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Fall Nawalny

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Russland: Kämpfer gegen die Korruption: Nawalny nahm auch Nord Stream 2 ins Visier

Der Oppositionsführer galt vor seiner Vergiftung als einer der schärfsten Kritiker des Kreml. Dabei ging er auch mit der Ostseepipeline hart ins Gericht.

George Clooney hin oder her, dieser Vergleich war für den Kreml wenig schmeichelhaft: „Wie beim Hollywood-Schlager ‚Oceans Eleven‘ hat auch Wladimir Putin mit seinen Freunden den Plan geschmiedet, den Diebstahl des Jahrhunderts zu organisieren“, heißt es in einem Film von Alexej Nawalny. „Nur räumten sie keinen Tresor aus, sondern plünderten ein ganzes Land: Putin und seine Freunde.“

Mit markigen Worten und Bildmaterial aus Steven Soderberghs Erfolgsfilm „Oceans Eleven“ griff Nawalny in dem Beitrag den Kremlherrn und dessen engste Freunde scharf an. „Sie holen sich Staatsaufträge und berauben das Land um Milliarden“, hieß es da aus dem Off.

Der Film zeigt, was manche Fürsprecher der milliardenschweren Pipeline Nord Stream 2 dieser Tage bestreiten: Zwischen Nawalny und der Debatte um einen möglichen Baustopp des Projekts gibt es durchaus eine Verbindung.

Denn vor seiner Vergiftung galt Nawalny nicht nur als einer der schärfsten Kritiker des russischen Staatschefs Wladimir Putin, er nahm auch den mächtigen Gazprom-Konzern und dessen Ostseepipeline Nord Stream 2 ins Visier.

Tiefe Einblicke

Bereits im Jahr 2008 hatte Nawalny Gazprom-Manager auch mit Klagen wegen Betrugs, Veruntreuung und Diebstahls angezeigt. Als Kleinaktionär des vom Kreml kontrollierten weltgrößten Erdgasförderers nahm er tiefen Einblick in den Konzern und bemühte als geschädigter Anleger die Gerichte.

Mit seinem Youtube-Kanal „Nawalny live“ und seinem „Livejournal“ erreichte Nawalny Millionen von Russen – und zeigte ihnen Villen, Weingüter und Megajachten der Mächtigen aus der Drohnenperspektive. Dabei belegte er mit Dokumenten, woher das Geld für die unermesslichen Reichtümer stammte: aus Selbstbedienung und Korruption.

So auch beim Bau von Nord Stream 2 – wo vor allem die unter Putin zu Multimilliardären gewordenen engen Freunde des Staatschefs, Gennadi Timtschenko und Arkadi Rotenberg, profitiert haben sollen.

Ihre Firmen namens Strojgasmontazh und Strojtransneftegaz hätten ohne Ausschreibungen milliardenschwere Bauaufträge zur Errichtung der Pipeline und der dazugehörigen Kompressorstation für Nord Stream 2 bekommen, wurde auf „Nawalny live“ berichtet.

Und gute Quellen dafür wurden den Millionen Zuschauern auch gezeigt: etwa ein Analystenbericht der mehrheitlich staatlichen russischen Sberbank, des mit Abstand größten Finanzinstituts ganz Osteuropas.

In dem Analystenbericht wird die Ostseepipeline als „absolut wertvernichtendes Projekt“ gebrandmarkt. Milliardenschwere Megainvestments wie Nord Stream 2 seien „die Möglichkeit, die fest verwurzelten Bauunternehmer des Konzerns auf Kosten der Aktionäre zu beschäftigen“.

Die gigantischen Baukosten für die Rohrleitung würden „binnen 20 Jahren nicht wieder reingeholt“, im Gegenteil: Nord Stream 2 bringe Gazprom dauerhaft sechs Milliarden Dollar Verlust. Das wäre immerhin mehr als ein Zentel der aktuellen Börsenmarktkapitalisierung des Gasriesen. Der Konzern wies die Vorwürfe zurück.

Nawalny steht mit Kritik nicht allein

Der Analystenreport der Sberbank stieß bei den angeschwärzten Freunden Putins auf wenig Gegenliebe. Der Autor der Studie und dessen Vorgesetzter wurden von der Bank gefeuert.

Timtschenko und Rotenberg zählen seit Anfang der 1990er-Jahre zu den Weggefährten Putins, der damals Vizebürgermeister von St. Petersburg war. Seit Jahren erhalten sie Staatsaufträge, und das meist ohne Ausschreibung und zu zumeist deutlich überhöhten Kosten. So hatte Nawalny angeprangert, dass russische Pipeline-Teile dreimal so teuer seien als in Deutschland verlegte Rohre.

Mit seiner Kritik steht Nawalny nicht allein: Auch Bill Browder, einst der größte Auslandsinvestor in Russland, hatte Gazprom scharf kritisiert. Er hatte Gazprom-Managern vorgeworfen, Insiderhandel mit Gas zur eigenen Bereicherung zu betreiben.

Zudem prangerte er den Konzern angesichts deutlich überhöhter Kosten wegen Betrugs und Diebstahls an. Sein Anwalt Sergej Magnitzki starb elendig in einer Moskauer Haftzelle. Er litt an einer offensichtlichen Erkrankung. Offenbar versuchte man, ein Geständnis gegen Browder zu erpressen.

Auch der frühere Vizeenergieminister Wladimir Milow wirft Gazprom auf „Nawalny live“ schweres Missmanagement, Unterschlagung und Selbstbereicherung durch Topmanager vor, was im ersten Halbjahr zu den ersten Verlusten des Konzerns seit Jahren geführt habe.

Nawalny: Milliarden wurden versenkt

Und auch deutsche Ökonomen wie Claudia Kemfert vom Berliner DIW oder Niklas Höhne sind davon überzeugt, dass Nord Stream 2 unwirtschaftlich und für die deutsche Gasförderung unnötig ist. Die Ostseepipeline könne „sogar zu höheren Preisen führen, denn sie ist relativ teuer“, sagte Höhne dem „Deutschlandfunk“.

Der Leiter des New Climate Institute in Köln und Mitautor der Berichte des Weltklimarats fügte hinzu: „Wenn Nord Stream 2 noch nicht gebaut worden wäre, dann hätte ich ganz klar gesagt: ‚Das ist eine Pipeline, die brauchen wir nicht, weil sie sogar kontraproduktiv ist, was den Klimaschutz angeht.‘“ Aus Umweltgründen müsse diese „Investitionsruine“ ohnehin in fünf bis zehn Jahren abgeschaltet werden.

So lautete auch der Vorwurf von Nawalny. Dem Kremlkritiker zufolge werden mit dem Pipelineprojekt Milliardensummen versenkt, aber zugleich die Freunde Putins noch reicher gemacht.

Es scheint, als habe Nawalny in seinem Youtube-Beitrag über „Putins Ocean Eleven, die Freunde und Diebe“ auch sein eigenes Schicksal vorausgesehen. Darin zeigte er die verstörenden Bilder des sterbenden KGB-Überläufers Alexander Litwinenko.

Der war von russischen Agenten mit nuklearem Polonium im Tee vergiftet worden und qualvoll im Krankenhaus gestorben. Dazu blendete Nawalny Putins Worte ein: „Verräter müssen bestraft werden.“