Forum

Die Corona-Appelle haben einen Haken

Zitat

Sie kennen sie zum Beispiel von Zigarettenschachteln. "Rauchen kann tödlich sein" steht da. Oder "Rauchen verursacht 9 von 10 Lungenkarzinomen". Dazu sind schlimme Fotos von schwarzen Lungenflügeln, Missbildungen oder anderen verheerenden Dingen auf den Schachteln abgebildet. Sprüche und Fotos sollen zur Abschreckung dienen. Motto: Finger weg von den Zigaretten, sonst werden auch dich die schlimmen Folgen irgendwann ereilen.

In der Gesundheitspsychologie nennt man diese Sprüche und Bilder Furchtappelle. Oder auch Angstappelle. Die Definition laut Wikipedia: "Unter Furchtappellen versteht man Botschaften, die dem Empfänger mitteilen, dass für ihn relevante Werte wie Leben, Gesundheit oder Eigentum bedroht sind. In einem Furchtappell enthaltene Botschaften können beim Empfänger Furcht auslösen und Einstellungs- oder Verhaltensänderungen bewirken."

Relevante Werte wie Leben und Gesundheit?

Die sind natürlich nicht nur durch das Rauchen gefährdet, sondern derzeit insbesondere durch Covid-19, wie man beim Blick auf jede beliebige Nachrichtenseite unschwer erkennen kann. Dort ist beispielsweise zu lesen, dass sich die Zahl der Risikogebiete in sechs Tagen verfünffacht hat, wie meine Kollegen Sandra Sperling, Adrian Röger und Axel Krüger hier im Zeitraffer zeigen.

Und tatsächlich arbeiten auch beim Thema Corona Politiker, Virologen, Epidemiologen oder sonstige Pandemie-Bekämpfer seit Monaten unter Hochdruck mit Furchtappellen. Mal sind die direkt an die Bevölkerung gerichtet, um an die Vernunft zu appellieren. Mal an Kollegen, um diese vor wichtigen Konferenzen unter Druck zu setzen.

So wie gestern.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte beispielsweise: "Wir wollen keinen zweiten Lockdown. Aber ein zweiter Lockdown rückt näher, wenn es keinen Ruck gibt." Und weiter: "Wir sind kurz davor, die Kontrolle zu verlieren." Oder CSU-Generalsekretär Markus Blume in der "Augsburger Allgemeinen Zeitung": "Wir haben nur noch ein ganz schmales Zeitfenster, in dem wir es schaffen können, mit sehr verbindlichen Maßnahmen einen neuerlichen Lockdown zu vermeiden." Oder SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der zuletzt warnte: "Wenn wir 20.000 Neuinfektionen pro Tag hätten, die gleichmäßig über die Altersgruppen verteilt sind, müssten wir mit 200 Toten pro Tag rechnen."

Die Botschaft: Es drohen Krise, Katastrophe und Tod. Wie beim Rauchen, das laut Aufschrift auf der Zigarettenschachtel zu "einem langsamen und schmerzhaften Tod führen“ kann. Es muss dringend etwas passieren. Wir müssen handeln.

Das sind Furchtappelle, die durchaus eine Wirkung auf uns haben können. Die muss allerdings nicht zwangsläufig positiv sein. Droht ein Appell, die Freiheit einzuschränken oder psychischen Druck auszuüben, kann er dazu führen, dass wir die Gefahr herunterspielen oder sogar trotzig reagieren und ihn erst recht nicht befolgen. Ein Raucher zündet sich womöglich aus Trotz eine Zigarette an. In Bezug auf die Corona-Maßnahmen weigert sich womöglich Jemand, die Maske zu tragen.

So ein Appell hat noch einen Haken: Er nutzt sich recht schnell ab.

Und noch einen: Er lässt die Frage offen, was sich eigentlich genau ändern muss.

Viel erfolgreicher sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen deshalb Appelle, die eine Handlungsoption beinhalten, die jeder versteht – und ein mögliches Ergebnis. Zum Beispiel: "Wer das Rauchen aufgibt, verringert das Risiko tödlicher Herz- und Lungenerkrankungen". Und damit sind wir bei den Erwartungen an das heutige Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten – und der Hoffnung auf bundesweit einheitliche und gut verständliche Maßnahmen gegen die rasant steigenden Corona-Infektionszahlen.