Forum

Forum-Breadcrumbs - Du bist hier:ForumPolitik: EU - newsReligion in Deutschland

Religion in Deutschland

Zitat

Ablösung der Staatsleistungen an Kirchen: Wie das Parlament seit 102 Jahren einen Verfassungsauftrag ignoriert

 

Für Enteignungen im 19. Jahrhundert zahlen die Länder jedes Jahr Millionen an die Kirchen. Dabei soll der Bund seit mehr als 100 Jahren eine Lösung finden.

Es sind nur zwei Sätze in der Weimarer Reichsverfassung von 1919, doch ihr Auftrag besteht bis heute - und kostet die Steuerzahler jedes Jahr mehr als eine halbe Milliarde Euro. Im leicht verstaubten Juristen-Deutsch heißt es unter Artikel 138: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."

Dies ist eine Geschichte, die ihren Ursprung teils zu Zeiten der Reformation hat und sich im Kern um Entschädigungszahlungen an die beiden großen Kirchen dreht. Und sie ragt bis in die Gegenwart hinein, denn dem Verfassungsauftrag, den die Verfasser der Weimarer Reichsverfassung im Sommer 1919 formulierten, wurde bis heute nicht nachgekommen.

Am heutigen Donnerstag, fast 102 Jahre nach Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung, hätte der Deutsche Bundestag die Möglichkeit, endlich zu handeln. Ein gemeinsamer Antrag von FDP, Linke und Grüne will eine Ablösung erreichen. Denn es geht um viel Geld. Allein im vergangenen Jahr 2021 erhielten die katholische und die evangelische Kirchen 595 Millionen Euro sogenannter Staatsleistungen.

Die Antragssteller äußern sich vorab optimistisch: "Es besteht erstmals die historische Chance die Ablösung der Staatsleistungen in die Wege zu leiten", sagt FDP-Politiker Benjamin Strasser dem Tagesspiegel. Für die Liberalen hat er den Antrag mitgeschrieben. Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, sagt: "Unser Gesetzentwurf gewährleistet die angesichts der Dauer des unerfüllten Auftrags dringend gebotene Rechtssicherheit und stellt zugleich eine mehrheitsfähige Regelung dar, um den Ablöseprozess endlich voranzubringen."

Um die Problematik zu verstehen, muss man weiter zurück als in die Weimarer Republik. Zurück bis zum Dreißigjährigen Krieg, der mit dem Westfälischen Frieden und großen Enteignungen der evangelischen Kirche endet. Ein Schicksal, das später, nach den napoleonischen Kriegen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, auch die katholische Kirche ereilt. Doch die Kirchen verlieren ihre Ländereien und Besitztümer nicht ohne Gegenleistung. Unzählige lokale Verträge, Konkordate und andere Vereinbarungen sichern den Kirchen staatliche Entschädigungszahlungen zu.

Fortan zahlen die Könige, Kurfürsten, Fürsten und Herzöge Entschädigungen an die Kirchen. Erst als die Monarchie in Deutschland mit dem Ende des Ersten Weltkriegs endet, geraten die Zahlungen in den Fokus der Politik. Doch auf die beiden Sätze der Weimarer Reichsverfassung folgte erst einmal - nichts.

"In der Weimarer Republik hatte man ganz andere Sorgen", sagt der Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig, der sich seit vielen Jahren mit den Staatsleistungen beschäftigt. 1919 ist der Weltkrieg ist frisch verloren, hohe Reparationszahlungen lasten auf der jungen Demokratie, am Horizont warten bereits Weltwirtschaftskrise und Umsturzversuche der Nationalsozialisten. So wird zur Ablösung der Staatsleistungen lediglich ein Referentenentwurf erarbeitet, bis ins Parlament schafft der es allerdings nie.

Der Auftrag steht heute im Grundgesetz

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird der Verfassungsauftrag aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz unter Artikel 140 aufgenommen. Doch wieder passiert nichts. In den ersten Jahre der Bundesrepublik unter CDU-Kanzler Konrad Adenauer sei das Thema wenig populär gewesen, erklärt Rechtswissenschaftler Heining, der Kirchenrecht an der Universität Göttingen lehrt: "Die Ablösung hatte immer den Ruf des kirchenfeindlichen." Dabei geht es bei der Ablösung nicht um die Aussetzung der Kirchensteuer, sondern um eine finanzielle Trennung von Kirche und Staat.

Doch weder CDU, noch SPD trauten sich an die Thematik und so zahlen die Bundesländer bis heute an die Kirchen. Denn nicht der Bund, sondern die einzelnen Ländern gelten in der Rechtsnachfolge der Fürsten, Herzöge und Könige als Schuldner.

Dass über die Jahrzehnte nicht gehandelt wurde, hat zwei Gründe, erklärt Hans Michael Heinig: Erstens haben die Verfasser der Weimarer Reichsverfassung dem Gesetzgeber keine Frist gesetzt. Der zweite Grund liegt im Wort "Ablösung". "Ablösung heißt Einstellung der Zahlung gegen Entschädigung", sagt Heinig.

Genau um diese Entschädigung wird gerungen. Teils zahlen die Länder lieber jährlich ein paar Millionen als auf einen Schlag hunderte Millionen und dann nie wieder. Eine Entscheidung ohne Weitblick. "Hätte man vor 50 Jahren abgelöst, hätte man sich fiskalisch viel gespart."

Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf von Grünen, Linken und FDP schlägt eine Entschädigungszahlung, in Höhe des 18,6-fachen der Zahlungen von 2020 vor. Gezahlt werden könnte auch in Raten. "Damit stellen wir sicher, dass die Kirchen ihre derzeitigen, wichtigen Leistungen für die Gesellschaft fortsetzen können", sagt der Grünen-Antragsteller Konstantin von Notz.

Kirchen und SPD wollen weitere Gespräche

Selbst die evangelische Kirche, die den Großteil der jährlichen Zahlungen erhält, gibt sich offen. "Der Entwurf ist eine hilfreiche Grundlage für weitere notwendige Erörterungen", sagt eine EKD-Sprecherin auf Anfrage. Zu solchen Gesprächen sollten Vertreter der Bundesländer, der Landeskirchen und Diözesen hinzugezogen werden, weil sie später die Vorgaben eines Grundsätzegesetzes umsetzen müssen, so die Sprecherin.

Ähnlich äußert sich der religionspolitische Sprecher der SPD, Lars Castellucci. "Die Sicht der Länder ist in dem Gesetzesentwurf von FDP, Linken und Grünen nicht berücksichtigt. Wir schlagen daher zunächst eine Kommission vor, die alle an einen Tisch holt, und unter Beteiligung der Bundesländer eine Lösung erarbeitet", sagt er dem Tagesspiegel.

FDP-Mann Benjamin Strasser ärgert das Hinhalten der großen Koalition, die bislang keinen eigenen Antrag erarbeitet hat. "Wenn nun Union und SPD mit dem fadenscheinigen Verweis auf eine angebliches Beteiligungsrecht der Länder unseren Vorschlag ablehnen und keinen eigenen Vorschlag vorlegen, zeigen sie nur, dass sie das Thema offensichtlich weiter aussitzen wollen." Die Länder und Kirchen seien in den vergangenen Jahren mehrfach miteinbezogen worden.

Rechtswissenschaftler Hans Michael Heinig glaubt nicht an eine Annahme des Antrags der Opposition, der am heutigen Donnerstag in die zweite und dritte Lesung geht. Trotzdem hätten die Initiatoren einen Erfolg gehabt, weil sie das Thema nach 102 Jahren wieder auf die Agenda gesetzt hätten. Die nächste Regierung werde sich damit beschäftigen müssen, sagt Heinig. "Wir werden das Thema nicht noch einmal 20 oder 100 Jahre liegen lassen."

 

 

 

 

 

Zitat

Steuern und Kirchgeld  

Diese Folgen hat ein Austritt aus der Kirche

Mit dem Austritt aus der Kirche entfällt die Kirchensteuer. Einen Schlussstrich bedeutet das aber nicht immer. Wir erklären, welche Folgen der Kirchenaustritt hat.

Jedes Jahr kehren Hunderttausende Menschen in Deutschland der Kirche den Rücken. Daran änderte auch die Pandemie nichts. Zumindest bei den Protestanten waren die Zahlen jedoch nicht so hoch wie in den Jahren zuvor.

So wanderten 2020 laut dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, 10 bis 20 Prozent weniger Protestanten ab als 2019. Damals waren rund 270.000 Menschen ausgetreten. Die katholische Kirche hingegen kämpfte im vergangenen Jahr erneut mit steigenden Austritten. Grund war unter anderem ein neues Missbrauchsgutachten.

Der am häufigsten genannte Grund für einen Kirchenaustritt ist aber die Kirchensteuer. Doch nicht immer bedeutet der Abschied auch eine Geldersparnis. Wir erklären, was es mit dem besonderen Kirchgeld auf sich hat und wie ein Kirchenaustritt funktioniert.

Wie funktioniert der Kirchenaustritt problemlos?

Der Akt als solches geht schnell: Einfach persönlich bei der zuständigen Stelle vorbeikommen – je nach Bundesland beim Amtsgericht oder beim Standesamt –, Personalausweis mitbringen, Formular ausfüllen und unterschreiben. Manchmal verlangen die Behörden allerdings weitere Unterlagen wie etwa eine Geburtsurkunde.

In der Regel wird eine Gebühr fällig. Einen Grund muss aber niemand angeben, der austreten möchte. Frühestens möglich ist ein Kirchenaustritt ab 14 Jahren.

Welche Tücken lauern beim Kirchenaustritt?

Wer aus der Kirche austritt, zahlt anschließend keine Kirchensteuer mehr. Dennoch kann ein Teil des Einkommens an die Glaubensgemeinschaft fließen, wenn der Ehepartner weiter Mitglied ist. In manchen Teilen Deutschlands muss er das besondere Kirchgeld zahlen, wenn das sogenannte glaubensverschiedene Ehepaar eine gemeinsame Steuererklärung abgibt.

Das Finanzamt berechnet diesen Beitrag auf der Grundlage des gemeinsam zu versteuernden Einkommens. Diese Praxis hat das Bundesverfassungsgericht mehrmals bestätigt (Az.: 2 BvR 816/10). Gestaffelt nach Einkommen werden nach Angaben der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz jährlich zwischen 96 und 3.600 Euro fällig, die das Kirchenmitglied anstelle der Kirchensteuer zahlt.

Wann muss einer für zwei zahlen?

Das besondere Kirchgeld wird nur dann erhoben, wenn es die Kircheneinkommensteuer übersteigt. Dies kann dazu führen, dass ein Mitglied nun mehr Geld an die Kirche zahlt, weil der Partner ausgetreten ist.

  • Beispiel: Eine gut verdienende Ingenieurin ist aus der Kirche ausgetreten. Ihr Ehemann, der als Friseur ein geringeres Gehalt bekommt, ist weiter Mitglied. Die beiden lassen sich steuerlich gemeinsam veranlagen. Da zur Berechnung des Beitrags an die Kirche das gemeinsame zu versteuernde Einkommen berücksichtigt wird, zahlt der Friseur mehr als zuvor. Denn zuvor wurde die Hälfte der Kirchensteuer seiner Partnerin zugerechnet.

Dies gilt allerdings nicht in allen Regionen Deutschlands: Das besondere Kirchgeld verlangen die römisch-katholischen Bistümer außerhalb Bayerns, Baden-Württembergs und Nordrhein-Westfalens sowie alle evangelischen Landeskirchen bis auf die bayerische.

Worauf sollte ich nach dem Kirchenaustritt achten?

"Beim nächsten Steuerbescheid sollte man genau schauen, dass die Kirchensteuer nur für diesen Teil des Jahres, in dem man noch in der Kirche war, berechnet wird", rät Erich Nöll vom Bundesverband der Lohnsteuerhilfevereine.

Wer aus der Kirche ausgetreten ist, sollte dann prüfen, dass die Änderung auf der elektronischen Lohnsteuerkarte vermerkt ist. Sonst wird weiter die Kirchensteuer erhoben. Bewahren Sie deshalb Ihre Austrittsbescheinigung gut auf, um dies im Zweifel nachweisen zu können.

Kann ich Kirchensteuern absetzen?

Ja. Die Belastung durch die Kirchensteuer ist auch für Mitglieder geringer als die veranschlagte Kirchensteuer, erklärt Nöll. "Kirchensteuer ist wie Spenden in voller Höhe steuerlich absetzbar. Sie wird bei den Sonderausgaben geltend gemacht und entsprechend des Steuersatzes gibt es eine Steuererstattung."

Ausgenommen ist allerdings die Kapitalertragsteuer, die Banken automatisch einbehalten, sobald der jährliche Freibetrag auf Zins- und Dividendeneinkünfte (801 Euro, für Ehepaare 1.602 Euro) überschritten ist. Bei der Berechnung berücksichtigt das Geldinstitut die Kirchensteuer bereits.

 

Welche religiösen Folgen hat der Kirchenaustritt?

Wer das Austrittspapier in der Hand hält, ist genaugenommen nur aus der Kirchensteuer-Gemeinschaft ausgetreten, nicht aus der Religionsgemeinschaft, erklärt Christian Weisner von der katholischen "KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche": "Der Vatikan in Rom sagt: Wer getauft ist und nicht vom Glauben abgefallen ist, gehört trotzdem dazu, auch wenn er keine Kirchensteuer mehr bezahlt." Niemand braucht also eine Exkommunikation zu fürchten.

Unabhängig davon hat die Katholische Deutsche Bischofskonferenz vor einigen Jahren klargestellt, dass dieser Schritt "eine schwere Verfehlung gegenüber der kirchlichen Gemeinschaft" darstelle. Für jeden, der sich dazu entschließe, sei die "aktive Teilnahme am kirchlichen Leben eingeschränkt". Die Folgen im Überblick:

Taufe

Bei Protestanten ist es "wünschenswert", dass bei der Taufe eines Kindes wenigstens ein Elternteil der evangelischen Kirche angehört, wie die EKD erläutert.

Weil das aber nicht in allen der 20 Landeskirchen Voraussetzung sei, "entscheidet letztendlich das Pfarramt vor Ort, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um ein Kind zu taufen". Auch in der katholischen Kirche wird im Einzelfall entschieden.

Hochzeit

In der Regel müssen für eine evangelische Trauung beide Eheleute Kirchenmitglieder sein. Wenn nur ein Partner Mitglied ist, gibt es verschiedene Regelungen: "Einige Landeskirchen bieten ausnahmsweise eine evangelische Trauung an, andere Landeskirchen kennen die Möglichkeit eines 'Gottesdienstes anlässlich einer Eheschließung'", sagt eine EKD-Sprecherin.

Ähnlich wie bei der Taufe ist bei den Katholiken der Einzelfall entscheidend: "Wenn Sie katholisch heiraten möchten, ist dafür eine besondere Erlaubnis des Bischofs notwendig", sagt die Deutsche Bischofskonferenz. "Wenn ein Partner in der Kirche ist, kann eine kirchliche Ehe vollzogen werden", ergänzt Weisner.

Beerdigung

Wer nicht oder nicht mehr Mitglied der Kirche ist, kann nicht auf ein katholisches Begräbnis hoffen. Dazu hat die Deutsche Bischofskonferenz folgenden Hinweis: "Es kann Ihnen das kirchliche Begräbnis verweigert werden, wenn Sie vor dem Tod kein Zeichen der Umkehr und der Reue gezeigt haben."

Nach einem Austritt sei davon auszugehen, dass die Person nicht kirchlich begraben werden will – sondern dass eher die Angehörigen diesen Wunsch hätten. Prinzipiell gilt: Auch hier ist es eine Frage des Einzelfalls.

Die evangelische Kirche verweist in dieser Frage auf die Angehörigen, stellt aber klar: "Grundsätzlich ist dies nicht möglich." Da eine Beerdigung aber ein seelsorgerischer Akt gegenüber den Hinterbliebenen sei, könnten auch Ausnahmen gemacht werden.

Bin ich durch einen Kirchenaustritt konfessionslos?

Rechtlich gesehen ja. Sofern Sie nicht eine andere Religion annehmen, zählen Sie prinzipiell zu den Konfessionslosen. Allerdings unterscheidet sich Ihr Status von dem eines Konfessionslosen, der noch nie einer Kirche angehört hat. Denn schließlich wurden Sie getauft – eine Tatsache, die nicht rückgängig zu machen ist.

Kann ich wieder eintreten?

Ein Eintritt oder Wiedereintritt in die Kirche ist grundsätzlich möglich. Er ist kostenlos. Eine erneute Taufe ist nicht notwendig. "Sie gilt als unauslöschliches Merkmal lebenslang", erklärt Weisner. Wer in eine andere christliche Kirche als bisher eintreten will, muss an einem sogenannten Konversionsunterricht teilnehmen.

Kirchenneulinge bekommen zudem eine Unterweisung – eine Katechese – und werden anschließend als Erwachsene getauft. Informationen dazu gibt es entweder beim zuständigen Pfarramt des Wohnsitzes, bei einer der evangelischen Kirchenwiedereintrittstellen oder über die Internetseite katholisch-werden.de.

 

Zitat

Überschuldung, Sparzwang – Jetzt trifft der Mitgliederschwund die Kirchen auch finanziell

Der dramatische Mitgliederschwund reißt nun auch große Löcher in die Kirchen-Finanzen: Zwar sind die Einnahmen aus der Kirchensteuer über Jahre angewachsen. Doch Austritte und Alterung der Gesellschaft wiegen schwerer. Jetzt fangen erste Gemeinden an, an Pensionen und Gebäudebestand ranzugehen.

K.-H. Schein/J. de Cuveland/pa/imageBROKER(2); Roman Studio/Getty Images; Montage: Infografik WELT/J.Baumgarten

K.-H. Schein/J. de Cuveland/pa/imageBROKER(2); Roman Studio/Getty Images; Montage: Infografik WELT/J.Baumgarten© Bereitgestellt von WELT

Besonders düster sieht es für die Protestanten in Westfalen aus. Ihnen fehlt zum einen die Chefin, nachdem Annette Kurschus vor zwei Wochen neben dem Ratsvorsitz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auch ihr Amt als Präses der westfälischen Landeskirche niederlegte. Zum anderen fehlt es an Geld.

Erstmals geht die Landeskirche mit ihren gut zwei Millionen Mitgliedern ohne genehmigten Haushalt in ein neues Jahr. Weil bei den finanziellen Verpflichtungen für 2024 eine Deckungslücke von mehr als 14 Millionen Euro nur durch Entnahmen aus Rücklagen gestopft werden kann, versah die Synode der Landeskirche Ende November die Finanzplanung mit zahlreichen Bedingungen und Auflagen und erließ eine Haushaltssperre. Zudem müssen die kirchlichen Finanzer bis Mai 2024 einen Nachtragshaushalt sowie ein Haushaltssicherungskonzept für „die mittelfristige Sicherstellung der Liquidität“ vorlegen. Diese Beschlussformulierung heißt faktisch: Im Frühjahr steht eine heftige Spardebatte an.

Allein aber stehen die westfälischen Protestanten mit den Geldsorgen nicht. Die haben auch Katholiken in Bayern, wo das Erzbistum München und Freising schon im Sommer davon ausging, dass im laufenden Jahr die angepeilten Ausgaben von 894 Millionen Euro die Einnahmen um mehr als 60 Millionen Euro übersteigen. Ebenfalls schon im Sommer musste das Bistum Dresden-Meißen die Ruhestandsbezüge seiner pensionierten Priester wegen knapper Finanzen um gut drei Prozentpunkte kürzen. Und bei den Evangelischen waren nun im Spätherbst auch die Synoden mehrerer anderer Landeskirchen mit sehr knappen Kassen konfrontiert.

Denn in diesem Jahr werden die negativen Effekte des Mitgliederschwunds erstmals größer als die für die Kirchen positiven Einflüsse der staatlichen Steuerpolitik. An ihr ist für die Kirchen günstig, dass wegen des hohen Beschäftigungsstands in Deutschland das Aufkommen der Einkommensteuer permanent gestiegen ist. Und weil die Kirchensteuer für Mitglieder als Aufschlag auf die Einkommensteuer erhoben wird, stiegen auch diese Kircheneinnahmen. Auf insgesamt gut 13 Milliarden Euro bei Protestanten und Katholiken 2022. Auch für 2023 wird ein – allerdings geringes – Wachstum erwartet.

Infografik WELT

Infografik WELT© Bereitgestellt von WELT

Dieses aber hält mit der Zunahme des staatlichen Einkommensteueraufkommens nicht mehr Schritt, fällt im Vergleich zurück und kann die kirchlichen Kostensteigerungen bei Personal und Gebäuden nicht mehr ausgleichen. Denn den Kirchen gehen die zahlenden Mitglieder aus. 2022 verließen insgesamt rund 900.000 Menschen die beiden Kirchen, und die Autoren der jüngsten Mitgliedschaftsuntersuchung rechnen für den Zeitraum von 2023 und 2025 allein für die evangelische Kirche zusätzlich „mit dem Austritt von insgesamt fast einer Million evangelischer Kirchenmitglieder“. Bei den Katholiken könnten die Zahlen sogar noch höher liegen. Und mehr Austritte bedeuten nun einmal weniger Mitgliedsbeiträge in Form von Kirchensteuern.

Zudem trifft der demografische Wandel die Kirchen noch härter als den Staat, weil ihre Mitglieder einen höheren Altersdurchschnitt als die Gesamtbevölkerung haben und demnächst in großer Zahl in Rente gehen. Rentner aber zahlen nur wenig oder gar keine Kirchensteuer. Und „als verstärkender Effekt“ komme hinzu, schrieb kürzlich Tobias Hentze vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft, „dass unter den Erwerbstätigen im Laufe der kommenden Jahre der Anteil der Kirchensteuerzahler sinken wird, da von den jüngeren Jahrgängen ein kleinerer Anteil Mitglied der Kirchen ist“.

Gewaltiger Finanzbedarf für Pensionen

Entsprechend sagte in der kleinen Bremischen Landeskirche, deren Mitgliederzahl in den vergangenen elf Jahren um 27 Prozent auf nur noch 160.000 gesunken ist, Schatzmeister Oliver Gampper vor der Synode im November, angesichts des schnelleren Mitgliederverlustes und sinkender Kirchensteuereinnahmen sei „die Sorge groß“, „dass die beschlossenen Kürzungen gar nicht ausreichen“. Und in der Landeskirche Hessen und Nassau (rund 1,5 Millionen Mitglieder) sagte Finanzdezernent Thorsten Hinte, dass man das bisherige Einsparziel von 140 Millionen Euro bis 2030 wohl auf 185 Millionen Euro erhöhen müsse.

Beschlossen wurde in Hessen und Nassau erst einmal, das dort 34 Pfarrstellen abgebaut werden, die nicht in Gemeinden angesiedelt sind, sondern auf landeskirchlicher Ebene. Etwa die Stelle „Kirche in der Arena“ im Frankfurter Stadion oder drei von sechs Stellen in der Notfallseelsorge. In der bayerischen Landeskirche sollen deren Zuschüsse für Gäste- und Tagungshäuser auf neun Millionen Euro pro Jahr gedeckelt und eines von ihnen laut Kirchenleitung „zeitnah geschlossen und verkauft“ werden.

Ob aber solche Sparmaßnahmen ausreichen werden, ist auch deshalb zweifelhaft, weil vor allem auf die evangelische Kirche außerdem ein gewaltiger Finanzbedarf für die Pfarrerpensionen zukommt. Die müssen, vergleichbar der staatlichen Beamtenversorgung, aus eigenen Mitteln bezahlt werden. Aber die Rücklagen dafür werden in vielen Landeskirchen wohl nicht ausreichen.

So nannte der Finanzdezernent der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Jörg Antoine, seine Kirche auf deren Synode überschuldet. Denn die Finanzierungslücke bei Pensionen und Beihilfen belaufe sich auf mindestens 740 Millionen Euro für die nächsten zehn Jahre. Werde diese Lücke nicht bald geschlossen, müssten die Versorgungsleistungen aus dem laufenden kirchlichen Haushalt bezahlt werden, was die künftige kirchliche Arbeit massiv einschränken würde. „Das können wir nicht verantworten“, sagte Antoine und wies zudem darauf hin, dass die Kirchensteuereinnahmen in Württemberg 2023 um 20 Millionen und 2024 um 15 Millionen Euro geringer ausfallen dürften als ursprünglich erwartet.