Forum

Einschränkungen: Geimpft, Genesen, Getestet?

Zitat

Corona-Quarantäne: Wird bald Ungeimpften in Quarantäne das Geld gestrichen?

 

Bund und Länder diskutieren eine Linie bei der Lohnfortzahlung von Ungeimpften in Quarantäne. Soll der Staat das weiter übernehmen? Wir klären die wichtigsten Fragen.

Worum geht es?

Der Druck auf Ungeimpfte in der Corona-Pandemie steigt: Immer mehr Bundesländer wollen, dass Ungeimpfte in Quarantäne keine Lohnfortzahlung mehr erhalten.

Als es noch keinen oder noch zu wenig Impfstoff gab und Unzählige vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurden, war die Lage klar: Der Staat musste einspringen, denn man konnte sich kaum vor einer Ansteckung schützen. Mittlerweile ist die Situation aber anders: Es gibt einen Impfstoff und es ist genügend davon vorhanden.

Einige Bundesländer haben daher schon beschlossen, dass sie den Arbeitgebern von Ungeimpften während einer Quarantäne die Lohnfortzahlung nicht mehr ersetzen werden. Andere Länder sehen darin eine Benachteiligung und zögern deshalb. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wirbt für eine gemeinsame Linie, damit es nicht zu einem föderalen Regelungschaos kommt. Am Mittwoch will er mit den Gesundheitsministern der Länder eine Lösung finden.

Wie ist die derzeitige Regelung?

Paragraf 56 des Infektionsschutzgesetzes regelt, dass Menschen, die wegen einer Infektion in Quarantäne müssen und nicht arbeiten können, nicht leer ausgehen dürfen. Der Arbeitgeber bezahlt sie weiter, kann sich das Geld aber vom Staat zurückholen. Doch streng genommen nur, wenn sich die Quarantäne nicht hätte vermeiden lassen. Denn im Gesetz heißt es: "Eine Entschädigung (…) erhält nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung (…), die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, (…) eine Absonderung hätte vermeiden können." Dies gilt übrigens auch, wenn jemand eine vermeidbare Reise in ein Risikogebiet antritt und anschließend in Quarantäne muss. Neu ist die Ausnahme nicht – sie wurde gleichzeitig mit der Masernimpfpflicht im März 2020 eingeführt, als die Corona-Pandemie also gerade erst begann.

Dass nun die Länder die Regelung unterschiedlich umsetzen, liegt daran, dass der Infektionsschutz zwar bundesgesetzlich geregelt ist, die Umsetzung dessen aber Angelegenheit der Bundesländer ist.

Wie halten es die Bundesländer bisher?

In Baden-Württemberg wird bereits seit 15. September keine Entschädigung mehr gezahlt, Rheinland-Pfalz folgt ab dem 1. OktoberNordrhein-Westfalen ab dem 11. Oktober. Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen prüfen noch, ob und ab wann die Lohnfortzahlung bei Ungeimpften in Quarantäne entfallen soll. In Berlin hatte man ein solches Vorgehen zunächst kritisch gesehen, mittlerweile hält Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) eine Überprüfung der bisherigen Entschädigungszahlungen mit "Blick auf ein bundeseinheitliches Verfahren" für sinnvoll.

Was ist mit Menschen, die sich nicht impfen lassen können?

Es gibt viele, die sich aus gesundheitlichen Gründen gar nicht impfen lassen können – aber eine Impfung sogar sehr wünschten: Menschen mit bestimmten schweren Allergien gehören ebenso wie bestimmte Krebserkrankte dazu. Berlins Finanzsenator Kollatz hält eine Ausnahme für sie für zwingend, sie sollen auch weiterhin entschädigt werden. Zu klären wäre, wer unter diese Ausnahme fallen soll. Die Ausnahme könnte dann im Infektionsschutzgesetz ergänzt werden, sobald der Bundestag sich nach der Wahl konstituiert hat.

Wie erfährt der Arbeitgeber denn, ob jemand geimpft ist?

Bisher dürfen nur Arbeitgeber in Kitas, Schulen und Pflege abfragen, ob ihre Beschäftigten gegen Covid geimpft sind. Arbeitgeberinnen in anderen Branchen haben dieses Fragerecht nicht.

Allerdings braucht es gar keinen pauschalen Auskunftsanspruch: Im Quarantänefall ergibt sich dieser nämlich automatisch. Wenn nur noch Geimpfte Lohnfortzahlung erhalten können, muss das Unternehmen, das ja in finanzielle Vorleistung tritt, den Impfstatus abfragen. Als Beschäftigte zu dieser Frage zu schweigen, ist dann keine Lösung: Wer die Auskunft verweigert, gilt als ungeimpft und bekommt kein Geld.

Was spricht für die Maßnahme?

Die meisten Bundesländer, die sich für einen Wegfall der Lohnfortzahlung aussprechen, verweisen darauf, dass sich mittlerweile jeder und jede impfen lassen konnte. Wer davon keinen Gebrauch macht, der erhalte laut Infektionsschutzgesetz eben keine Entschädigung mehr.

Darüber hinaus argumentieren die Befürworter ähnlich wie beim Wegfall der kostenlosen Corona-Tests für Ungeimpfte: Wer sich aus persönlichen Erwägungen gegen eine Impfung entscheidet, obwohl diese durch die zuständigen deutschen und europäischen Fachstellen empfohlen wird, trägt dazu bei, dass die Pandemie die ganze Gesellschaft weiter belastet. Er oder sie könne von der Solidargemeinschaft der Steuer- und Beitragszahler nicht erwarten, dass sie die Kosten für sein oder ihr Verhalten übernimmt. Jedenfalls nicht in Gänze. Teilweise geschieht das ja ohnehin: Denn natürlich übernehmen die Krankenkassen auch weiterhin die Behandlungskosten für alle Erkrankten - ob geimpft oder nicht.

Was spricht gegen die Maßnahme?

Ungeimpfte könnten animiert werden, sich nicht an die Quarantäne zu halten – erst recht nicht, wenn die Infektionszahlen weiter steigen und die Gesundheitsämter wegen Überlastung den Überblick über die Kontrolle der Quarantäne verlieren und Strafen weniger wahrscheinlich sind. Doch nicht nur das: Impfskeptiker würden sich möglicherweise erst gar nicht testen lassen – erst recht nicht, wenn sie die Tests ab 11. Oktober privat zahlen müssen, warnt etwa der Virologe Hendrik Streeck. Ungeimpfte werden daher wohl eher eine Infektion verheimlichen, manche werden krank zur Arbeit gehen und andere anstecken. Dem Ziel, die Pandemie beenden zu können, dient das dann nicht.

Was sagen Gewerkschaften und Arbeitgeber?

Sowohl der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) als auch die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind gegen das Ende der Lohnfortzahlung. Sie halten sie für eine "Impfpflicht durch die Hintertür", wie DGB-Chef Reiner Hoffmann sagt. Die Gewerkschaften argumentieren, wenn die Politik eine Impfpflicht in Deutschland ablehnt, dürfe sie den Druck auch nicht indirekt auf die Unternehmen und Beschäftigten verlagern. Den Belegschaften drohe Unsicherheit und Spaltung, da Spannungen zwischen Geimpften und Ungeimpften entstehen dürften. Aus Sicht der Gewerkschaften sind auch die arbeitsrechtlichen Konsequenzen nicht wirklich durchdacht: Besser sei es, für das Impfen zu werben und allen Beschäftigten die Impfung während der Arbeitszeit zu ermöglichen, darunter den Mitarbeitenden aus dem Ausland oder prekär Beschäftigten in Leiharbeit und mit Werkverträgen.

Für die Gewerkschaften spielt aber auch der Beschäftigtendatenschutz eine zentrale Rolle. Die Impfauskunft etwa ist eine Verarbeitung personenbezogener Daten, für deren pauschale Erhebung es keine Rechtsgrundlage gibt. Das hat einen Grund: Man will neue Begehrlichkeiten vermeiden, durch die Beschäftigte, die wegen Vorerkrankungen Benachteiligung befürchten, unter Druck geraten.

Die Arbeitgeberverbände wiederum fordern eine generelle Impfauskunft schon länger – sie halten sie auf dem Weg zurück zu Normalität für unverzichtbar. Und zudem wollen sie die Corona-Tests am Arbeitsplatz für ihre Beschäftigten nicht mehr bezahlen müssen.

Was hat die Lohnfortzahlung im Quarantänefall den Staat bisher gekostet?

Einer Umfrage der Nachrichtenagentur epd zufolge kostete die Entschädigung für Verdienstausfall seit Pandemiebeginn insgesamt mehr als eine halbe Milliarde Euro. Bremen entschädigte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit 4,7 Millionen Euro, Berlin mit 5,8 Millionen Euro, Sachsen zahlte 25,1 Millionen Euro, Thüringen 68,8 Millionen Euro, Niedersachsen 72,1 Millionen Euro, Bayern 83 Millionen Euro. In Nordrhein-Westfalen, dem bevölkerungsreichsten Bundesland, waren es 120 Millionen Euro. Sollten die Entschädigungszahlungen jetzt wegfallen, würde dadurch aber vermutlich deutlich weniger Geld eingespart. Denn da mehr als 60 Prozent der Bevölkerung bereits geimpft sind, werden künftig wohl weniger Menschen in Quarantäne müssen als in den vergangenen anderthalb Jahren.

Was ist im Krankheitsfall – bekommen Ungeimpfte da weiter Lohnfortzahlung?

Wenn ungeimpfte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Covid erkranken und daher nicht arbeiten können, bekommen sie in der Regel Lohnfortzahlung. Die Bedingungen sind Paragrafen 3 Entgeltfortzahlungsgesetz geregelt, das bundesweit gilt und nicht durch einzelne Bundesländer ausgelegt werden kann. Allerdings ist durchaus denkbar, dass mancher sogar ein Ende der Lohnfortzahlung fordern könnte, sieht das Gesetz den Zahlungsanspruch schließlich nur vor, wenn man ohne "eigenes Verschulden" erkrankt ist. Die Beweisführung wäre aber vermutlich schwierig. Zudem auch Freizeitradler oder Raucher im Falle von selbst verschuldetem Unfall oder einer nikotinbedingten Krankheit Lohnfortzahlung erhalten. Da aber niemand eine solche Forderung derzeit ernsthaft erhebt, ist dieses Szenario unrealistisch.

Zitat

Ankündigung des Kanzlers  

In Österreich kommt der Lockdown für Ungeimpfte

Auch in Österreich sind die Infektionszahlen hoch. Erste Einschränkungen hat die Regierung bereits beschlossen. Jetzt will sie noch einen Schritt weitergehen. 

In Österreich soll im Kampf gegen die Corona-Pandemie ein Lockdown für Ungeimpfte eingeführt werden. Die entsprechenden Entscheidungen würden am Sonntag gefällt, kündigte Kanzler Alexander Schallenberg am Freitag angesichts stark steigender Infektionszahlen an.

Schallenberg hatte schon zuvor schärfere Maßnahmen in den Raum gestellt. Ein Lockdown für Ungeimpfte rücke näher. "Jetzt schon ist klar, dass dieser Winter und Weihnachten für die Ungeimpften ungemütlich wird", sagte er. Er nannte die Impfquote von rund 65 Prozent "beschämend niedrig" und forderte die Österreicher erneut auf, sich umgehend einen schützenden Stich zu holen.

Ärzte schlagen immer lauter Alarm 

Das Bundesland Oberösterreich, in dem die Impfquote besonders niedrig und die Infektionsrate besonders hoch ist, hatte bereits am Donnerstag angekündigt, ab Montag einen regionalen Lockdown für Ungeimpfte einzuführen. "Die Situation ist dramatisch", erlärte Ministerpräsident Thomas Stelzer (ÖVP).

Die Zahl der Corona-Neuinfektionen liegt in Österreich wieder auf Rekordhöhe. Am Freitag wurden 11.798 Neuinfektionen mit dem Coronavirus in Österreich gemeldet. 2.294 Corona-Patienten werden im Krankenhaus behandelt, davon 436 auf Intensivstationen. 40 Personen starben. Die Situation in den Kliniken verschärfte sich weiter. Ärzte und Pflegekräfte schlagen inzwischen immer lauter Alarm.