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Umweltschutz und Recycling

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Altreifen werden zu schwarzem Gold - Michelin recycelt Altreifen in Chile

 

Reifenhersteller Michelin und Enviro bauen zusammen ein Werk zum Recycling von Altreifen zu wertvollen Rohstoffen. Vor allem große Reifen aus der Bau- und Minenindustrie sollen in der Anlage in Chile per Pyrolyse recycelt werden.

Mit Blick auf die Silage-Lager der örtlichen Agrarwirtschaft könnte man meinen, Altreifen nützen rein zum Zweck der Folienfixierung. Regional und in 15-Zoll-Felgengröße betrachtet mitunter richtig. Doch: Gut 14 Millionen Tonnen Altreifen fallen weltweit an. Jährlich. Um derartige Menge auf Folie zu legen, müsste Kuh Berta ordentlich reinhauen. Also: Altreifen sollten recycelt werden und werden es auch. Verfahren gibt es einige. Michelin und Enviro haben eine eigene Methode entwickelt und bauen nun das erste eigene Werk in Chile, um dort Altreifen der Bau- und Minenindustrie per Pyrolyse zu recyceln.

Recycling per Pyrolyse

Pyrolyse ist ein gängiges Verfahren, um Materialien unter Ausschluss von Sauerstoff zu erhitzen. Das Material verbrennt dabei nicht, sondern verschwelt. Vergleichbar ist das mit der Herstellung von Holzkohle. Moderne Pyrolyse-Verfahren arbeiten mit Stickstoff, der auf mindestens 400 Grad Celsius erhitzt wird. Genaue Temperaturen sind Betriebsgeheimnis. Werden Altreifen per Pyrolyse erhitzt, sind wertvolle Rohstoffe wie der sogenannte Industrie-Ruß, Gas, Öl und Stahl aus dem Reifen recyclebar. Besonders der Ruß ist hochinteressant, da er in nahezu allen industriellen Gummiprodukten zum Einsatz kommt. Im Reifen sorgt er für die schwarze Farbe, erhöht seine Laufleistung und macht ihn resistenter gegen Umwelteinflüsse

 

Was macht Michelin jetzt anders?

Das schwedische Unternehmen Enviro, an dem Michelin 20 Prozent Anteile hält, hat ein eigenes Pyrolyse-Verfahren entwickelt und kann durch eine spezielle Temperaturregulierung die Qualität des zurückgewonnenen Rußes deutlich steigern. Gängige Verfahren arbeiten nach dem Prinzip von Wäschetrocknern: Die Hitze wird von außen auf eine Trommel übertragen, die den Stickstoff innen erhitzt. Dadurch ist die Temperatur innerhalb der Trommel und der zu verarbeitenden Reifenreste aber nie gleich, was durch die Drehung der Trommel zusätzlich erschwert wird. Außerdem bedarf das herkömmliche Verfahren vorab der Trennung des Gummis vom Stahl der Karkasse und des Reifenwulstes.

Enviro füllt hingegen einen Reaktor mit ungetrennten Reifenresten und gibt das bereits heiße Gas hinzu. So erhitzt sich das gesamte Material wie in einem Umluftbackofen schneller und gleichmäßiger. Das spart viel Energie, außerdem fällt die aufwändige Trennung des Gummis vom Stahl vorab weg. Allerdings bedarf das einer genauen Überwachung und Steuerung der Temperaturen. Durch das Verfahren erhöht Enviro die Qualität des Rußes, der dann auch für Herstellung von qualitativ hochwertigen Reifen genutzt werden kann. Außerdem entstehen sogenannte Pyrolyse-Gase und Öle, die beim Betrieb des Werks nützlich sind. Der ebenfalls übrigbleibende Stahl kommt zur Wiederverwendung in Schmelzwerke.

Was bringt das denn?

Weltweit benötigt die Industrie pro Jahr ungefähr 10 Millionen Tonnen des Rußes für alle Arten von Gummi. Jedes Kilo neu erzeugten Rußes verbraucht dabei zwei bis drei Liter Erdöl. Das Sparpotenzial für recycelten Ruß ist also enorm. Michelin und Enviro planen pro Jahr bis zu 30.000 Tonnen Altreifen in Chile zu verarbeiten. 90 Prozent dieser Menge sollen direkt zurück in die Produktion von Reifen und Förderbändern fließen. Die restlichen 10 Prozent in Form von Öl und Gas sollen das Werk betreiben. Michelin ruft seit einiger Zeit das Ziel aus, eine geschlossene Kreislaufwirtschaft in der Reifenindustrie anzustreben. Ein wichtiger Schritt scheint in Chile getan, auch wenn die 30.000 Tonnen nach Aussage von Michelin nicht mal 60 Prozent aller anfallenden Altreifen dieser Art in Chile ausmachen. Vor dem Hintergrund von gut 14 Millionen Tonnen Altreifen weltweit pro Jahr ist nach diesem Anfang noch viel zu tun.

Warum Chile und Baggerreifen?

Die Region um Antofagasta wählten die Franzosen, da Michelin dort bereits viele Kunden mit entsprechenden Reifen und Services hat. Außerdem tritt in Chile 2023 ein Gesetz in Kraft, das Recycling von sogenannten End-of-Life-Tires, also Altreifen, verlangt. Antofagasta liegt an der Küste im Norden Chiles, am Rande der Atacama-Wüste, in der es reiche Vorkommen an Kupfer und Lithium gibt. Entsprechend sind hier viele Erdbewegungmaschinen im Einsatz, deren Reifen jetzt im neuen Recyclingwerk als erste dran sind. Michelin führt weiter an, dass in folgenden Schritten weitere Reifenarten dem Recycling zugeführt werden. Das passt zur Technik von Enviro, die von Grunde an als modulares System entwickelt wurde. Die Anzahl an Reaktoren ist beliebig erweiterbar.

Andere Formen des Reifenrecycling

Altreifenrecyling gibt es seit langem – aktuell allerdings noch mehr im Bereich von Gummimehl und Granulat. Dieses dient als Ersatzrohstoffe für stoßabsorbierende Böden auf Spielplätzen, in Sportlaufbahnen, als Schalldämmung an Autobahnwänden oder als Füllstoff im Landschaftsbau. Allen gemein ist, dass die wertvollen Rohstoffe im Reifen wie Öl, Ruß und Stahl keiner neuen Verwendung zukommen. Andere Techniken versuchen den Vulkanisationsprozess umzukehren, um aus Altreifen wieder reinen Kautschuk oder Synthese-Kautschuk zu gewinnen. Die Brechung der in der Vulkanisation entstehenden Schwefelketten ist aber schwierig und die unterschiedlichen Verfahren konnten sich bisher nicht durchsetzen.

Es gibt bereits Verfahren, bei denen feines Gummimehl in der Reifenproduktion wiederverwertet werden kann, aber dieser Anteil ist verglichen mit der Gesamtmenge noch zu gering und die mögliche Menge Mehl pro Neureifen ist begrenzt. Die Probleme: Gummi lässt sich nur ungern mahlen und das Pulver ist trotz hoher Feinheit (ungefähr 200er-Schleifpapier) immer noch zu grob, als das die Gummiindustrie sie in ihren Fertigungsprozessen der Gummiindustrie zu hohen Anteilen nutzen kann. Vereinfacht ausgedrückt: Zuviel Mehl verklumpt in den Knet- und Walzmaschinen des Kautschuks, was die Qualität des Gummis senkt.

Die wohl schlechteste Methode einen Altreifen zu behandeln, ist, ihn einfach in die Landschaft zu werfen. Die zweitschlechteste Methode war bis vor wenigen Jahren die gängigste: Der Altreifen landet in der Müllverbrennung. Zunächst in Heizkraftwerken und hauptsächlich in der Zementherstellung. Dieser Anteil nimmt seit gut 10 Jahren kontinuierlich ab, da Pyrolyse-Verfahren deutlich besser und wirtschaftlicher werden.

Warum eigentlich Altreifen nicht runderneuern?

Abgefahrene Reifen einfach mit einer neuen Lauffläche versehen scheint ein guter Weg zu sein, die im Grunde hochwertige und meist sehr widerstandsfähigen Karkassen wiederzuverwenden. Beim Pkw ist das Thema mit Vorsicht zu genießen, da der Anbieter dieser runderneuerten Reifen nicht garantieren kann, dass jeder Reifen auf dem Auto auch die gleiche Karkasse hat, was die Eigenschaften jedes einzelnen Reifen unterschiedlich gestaltet. Hier liegt auch ein Unterschied zu Lkw-Reifen, da hier meist die Karkasse des Herstellers eine passende Lauffläche des gleichen Herstellers bekommt. Weiterhin sind das hohe Gewicht und Wert der Reifen hilfreich für eine wirtschaftliche Runderneuerung. Beim Pkw-Reifen habe große Reifenhersteller ihre Bemühung zur Runderneuerung seit langem eingestellt. Es macht für Hersteller keinen Sinn den Altreifenmarkt gezielt nach seinen eigenen Altreifen abzusuchen und nur diese dann einer Runderneuerung zuzuführen. Die Ökobilanz dieser Reifen wäre katastrophal und die explosionsartig gestiegene Zahl an unterschiedlichen Dimensionen ist ein weiteres Hindernis.