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Maskenpflicht

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Allergologe: "Ein einmaliges Massenexperiment"

Seit mehr als einem Jahr trägt Deutschland Maske  eine Hygienemaßnahme, die die Ausbreitung des Coronavirus eindämmen soll. Doch sie könnte weitreichende Konsequenzen haben, erläutert ein Allergologe.

Masken sollen das Risiko einer Übertragung von Coronaviren verringern. Doch sie schützen nicht nur vor dem neuartigen Virus, sondern natürlich auch vor anderen Keimen und Bakterien.

Diese stellen jedoch eine dauernde Herausforderung des Immunsystems dar. Der Kontakt mit ihnen ist nötig, um unsere Abwehr zu trainieren. Geschieht dies nicht, verlernt das Immunsystem, sich mit den Eindringlingen auseinanderzusetzen und könnte verstärkt mit Allergien reagieren.

t-online hat mit dem Leiter der Allergiefolgenforschung der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Berliner Charité, Dr. Torsten Zuberbier, gesprochen.

t-online: Herr Zuberbier, wie gestaltet sich das Pollenjahr bislang? Viele Allergiker berichten von besonders heftigen Reaktionen …

Dr. Torsten Zuberbier: Das ist auch mein Eindruck, ohne dass es natürlich dazu bislang wissenschaftliche Auswertungen gäbe. Aber die Witterung spielt natürlich eine entscheidende Rolle. Bis in den Mai hinein war es sehr feucht in unseren Breitengraden. Das heißt: Die Pflanzen, die Pollen produzieren, auf die Allergiker reagieren, konnten sich gut entwickeln. Wenn jetzt natürlich eine anhaltende Hitzeperiode droht, kann sich das ändern.

Macht es bezüglich der Heftigkeit der allergischen Reaktion einen Unterschied, ob ich in der Großstadt lebe oder auf dem Land?

Ja, dichte Bebauung und zum Beispiel auch Straßenverkehr bedingen höhere Temperaturen. Die Ozon- und Feinstaubbelastung ist natürlich höher. Beides ungünstige Faktoren für Allergiker. Aber dieses Thema wird uns nicht verlassen, darüber müssen wir uns alle im Klaren sein. Der Klimawandel tut hier sein Übriges.

Das heißt, Allergiker haben besonders unter dem Klimawandel zu leiden?

Ja, in der Summe hat sich in den letzten 20 Jahren der Pollenflug sowohl verstärkt als auch der Zeitraum verlängert.

Wie reagiere ich als Allergiker am besten darauf?

Das Wichtigste ist es, die Erkrankung ernst zu nehmen und kontinuierlich über die Pollenflugzeit zu behandeln. Gemeinsam mit Ihrem Arzt sollten Allergiker entscheiden, welche Behandlung individuell optimal ist. Diese kann zum Beispiel auch über die Pollenzeit variieren und angepasst werden an die Stärke des Pollenfluges. Das Ziel ist es, über die ganze Saison beschwerdefrei zu bleiben.

Woran merke ich überhaupt, dass ich eine Allergie habe? Sind das immer nur die klassischen juckenden Augen?

Nein, bei Weitem nicht. Wenn Sie sich zum Beispiel über längere Zeit morgens verquollen fühlen, unausgeschlafen sind, oder vermehrt Schleim produzieren, sollten Sie einen Allergietest machen lassen. Eventuell kämpft Ihr Körper mit einer unerkannten allergischen Entzündung. Niesen oder Juckreiz sind ebenfalls klassische Symptome.

Nun trägt Deutschland seit über einem Jahr Maske, um die Verbreitung des Coronavirus zu stoppen. Viele Allergiker berichten, dass damit auch ihre Symptome gemildert wurden…

Ja, das stimmt und das ist auch logisch nachvollziehbar. Durch die Masken wird die Pollenaufnahme reduziert. Aber in puncto Lebensqualität hat das natürlich keine Vorteile. Wer will schon dauerhaft Masken tragen? Für Allergiker eignen sich in der Wohnung zum Beispiel Raumluftreiniger oder Pollengitter.

Was lässt sich angesichts der anhaltenden Maskenpflicht bezüglich des Allergierisikos allgemein sagen?

Das Maskentragen, verbunden mit einer verstärkten Hygiene ‒ zum Beispiel durch Händedesinfektion ‒ ist in diesem Umfang ein einmaliges Massenexperiment. Klar ist: Unser Immunsystem braucht Gegner, damit es die Abwehr trainiert und hochfährt. Wir wissen nicht, ob das dauerhafte Maskentragen diesen Mechanismus nicht auch behindert.

Wissenschaftlich gesichert ist die sogenannte Hygienetheorie, die erklärt, warum es insgesamt mehr Allergiker als vor 100 Jahren gibt. Diese Theorie besagt, dass sich Bakterien, die sich zum Beispiel im Kuhställen befinden, schützend auf die Entwicklung von Allergien auswirken. Welchen Effekt die jetzt eingeleiteten Hygienemaßnahmen auf Allergien haben, können wir allerdings erst später beurteilen.

Welche neuen Ansätze in der Allergiebehandlung neben zum Beispiel der klassischen Hyposensibilisierung sind vielversprechend?

Es laufen Studien, die die Rolle der Ernährung in den Blick nehmen, speziell das Mikrobiom des Darms. Grob gesagt, geht es um die Anzahl und Zusammensetzung der Darmbakterien.

Hier zeigt sich: Durch die Gabe bestimmter Darmbakterien lässt sich die Reduktion der allergischen Reaktionen und damit ein verbessertes Wohlbefinden der Patienten erreichen. Das wird uns in Zukunft noch weiter beschäftigen.

Herr Zuberbier, wir danken Ihnen für das Gespräch!