. „Es wäre nicht rechtmäßig, etwas rückwirkend zu streichen. Aber für alle neuen Fälle müssen wir umsteuern“, sagte der CSU-Politiker. „Und für alle anderen, die neu zu uns kommen, sollte es Sozialleistungen erst nach fünf Jahren statt nach 18 Monaten geben.“

Auch der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, sprach sich dafür aus, die Zahlung von Bürgergeld an neu angekommene Flüchtlinge aus der Ukraine zu beenden. „Dass die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine alle sofort Bürgergeld erhalten, war damals, als es beschlossen wurde, von allen Beteiligten gut gemeint gewesen“, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Die Entscheidung habe sich aber, was die Bereitschaft zur Aufnahme einer Arbeit anbelangt, als kontraproduktiv erwiesen.

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Merkur-Kommentar

Söder rüttelt an der Stütze: Warum das Bürgergeld das Schicksal der Ampel besiegeln könnte

Schon zwei SPD-Kanzler scheiterten an der Arbeitsmarktpolitik. Wird Olaf Scholz der dritte sein? Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.

Am Ende ist es immer der Arbeitsmarkt, der in Deutschland links geführte Regierungen zu Fall bringt: 1982 platzte die sozialliberale Koalition unter Kanzler Helmut Schmidt wegen Lambsdorffs FDP-Brandbrief „zur Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“. Zwei Jahrzehnte später gingen Gerhard Schröder und sein rot-grünes Bündnis bei fünf Millionen Arbeitslosen im Strudel der Hartz-Reformen unter. Und heute, weitere knapp 20 Jahre später? Muss wieder ein SPD-Kanzler ums Überleben kämpfen. Das der Ampel zur Verfügung stehende Geld reicht einfach nicht mehr, um fünf Millionen Bürgergeldempfänger am Arbeitsmarkt vorbei durch den Staat zu finanzieren, während Deutschland in der EU wieder die rote Wachstums-Laterne trägt.

CSU-Chef Söder folgt also einem uralten Schlachtplan, wenn er, assistiert von der FDP-Spitze, die härtesten Angriffe auf die Ampel jetzt beim Thema Bürgergeld fährt und dessen „Generalüberholung“ verlangt. Wer arbeite, müsse „erkennbar mehr bekommen als jemand, der nicht arbeitet“. Die Union stellt damit wieder die Gretchenfrage für linke Politik: Gelingt es ihr, die Schwachen zu schützen, ohne die Faulen zu belohnen? Die SPD reagiert erwartbar wütend, fuchtelt mit der Keule der „sozialen Spaltung“, doch sind die nackten Fakten unbarmherzig in ihrer Klarheit: Wie kann es sein, dass bei 1,8 Millionen offenen Stellen der Staat vier Millionen Erwerbsfähige fürs Nichtstun bezahlt? Wie konnte es geschehen, dass die Ausgaben für Bürgergeld und Wohnhilfe mit fast 40 Milliarden schon im Einführungsjahr massiv höher ausfallen als vom SPD-Arbeitsminister berechnet? Und, hier verbindet sich der Arbeitsmarktstreit mit dem toxischen Thema Asyl: Wie ist es den Menschen zu vermitteln, dass bei uns, anders als überall sonst in Europa, kaum ein ukrainischer Flüchtling bereit ist zu arbeiten, weil er vom ersten Tag an Bürgergeld erhält?

All das verletzt jeden Tag aufs Neue das Gerechtigkeitsgefühl der arbeitenden Mitte. Und diese stellt noch immer die Mehrheit der Wähler, mögen die Gedanken mancher Ampel-Wohltäter auch noch so sehr um die Beladenen aus aller Welt kreisen. Immerhin die FDP von Christian Lindner scheint das nun endlich begriffen zu haben. Sie kämpft jetzt mehr ums eigene Überleben als um das der Ampel.

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Bürgergeld 2024 auf der Kippe – FDP und Union wollen Erhöhung stoppen

Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit CDU-Chef Friedrich Merz 2022 in einer Bundestagssitzung

Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit CDU-Chef Friedrich Merz 2022 in einer Bundestagssitzung© Political Moments/Imago

Bürgergeld-Erhöhung 2024 auf der Kippe: Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sowie einige Unionspolitiker stellen Sozialleistungen infrage.

Deutschland – Die für 2024 geplante Bürgergeld-Erhöhung droht aktuell zu kippen. Sowohl führende Unionspolitiker aus der Opposition als auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprachen sich jetzt dagegen aus. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) droht sogar mit einer Initiative gegen das Bürgergeld.

Bürgergeld-Erhöhung auf der Kippe: Lindner erklärt, wo Deutschland jetzt sparen muss

Seit dem Karlsruher Urteil steht fest: Deutschland muss sparen. Wo gekürzt wird, darüber scheiden sich innerhalb der Koalition aktuell aber die Geister.

So erklärte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) am Freitag (1. Dezember), er wolle im Sozialbereich sparen. Im Interview mit der Funke Mediengruppe verdeutlichte der Bundesfinanzminister, es gebe „drei große Kostenblöcke“, mit denen man sich nun beschäftigen müsse:

  • Soziales
  • Arbeitsmarkt
  • Internationale Finanzhilfen

Bürgergeld 2024 wackelt – FDP will die Erhöhung stoppen

Aktuell setze der Bund 45 Prozent für Soziales ein, so Lindner weiter. Hier müsse man schauen, „wie man treffsicherer werden kann“. (weitere Finanz-News auf RUHR24)

Er verdeutlichte, es gehe beispielsweise darum, Menschen „eher in Arbeit zu bringen“. Denn das nutze den Menschen und dem Bundeshaushalt. Konkret will Lindner dazu den Abstand zwischen Löhnen und Sozialleistungen auf den Prüfstand stellen.

Auch Lindners Parteikollege, der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, spricht sich jetzt für einen Stopp der ab Januar geplanten Bürgergeld-Erhöhung aus. „Es ist völlig klar, dass der Sozialstaat in Deutschland zu viel Geld kostet. Jeder dritte Euro, den die Bundesregierung ausgibt, fließt in Sozialausgaben. Das geht nicht mehr“, sagte er der Bild am Sonntag.

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, bei der Debatte zum Nachtragshaushaltsgesetztes

Christian Lindner (FDP), Bundesminister der Finanzen, bei der Debatte zum Nachtragshaushaltsgesetztes© Bereitgestellt von RUHR24

Bürgergeld in der Krise – Unionspolitiker fordern sofortiges Aus der Erhöhung

Ausgerechnet führende Politiker der Opposition vertreten ähnliche Ansichten wie der Bundesfinanzminister. In der ARD-Sendung Bericht aus Berlin forderte CDU-Parteichef Friedrich Merz die Ampelkoalition auf, die Erhöhung des Bürgergelds sofort zu stoppen. Noch stehe die Erhöhung nicht im Gesetzblatt, erklärte der CDU-Politiker. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) habe das jetzt per Verordnungsermächtigung in der Hand.

Sein Unions-Kollege von der CSU sieht das ähnlich: „Die Ampel muss die für Januar vorgesehene Erhöhung um ein Jahr verschieben und noch einmal völlig neu ansetzen“, forderte CSU-Chef Markus Söder gegenüber dem Stern. Und weiter: „Es braucht mehr Motivation, um arbeiten zu gehen.“

Deshalb, so Söder weiter, werde seine Partei „im Bundesrat eine Initiative zur Generalüberholung des Bürgergelds einbringen.“ Bereits vor Einführung des Bürgergelds hatten unionsgeführte Bundesländer im Bundesrat Verschärfungen am Gesetz, wie mehr Sanktionsmöglichkeiten, durchgesetzt.

Bürgergeld 2024 vor dem Aus? Koalition ist nach Haushaltssperre völlig uneinig

Bei seiner Regierungserklärung am Dienstag (28. November) hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Kürzungen beim Bürgergeld noch kategorisch ausgeschlossen. Der Bundeskanzler betonte hier, niemand, der Rente, Bürgergeld oder Wohngeld beziehe, müsse sich Sorgen machen.

Wie Bild aktuell berichtet, habe auch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) Änderungen am Bürgergeld 2024 bislang abgelehnt. Er habe über einen Sprecher ausrichten lassen, es gebe „keine entsprechenden Pläne, die gesetzlich vorgeschriebene Anpassung des Regelsatzes zum 1. Januar 2024 nicht vorzunehmen“.

Die Fronten scheinen verhärtet: Denn der Bundesfinanzminister hat offenkundig völlig andere Pläne als Bundeskanzler und Bundesarbeitsminister. Viel Zeit hat die Koalition allerdings nicht mehr, sich zu einigen. Innerhalb der nächsten Tage muss eine Entscheidung getroffen werden, denn der Haushalt 2024 soll noch in diesem Jahr beschlossen werden.

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Es geht um 44 Milliarden Euro - Neue Ministeriums-Zahlen: Wer in Deutschland Bürgergeld bekommt

Das Logo der Bundesagentur für Arbeit vor der Zentrale in Nürnberg. Daniel Karmann/dpa/Symbolbild

Das Logo der Bundesagentur für Arbeit vor der Zentrale in Nürnberg. Daniel Karmann/dpa/Symbolbild© Daniel Karmann/dpa/Symbolbild

Insgesamt rund 44 Milliarden Euro reserviert der Bund 2024 für Bürgergeld-Zahlungen. Fast die Hälfte davon geht an Ausländer. Das steht in einem neuen Bericht der Bundesagentur für Arbeit.

Die Bundesagentur für Arbeit hat für „ Bild “ die Zahlungsansprüche der Bürgergeld-Empfänger von September 2022 bis August 2023 ausgewertet.

In diesem Zeitraum gab es demnach 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfänger denen Leistungen in Höhe von 44,1 Milliarden zustanden. Darunter waren 2,9 Millionen Deutsche und 2,6 Millionen Ausländer. Asylsuchende bekommen das Bürgergeld nicht, mit Ausnahme derer, die sich „fünf Jahre lang dauerhaft“ in Deutschland aufhalten. Dieser Gruppe steht ebenfalls Bürgergeld zu.

Auch Ukrainern, die vor dem russischen Angriffskrieg in ihrem Land fliehen, steht Bürgergeld zu, da sie rechtlich als Flüchtlinge der EU-Massenzustrom-Richtlinie nach Deutschland kommen.

So verteilt sich das Bürgergeld unter den Ausländergruppen

  • Den größten Anteil der Bürgergeld-Empfänger unter den Nicht-Deutschen machen demzufolge auch die geflüchteten Ukrainer aus. 687.000 Menschen erhalten 5,5 Milliarden Euro.
  • Gefolgt werden sie von den Menschen aus Syrien. 497.000 Syrer erhalten insgesamt 3,3 Milliarden Euro.
  • 174.000 Afghanen bekommen insgesamt 1,2 Milliarden Euro aus dem Bürgergeld-Topf.

Der Rest der ausländischen Bürgergeld-Empfänger kommt aus dem Irak (116.000 Menschen), Bulgarien (108.000 Menschen), aus den Balkanstaaten (110.000 Menschen), Rumänien (75.000 Menschen) und Polen (53.000 Menschen).

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Ampel plant Erhöhung

Bürgergeld „unsozial“? Boris Palmer macht Probe-Berechnung für sich selbst – und staunt

Die Bürgergelddebatte dreht sich um eine Frage: Lohnt sich arbeiten? Tübingens Oberbürgermeister hat es sich ausrechnen lassen – und zweifelt.

Tübingen – Lohnt sich Arbeit überhaupt noch? Diese Frage schwingt in der Bürgergelddebatte immer mit. Die Hartz-IV-Nachfolger-Zahlung steigt Anfang 2024 um zwölf Prozent an. Kritische Stimmen bemängeln, dass arbeitsfähige Menschen so keinen Arbeitsanreiz mehr hätten. Auch Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen klinkt sich in die Diskussion ein – und kritisiert die Sozialstrafregelungen.

Gedankenexperiment: Tübingens Oberbürgermeister lässt sich Bürgergeldanspruch ausrechnen

Palmer ließ es sich vom Caritas-Rechner ausrechnen, welchen Bürgergeldanspruch seine Familie hätte: zwei Erwachsene, kein Einkommen, zwei Kinder und eine hohe Miete. Demnach liegt der Bedarf bei 3868 Euro im Monat – 500 Euro würden abgezogen werden, denn das Bürgergeld wird gedeckelt. Einen Screenshot der Rechnung teilt er auf Facebook und schreibt: „Da wird man nicht reich. Aber wenn ich Alleinverdiener wäre, müsste ich schon um die 4500 brutto heim bringen, um dasselbe zu erreichen.“ Er verdiene als Bürgermeister natürlich mehr, fügt er hinzu.

„Unsozial“: Palmer kritisiert Bürgergeldregelungen der Ampel

Seine Kritik richtet der Ex-Grünen-Politiker an die Ampel-Regierung: „Die Haushaltsentscheidungen der Ampel werden als sozial dargestellt“, schreibt Palmer. Daran habe er erhebliche Zweifel, denn: „Wenn es sich kaum noch lohnt, Jobs im unteren bis mittleren Teil des Lohnsegements anzunehmen, dann ist ein Bürgergeld in dieser Höhe unsozial gegenüber denen, die mit eigener Arbeit ihr Leben finanzieren und kaum einen Vorteil gegenüber denen haben, die sich voll von der Gemeinschaft finanzieren lassen.“ Während Betriebe im Niedriglohnbereich händeringend nach Beschäftigten suchen, beziehen rund 4 Millionen erwerbsfähige Menschen Bürgergeld – diese Logik geht für Palmer nicht auf.

Tübingens Oberbürgermeister Palmer

Tübingens Oberbürgermeister Palmer© picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Rechenbeispiele: Arbeit lohnt sich in der Regel immer

Tübingens Oberbürgermeister geht einen Schritt weiter und schreibt: „Das Gegenargument, Arbeit lohne sich immer, ist erstens nicht richtig.“ Ein Gutachten für die Bundesregierung habe gezeigt, dass einige mit Bürgergeld ohne Arbeit besser dastehen, als mit Arbeit. „Zweitens besagen die Rechnungen, die häufig aufgemacht werden: Man habe am Monatsende 300 Euro mehr in der Tasche durch Vollerwerbstätigkeit“ – das würde sich nicht lohnen, heißt es weiter.

Wichtig ist anzumerken, dass Palmer den Bürgergeldrechner mit seinen Angaben gefüttert hat – sie sind deswegen nicht repräsentativ. Focus führte eine Vielzahl an Rechenbeispielen durch – demnach lohne sich Arbeit in der Regel immer. Mit einer Ausnahme: Bessergestellt ist nur eine Familie mit vier Kindern, die vom Mindestlohn leben muss. In so einem Fall würden vom Staat aber noch weitere Hilfen, etwa Wohngeld, folgen.

Bürgergeld: Problem liegt bei unstimmigen Grundsicherungssystemen

Das Problem der Haushaltsbeschlüsse liege darin, dass der Volkswirtschaft Leistungskraft entzogen werde, statt sie zu stimulieren, so Palmer weiter. „Die fünf Milliarden Mehrkosten für 12 Prozent mehr Bürgergeld bei nur noch 3 Prozent Inflation sind unsozial, denn sie vermindern die Leistungskraft der Volkswirtschaft erheblich und werden durch verkappte Steuererhöhungen für Leistungsträger finanziert.“

Auch Ökonom Andreas Peichl vom Ifo-Institut sieht Schwächen im Sozialsystem. „Das Problem ist weniger das Bürgergeld als die Erhöhung des Wohngelds im vergangenen Jahr“, sagt Peichl im Interview mit dem Spiegel. „Diese Anhebung hat zu relativ großen Bereichen geführt, in denen sich mehr Arbeit weniger lohnt“, so seine Einschätzung. Die zwei Grundsicherungssysteme – Bürgergeld und daneben die Systeme Wohngeld und Kindergrundsicherung – würden demnach nicht stimmig aufeinander aufbauen.

„Einschnitte verkraften“: Arbeit lohnt sich, mehr Arbeit nicht

Laut Peichl liege das Problem also nicht darin, dass sich Arbeit nicht lohne – sondern dass sich mehr Arbeit nicht lohne. Es sei ein ständiges, intransparentes Rechenspiel. Palmer befürchtet aber: „Ich habe große Sorgen, dass der Sozialstaat noch viel härtere Einschnitte verkraften muss, wenn wir nicht wieder dafür sorgen, dass die Wirtschaft läuft und Arbeit sich lohnt.“

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Arbeitsmarktforscher legt Zahlen zur Aufhebung von Hartz-IV-Sanktionen vor

Laut einer Untersuchung des Arbeitsmarktforschers Enzo Weber sorgten die im zweiten Halbjahr 2022 ausgesetzten Sanktionen dafür, dass 6,9 Prozent weniger Hartz-IV-Empfänger in den Arbeitsmarkt wechselten. Auch beim Bürgergeld sieht Weber Verbesserungsbedarf.

Enzo Weber schlägt vor, das Bürgergeld anzupassen picture alliance/Zoonar/Smilla72!

Enzo Weber schlägt vor, das Bürgergeld anzupassen picture alliance/Zoonar/Smilla72!© Bereitgestellt von WELT

Das Aussetzen von Sanktionen bei Verstößen gegen Hartz-IV-Regelungen hatte im vergangenen Jahr eine negativere Auswirkung auf die Vermittlung von Arbeitslosen als alle Bürgergeld-Regelungen zusammen. Das geht aus einer Untersuchung des Nürnberger Arbeitsmarktforschers Enzo Weber hervor, die er am Donnerstag auf der Social-Media-Plattform Linkedin veröffentlichte. Die Bundesregierung hatte im zweiten Halbjahr 2022 vor der Einführung des Bürgergeldes ein Sanktionsmoratorium verhängt und auf Kürzungen der Zuwendung im Falle von Verstößen gegen die Hartz-IV-Regelungen praktisch verzichtet.

In diesem Zeitraum sank die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, die in den Arbeitsmarkt wechselten, wegen des Moratoriums der Untersuchung Webers zufolge um 6,9 Prozent. „Der gemessene Moratoriumseffekt bedeutet, dass sieben von 100 Jobaufnahmen, die zuvor in einem Monat stattgefunden hätten, danach nicht mehr zustande kamen. Das liegt in einer spürbaren und kritischen Größenordnung“, sagte Weber.

Das Bürgergeld habe nicht den viel diskutierten Effekt erzeugt, dass Menschen Arbeit aufgeben und lieber das Bürgergeld in Anspruch nehmen. „Noch nie gingen so wenige Menschen aus Jobs neu in die Grundsicherung wie heute“, sagte Weber. Die Zahl der Abgänge aus dem Bürgergeld in Jobs steige allerdings derzeit auch nicht, mit der Bürgergeldeinführung habe es hier einen negativen Effekt von 2,6 Prozent gegeben. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen liege um 220.000 höher als vor der Corona-Pandemie.

Deshalb müsse versucht werden, das Bürgergeld anzupassen. Weber schlägt statt überproportionaler Steigerungen der Regelsätze schnellere Anpassungen an die tatsächliche Inflation vor. Außerdem sollten nicht unbedingt höhere, aber längere Sanktionen möglich sein – mit der Möglichkeit, sie wieder aufzuheben, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Für Einkommenssteigerungen sollte es bessere finanzielle Anreize und eine Anschubhilfe geben.

Es sei auffällig, dass just zu Beginn des Moratoriums im Juli 2022 die Zahl der verhängten Sanktionen auf ein Minimum gefallen sei. „Und tatsächlich tritt auch gerade im Juli der größte Rückgang der Jobchancen auf“, sagte Weber. Gleichzeitig sei aber bei den Arbeitslosen ohne Hartz IV ein vergleichbarer Effekt nicht aufgetreten.

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