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Wirtschaftsvorgaben

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"Der Mittelstand steht am Rande der Existenz"

Der Zittauer Bauunternehmer Marco Matthäi organisiert den Oberlausitzer Autokorso gegen die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung. Im SZ-Gespräch sagt er, was schief läuft.

Marco Matthäi ist Bauunternehmer und Geschäftsführer der Osteg in Zittau. Er gehört zu den Organisatoren eines Autokorso, mit dem die Teilnehmer gegen die aktuelle Wirtschaftspolitik der Bundesregierung demonstrieren. © Matthias Weber/photoweber.de

Marco Matthäi ist Bauunternehmer und Geschäftsführer der Osteg in Zittau. Er gehört zu den Organisatoren eines Autokorso, mit dem die Teilnehmer gegen die aktuelle Wirtschaftspolitik der Bundesregierung demonstrieren. © Matthias Weber/photoweber.de© Matthias Weber/photoweber.de

Im Büro von Bauunternehmer Marco Matthäi in Zittau geht eine Anmeldung nach der nächsten ein. Der Geschäftsführer der Oberlausitzer Straßen-, Tief- und Erdbaugesellschaft Osteg rechnet damit, dass an diesem Donnerstagnachmittag mitten im feierabendlichen Berufsverkehr mehr als 1.000 Fahrzeuge zu einem Autokorso auf die Bundesstraßen zwischen Görlitz, Zittau und Löbau aufbrechen. "Wir wollen gehört werden in Berlin", sagt Marco Matthäi. Gemeinsam mit anderen Unternehmern, Handwerkern und Gewerbetreibenden aus der Oberlausitz organisiert er jetzt zum zweiten Mal eine große Protestaktion gegen die Politik der Bundesregierung. Im Gespräch mit der SZ sagt er, warum.

Herr Matthäi, Sie sind Bauunternehmer und Chef einer der größten Baufirmen im Kreis Görlitz. Haben Sie nichts Wichtigers zu tun als am Donnerstagnachmittag zur Hauptverkehrszeit die Straßen zu blockieren?

Ganz ehrlich, wir würden viel lieber unserer eigentlichen Arbeit nachgehen. Aber wenn wir hier nicht auf uns und unsere Probleme aufmerksam machen, dann haben wir hier bald überhaupt nichts mehr zu tun. Und nicht nur wir bei der Osteg. Die Wirtschaftspolitik, die wir gerade in Deutschland erleben, macht die Wirtschaft im Land kaputt, wenn sie so weitermacht. Das kann doch nicht das Ziel sein.

Jetzt rufen Sie also noch einmal zum Autokorso auf. Glauben Sie, dass Sie damit tatsächlich etwas erreichen?

Wir müssen etwas erreichen! Schon beim ersten Mal am 13. Oktober war der Zuspruch riesig. Wir hatten 700 Teilnehmer vom großen Unternehmen bis zum kleinen Handwerkerbetrieb. Das zeigt doch, wie groß die Probleme überall in den Betrieben sind. Wir hatten auch ein großes, bundesweites Medienecho. Nur in Berlin hat man uns nicht gehört. Es hat sich in der Politik ja nichts Wesentliches getan. Deswegen haben wir uns entschieden, weiterzumachen. Diesmal wird die Aktion noch größer.

Welche Probleme sind es vor allem, mit denen die Unternehmen zu kämpfen haben?

Es sind zuerst die Energie- und Kraftstoffpreise. Der Dieselpreis hat sich in einem halben Jahr mehr als verdoppelt. Der Gaspreis hat sich innerhalb eines Jahres etwa vervierfacht. Strom ist wesentlich teurer geworden - und wird ab Januar noch teurer. Damit steigen auch alle Materialpreise: Nur mal als Beispiel für uns im Straßen- und Tiefbau: Asphalt, Schüttgüter und Beton sind in einem Jahr um mehr als 25 Prozent im Preis gestiegen. Im nächsten Jahr soll Beton noch einmal um 30 Prozent teurer werden. Für den Diesel haben wir bei der Osteg in diesem Jahr schon eine halbe Million Euro mehr bezahlt als 2021.

Was war denn mit dem Tankrabatt?

Der ist überhaupt nicht angekommen. Wir haben bei uns auf dem Hof einen 20.000-Liter-Tank. Im Mai haben wir im Durchschnitt 1,60 Euro pro Liter Diesel bezahlt, in Juni waren es 1,67 Euro, im Juli 1,58 Euro, im August 1,61 Euro und im September 1,74 Euro. Im Februar waren wir noch bei 1,29 Euro. Wo ist denn da ein Rabatt? Als Bauunternehmen haben wir auch noch das Problem, dass wir bei öffentlichen Auftraggebern auf allen Diesel-Mehrkosten sitzen bleiben.

Was bedeutet das für das Unternehmen?

Im Straßen- und Tiefbau haben wir vor allem öffentliche Auftraggeber, die ihre Bauvorhaben ausschreiben und dem wirtschaftlichsten Angebot den Zuschlag geben. Wenn wir einen Auftrag und damit Arbeit für unsere 175 Mitarbeiter haben wollen, müssen wir also das "wirtschaftlichste" Angebot abgeben - also schon mal von vornherein knapp kalkulieren. Zwar kalkulieren wir in unseren Angeboten eine gewisse Preissteigerung ein, mit solchen schnellen und sprunghaften Entwicklungen kann aber kaum jemand rechnen. Das bedeutet für uns: Wenn es teurer wird als geplant, weil eben Diesel und Baustoffe unerwartet teurer geworden sind, ist das unser Problem. Der Auftraggeber zahlt nur die Summe, die im Angebot steht. Alles andere ist unser "unternehmerisches Risiko".

Das in dieser Situation aber kaum ein Unternehmen abschätzen kann?

Genau. Nur mal ein Beispiel: Für die Stützmauer an der B96 in Ebersbach hatten wir Bauleistungen von rund 830.000 Euro netto ausgerechnet. Die Baustelle hat uns am Ende knapp 300.000 Euro mehr gekostet - mehr als ein Drittel über dem ursprünglichen Angebot. Ein Großteil des „Minus“ kommt durch die gestiegenen Material- und Kraftstoffpreise. Als Bauunternehmen stehen wir am Ende der Kette. Der Fuhrunternehmer schickt keine Lkw, wenn wir ihn nicht bezahlen, der Händler liefert kein Material, wenn wir die höheren Preise nicht akzeptieren. Der Auftraggeber bleibt beim Angebotspreis. Hilfe von politischer Seite gibt es keine.

Und deswegen die Protestaktion?

Unter anderen auch deswegen. Aber es trifft ja nicht nur uns. Es trifft die gesamte Wirtschaft, das Handwerk. Wir als große Firma haben die Defizite bis jetzt immer noch mit unseren Rücklagen und dem Aussetzen von Investitionen ausgleichen können. Bei einem kleinen Fleischereibetrieb oder einer Bäckerei ist noch das weitaus schwieriger. Der Mittelstand steht in Größenordnungen am Rande der Existenz. Das kann und darf die Politik nicht zulassen.

Was genau kann und muss die Politik denn tun? Was fordern Sie?

Wir fordern, dass die Politik jetzt endlich gegensteuert - ohne ideologische Scheuklappen und ohne parteipolitische Streitigkeiten. Es muss wirksame Hilfen geben - nicht wie beim Tankrabatt, der nicht angekommen ist. Und es muss schnelle Lösungen geben. Den Unternehmen und Gewerbetreibenden läuft die Zeit davon. Wir brauchen keine Kredite, wir brauchen bezahlbare Energiepreise. Wir brauchen eine rückwirkende Gas- und Strompreisgrenze. Wir brauchen langfristig Sicherheit, damit wir planen können. Für die Bauwirtschaft fordern wir außerdem, flexiblere Möglichkeiten bei öffentlichen Aufträgen. Wenn sich der Dieselpreis innerhalb kurzer Zeit verdoppelt, dann kann das nicht das "unternehmerische Risiko" des Bauunternehmers sein.

Die Routen der Autokorsos um Zittau, Löbau und Görlitz

Gibt es überhaupt noch genügend öffentlichen Aufträge für die Baubranche?

Es werden weniger. Allein unser Unternehmen hatte in diesem Jahr einen Auftragsverlust von 1,6 Millionen Euro. Das waren Ausschreibungen, die wir gewonnen hatten, die dann aber wieder zurückgezogen wurden, weil der Freistaat die Fördermittel stark gekürzt oder ganz gestrichen hatte. Wir rechnen damit, dass die öffentliche Auftragslage im nächsten Jahr in dramatischem Maße zusammenschrumpft. Das aber hat nicht nur Folgen für die Bauwirtschaft, sondern für die ganze Region. Da stehen Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Deswegen haben Sie diesmal nicht nur Unternehmer und Gewerbetreibende zum Protest aufgerufen, sondern auch die Vertreter von Städten und Gemeinden?

Ja. Wenn der Mittelstand stirbt, wird man das in den Städten und Gemeinden auf allen Ebenen zu spüren bekommen. Wenn die Entwicklung so weitergeht wie derzeit, dann wird das dramatische Folgen für die ganze Region haben. Und deswegen werden wir am Donnerstag wieder demonstrieren: Wir miteinander - gemeinsam für die Region.

Geplant ist der Autokorso auf drei Routen rund um Zittau, Löbau und Görlitz. Start ist jeweils 15.45 Uhr. Die Organisatoren legen Wert auf politische Unabhängigkeit. Es dürfen keine verfassungsfeindlichen Symbole, keine Fahnen, Banner oder Plakate von Parteien und Vereinigungen und keine politischen Bekenntnisse gezeigt werden.

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Interview: „Bauen wird 2023 noch teurer“

Herr Köster, die Baukosten sind in diesem Jahr massiv gestiegen. Wird es im nächsten Jahr wieder billiger?

Arbeiter auf einer Baustelle in Frankfurt.

Arbeiter auf einer Baustelle in Frankfurt.© Lucas Bäuml

Davon ist leider nicht auszugehen. Die Baukosten sind in den vergangenen zwölf Monaten durchschnittlich um 17 Prozent gestiegen. 2023 und wohl auch noch 2024 wird Bauen noch teurer werden. Die Preise werden aber vermutlich nur noch moderat steigen.

Woran liegt das?

Haupttreiber sind die steigenden Energiekosten. Sie verteuern die Produktion der Baustoffe und den Einsatz der Baumaschinen über höhere Dieselpreise.

Die gestörten Lieferketten treiben die Preise zusätzlich?

Hier hat sich die Lage etwas entspannt. Wir können mit alternativen Lieferanten die Lücken stopfen. Bisher haben wir alle Projekte pünktlich fertig bekommen. Das ging aber nur im Gespräch mit den Handwerkern, durch andere Baumaterialien und Änderungen im Bauablauf. Wir haben manche Arbeiten vorgezogen, andere nach hinten verlegt, wenn das Material fehlte.

Nils Köster: Freude am Bauen

Nils Köster: Freude am Bauen© Patrick Slesiona

Was ist derzeit noch knapp?

Dämmstoffe für Dach und Wand sind im Moment rar. Auf unsere Projekte hat das allerdings keinen Einfluss, weil wir in diesen Zeiten sehr früh bestellen.

Schießen auch die Personalkosten in die Höhe? Es mangelt an Bauingenieuren, und die Mitarbeiter wollen einen Ausgleich für die hohe Inflation.

Noch steigen die Löhne nicht stark, aber das könnte 2023 ein Thema werden.

Können Sie höhere Kosten an die Kunden weitergeben, Sie haben ja oft Festpreise vereinbart?

Durch die Vereinbarung von Preisgleitklauseln können wir auf schwankende Preise reagieren. Wir machen das für Teilarbeiten der Gebäude, die erst ein oder zwei Jahre nach Baubeginn anstehen, wo also die Unsicherheit über die Preisentwicklung besonders hoch ist.

Senken Sie dann auch die Preise, wenn die Kosten für Sie sinken?

Natürlich, die Klauseln wirken in beide Richtungen.

Niedrigere Preise sind allerdings erst einmal nicht in Sicht. In welchem Bereich belasten die steigenden Baukosten am meisten?

Erst einmal natürlich überall, aber am stärksten im Wohnungsbau. Denn hier ist es am schwierigsten, die gestiegenen Aufwendungen für den Bau und die höheren Kreditzinsen wieder reinzuholen. Denn Mieterhöhungen sind derzeit angesichts der hohen Inflation schwierig. So werden die Renditen für Vermieter im Augenblick unattraktiv. Das Ziel der Bundesregierung von 400 000 neuen Mietwohnungen pro Jahr ist daher dieses und nächstes Jahr nicht zu erreichen und viel zu optimistisch.

Wie reagieren die Kunden, geben die ersten ihre Bauprojekte schon auf?

Die ersten verschieben ihre Projekte, vor allem im Wohnungsbau, aber das sind noch Einzelfälle. Bei Industrieprojekten ist das im nächsten Jahr zu befürchten. Dann wird die Frage sein, ob sie ihre Investitionen in bisher geplanter Form später nachholen oder lieber im Ausland verwirklichen, weil dort Energie und Löhne billiger sind.

Bekommen Sie derzeit weniger neue Aufträge?

Das spüren wir noch nicht, aber dürfte auch bald zu befürchten sein. Der Boom der Baubranche der vergangenen zehn Jahre ist vorbei.

Was kann Ihr Unternehmen jetzt tun?

Eine unser Stärken ist das schnelle Bauen. Wir haben schon vor 20 Jahren Tools entwickelt, um die einzelnen Arbeiten so aufeinander abzustimmen, dass möglichst wenig Zeit benötigt wird. Die Autoindustrie, insbesondere Toyota, war damals dafür Vorbild. Da ist mittlerweile schon viel Digitalisierung im Spiel. Das ist jetzt in diesen Zeiten noch wichtiger geworden. Denn je schneller wir bauen, desto kostengünstiger wird es. Und wir sprechen frühzeitig vor Planungsbeginn mit unseren Kunden, wie wir beim Bau sparen können, um die gestiegenen Kosten abzufedern. Wir schauen uns dabei vor allem die drei großen Blöcke Fassade, Gebäudetechnik und Baumaterial an.

Wo lässt sich da sparen?

Die Fassade macht etwa 20 bis 30 Prozent der Gesamtkosten aus. Sparen lässt sich durch mehr Standardisierung etwa beim Schallschutz oder der Wärmedämmung. Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Das individuelle Design der Fassade kann trotzdem erhalten bleiben.

Und bei den Baustoffen?

Wir sind sehr flexibel mit der Materialwahl. Je nachdem, wo gerade die höchsten Preissteigerungen zu erwarten sind, können wir zwischen Beton, Stahl und Holz variieren.

Wo erwarten Sie in den kommenden Monaten den stärksten Anstieg?

Bei Baustoffen, deren Herstellung besonders energieintensiv ist. Dazu zählen zum Beispiel Beton und Glas.

Sie erwähnten noch die Gebäudetechnik.

Die macht mit rund einem Drittel der Kosten den größten Anteil aus. Sparen lässt sich da zum Beispiel durch vorgeplante Versorgungsstränge an immer gleicher Stelle oder ein sparsameres Heiz- und Kühlsystem. Bei einer Betonkernaktivierung zum Beispiel können Wände und besonders die Decken heizen – und im Sommer auch kühlen. Ein Deckensegel, also eine Metallkonstruktion unter der Decke, heizt von oben und erspart die Heizkörper. Im Sommer kühlt es durch die Durchleitung von kaltem Wasser. Eine Klimaanlage wäre verzichtbar.

Welche Heizungsart wählen die ­Kunden derzeit am liebsten?

Aufgrund der hohen Gaspreise gibt es gerade einen Run auf Wärmepumpen.

Wie wichtig ist den Kunden überhaupt die Nachhaltigkeit der Gebäude?

Das fordern mittlerweile alle Kunden, und sie sind auch bereit, etwas mehr Geld dafür zu bezahlen. Aber es muss wirtschaftlich bleiben. Die aktuellen Preissteigerungen bremsen den Elan etwas.

Was ist überhaupt ein nachhaltiges Gebäude?

Das lässt sich messen. Wir können mit Partnern einen Emissionspass für Gebäude erstellen.

Was rechnen Sie da?

Wir bewerten Produkte und Baustoffe von Herstellung, Transport, Einbau und Nutzung bis zu Abbruch, Transport und Recyclingpotential.

Welches Baumaterial ist denn am nachhaltigsten, Holz wird ja diesbezüglich sehr gelobt?

Holz hat einen guten Ruf, weil es während des Wachstums CO2 bindet. Aber wir müssen hier genau hinschauen. Wenn Holz eine bestimmte Tragfähigkeit erhalten soll, muss es häufig in mehreren Schichten verleimt werden. Aber verleimtes Holz muss später aufwendig entsorgt werden. Eventuell wird in einem solchen Fall Beton plötzlich nachhaltiger, denn er kann recycelt werden und bietet gleichzeitig unerreichte Tragfähigkeit und Langlebigkeit.

Was diskutieren die Kunden noch?

Es geht zum Beispiel auch um die Frage, ob recycelte Materialien eingesetzt werden. Die Bereitschaft ist da, aber das steckt noch in den Anfängen. Wir prüfen auch, wie wir verschwendungsarm bauen können, da sind Abfälle ein wichtiger Punkt. Und auch die Begrünung von Fassaden und Dächern kommt immer mehr in Mode.

Spielt die staatliche KfW-Förderung eine Rolle beim Thema Nachhaltigkeit? Die Summen sind ja eher klein im Vergleich zu den Gesamtinvestitionen.

Es ist wichtig, dass es sie gibt. Finanziell, aber auch weil sie Anhaltspunkte gibt, was als nachhaltige Immobilie angesehen wird. Die Förderung muss nur dauerhaft fließen. Nicht so wie in diesem Jahr, als plötzlich der Fördertopf leer war.

Was ist den Hausbauern neben der Nachhaltigkeit noch wichtig?

Der Fokus ist noch stärker als sonst stark auf die Wirtschaftlichkeit gerichtet. Dazu steigt das Interesse an mehr Standardlösungen, sogenannte Typengebäude. Auch effiziente Grundrisse werden wichtiger, um den teuren Platz besser nutzen zu können.

Kann die Politik für geringere Baukosten sorgen?

Sie könnte die Bauordnungen entschlacken und bundesweit vereinheitlichen, damit wir nicht für jedes Bundesland anders und damit teurer planen müssen. Sie sollte auch nicht die Anforderungen an den Energiestandard für Neubauten weiter verschärfen, die sind schon sehr hoch. Noch strengere Vorgaben erhöhen die Kosten stark, ohne dass sie viel Zusatznutzen für den Klimaschutz bringen. Energetische Sanierungen von älteren Gebäuden sind da viel effizienter.

Was kann man gegen den Personalmangel tun?

Den spüren wir, denn die hohe Baunachfrage in den vergangenen Jahren hat den Bedarf an Ingenieuren steigen lassen. Die zunehmende Digitalisierung beim Planen erfordert zudem ganz neue Experten, die sich damit auskennen. Wir sollten in der Schule die Vermittlung von technischem Grundwissen attraktiver und in den Baufirmen den Beruf durch mehr digitales Arbeiten interessant für junge Mitarbeiter machen. Wir müssen auch die Handwerkerausbildung stärken, denn dort fehlt auch Personal. Es sollte nicht jeder studieren wollen.

An der Spitze Ihres Unternehmens dürfte wohl kein Personalproblem entstehen. Wollen Sie als Familienmitglied die Leitung übernehmen?

Ja, ich habe meine Karriere darauf ausgerichtet. Ich habe in Aachen Bauingenieur studiert und vor zehn Jahren als Bauleiter in der Firma meines Vaters angefangen. Seit ein paar Tagen bin ich nun auch Mitglied des Vorstands und für die wichtigen Bereiche Hoch- und Tiefbau verantwortlich.

Wann wollen Sie die Leitung übernehmen?

Dazu besteht keine Eile, ich arbeite mit unserem CEO sehr gut zusammen.

Was reizt Sie an der Arbeit in einem Bauunternehmen?

So eine Baustelle, die macht was mit einem, wenn man daran mitwirkt und nach Fertigstellung sagen kann, man hat seinen Anteil daran. Und vergessen Sie nicht: In einem Familienbauunternehmen bekommt man schon als kleiner Junge den Bauhelm aufgesetzt und ist dann infiziert.

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Habeck will Deutschlands Wirtschaft von China lösen

Um Deutschland unabhängiger von China zu machen, soll das Bundeswirtschaftsministerium schärfere Maßnahmen beschlossen haben – entsprechende Papiere liegen dem Nachrichtenportal „The Pioneer“ vor. Unter anderem sollen chinesische Firmen bei Aufträgen für kritische Infrastruktur ausgeschlossen werden.
Robert Habeck gefällt Deutschlands Abhängigkeit von China nicht Quelle: Kay Nietfeld/dpa

Robert Habeck gefällt Deutschlands Abhängigkeit von China nicht Quelle: Kay Nietfeld/dpa© Kay Nietfeld/dpa

Die deutsche Wirtschaft soll nach Plänen aus dem Bundeswirtschaftsministerium weit unabhängiger von China werden – dies soll auch mit schärferen Maßnahmen erreicht werden. In einem Papier aus dem Wirtschaftsressort wird unter anderem vorgeschlagen, deutsch-chinesische Projekte politisch nicht mehr zu flankieren, wie das Nachrichtenportal „The Pioneer“ am Donnerstag berichtet. Außerdem sollen chinesische Firmen bei Aufträgen für kritische Infrastruktur ausgeschlossen werden. Der Status Chinas als Entwicklungsland bei der Förderung solle gestrichen werden. Das Wirtschaftsministerium wollte sich auf Anfrage zunächst nicht äußern.

In China besonders exponierte deutsche Firmen könnten gesonderte Mitteilungspflichten bekommen, heißt es weiter. Ab 2023 solle es keine Entwicklungskredite mehr an China geben, bilaterale Projekte sollen nur bei „adäquaten chinesischen Finanzierungsbeiträgen (mindestens 50 Prozent)“ realisiert werden, zitiert „Pioneer“ aus dem Papier der Beamten von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), das in der Bundesregierung bisher nicht abgestimmt sei.

China spielt eine wichtige Rolle für die deutsche Wirtschaft. Als Lehre aus dem russischen Angriff auf die Ukraine hat Habeck bereits einen neuen China-Kurs eingeschlagen. Mit Investitionsgarantien sollen deutsche Auslandsinvestitionen verstärkt in Märkte abseits von China gelenkt werden. In Singapur warb Habeck zuletzt dafür, dass deutsche Unternehmen vermehrt auch in anderen Regionen investieren.

In dem Papier aus dem Wirtschaftsressort wird laut dem Portal kritisiert, dass sich in einzelnen Branchen „Klumpenrisiken“ gebildet hätten – sie also ohne den chinesischen Markt kaum überlebensfähig seien. Genannt würden die Automobilindustrie, Wasserstofftechnologien, Elektromobilität, Kohlenstoffbindung sowie Erneuerbare Energien.

Es sei aus Sicht der Beamten aus dem Wirtschaftsressort offen, „inwiefern und in welchem Umfang der chinesische Markt ausländischen Unternehmen noch offenstehen wird“. Es gebe unfaire Wettbewerbspraktiken, auf die die Wirtschaft nur mit Diversifizierung antworten könne. Deutsche Unternehmen seien „zahlreichen Diskriminierungen und Einschränkungen“ ausgesetzt, wird aus dem Papier zu den neuen chinapolitischen Leitlinien weiter zitiert. Darin werde China eine „Einparteiendiktatur“ genannt. Die Beamten schlagen demnach eine klare Fokussierung auf alternative Zukunftsmärkte wie Asien-Pazifik, Lateinamerika und Afrika vor.

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Weil: Situation der chemischen Industrie ist große Sorge

Angesichts der deutlich gestiegenen Energiepreise sieht Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil Handlungsbedarf in der chemischen Industrie. «Eine große Sorge ist die Situation der energieintensiven Industrie in Deutschland, allen voran der chemischen Industrie», sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Hannover. Wenn die Entwicklung einige Monate weitergehe, dann werde die chemische Industrie in Deutschland nicht wiederzuerkennen sein, verbunden mit einem schweren Schaden für die Wertschöpfungskette für die deutsche Volkswirtschaft.

Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen.

Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen.© Moritz Frankenberg/dpa/Archivbild

«Darüber müssen Bund und Länder unbedingt zu Beginn des neuen Jahres intensiv reden. Wie können wir sicherstellen, dass diese Unternehmen, die sich allesamt auch in der Transformation in Richtung Klimaschutz befinden, eine gute Perspektive in Deutschland haben?» Es müsse unbedingt zu Verbesserungen für alle energieintensiven Unternehmen kommen unter Berücksichtigung von Klimaschutzbelangen.

Weiteren Redebedarf sieht der Ministerpräsident bei den Beihilfeleistungen für die Nutzer von Öl- und Pelletheizungen. «Es ist eine gute Sache, dass der Bund sich doch noch entschieden hat, die verlangte Unterstützung zu leisten. Wir brauchen aber noch Klarheit, was genau Gegenstand dieser Regelung ist und wie sie umgesetzt werden kann.»

Zu den bisherigen Entlastungspaketen sagte Weil, diese seien eine «schwere Geburt» gewesen, aber unter dem Strich ein großer Wurf. «Letztlich werden etwa die Hälfte der Belastungen durch die Entlastungen kompensiert. Wenn wir dann nochmal 20 Prozent Energiesparanteile draufrechnen, die wir uns ja alle vorgenommen haben, dann kommen die Bürgerinnen und Bürger in die Nähe des Machbaren.» Dies sei der große Vorteil des Preisdeckels für Strom und Gas.

Mit Blick auf die Frage, ob es notwendig sei im kommenden Jahr die Notfalloption bei der Schuldenbremse zu ziehen, sagte der Regierungschef: «Auch Herr Lindner finanziert seine Maßnahmen auf der Basis von Krediten. Es handelt sich allerdings um Kredite, die aus früheren Jahren oder aus anderen Anlässen heraus noch offen sind. Jetzt so zu tun, als ob das alles die finanzpolitisch reine Lehre wäre, halte ich für gewagt.»

Es gebe die ersten Bundesländer, die ihre Maßnahmen auch mit der Notlage begründen und neue Kredite aufnehmen mussten. Für eine Notlage gebe es triftige Gründe. Das jüngst beschlossene Sofortprogramm in Niedersachsen konnte ohne zusätzliche Kredite finanziert werden, wie Weil betonte.

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Forscher fürchten um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit

Subventionen, Investitionsverbote, mangelnder Schutz von geistigem Eigentum: Laut einer Analyse des Prognos-Instituts sind deutsche Firmen im globalen Wettbewerb mit China bedenklich im Nachteil.

Forscher fürchten um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit

Forscher fürchten um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit© CHINATOPIX / AP / picture alliance /dpa

Die hohen Industriesubventionen in China gefährden laut einer Analyse des Prognos-Instituts die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Die begünstigten Unternehmen profitierten wegen der hohen Zuschüsse von Kosten- und Wettbewerbsvorteilen, heißt es in der Untersuchung, die die Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in Auftrag gegeben hatte.

Darüber hinaus werden ausländische Unternehmen in China laut Prognos auch in anderer Hinsicht benachteiligt. Die Autoren nennen unter anderem Investitionsverbote für ausländische Unternehmen in 31 Branchen, intransparente Regulierung, willkürliche Anwendung von Vorschriften und mangelhaften Schutz geistigen Eigentums.

In welchem Umfang und mit wie vielen Milliarden die Pekinger Führung die heimische Industrie fördert, ist unbekannt. Das Prognos-Institut schätzt, dass die Subventionen drei- bis viermal so hoch sind wie die in Deutschland, Japan und den USA üblichen Vergünstigungen. Der Umfang der chinesischen Subventionen könnte sich demnach auf etwa 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts belaufen, verglichen mit 0,4 Prozent in Deutschland und den USA oder 0,5 Prozent in Japan.

Hoch bezuschusst werden in China demnach vor allem die zehn Schlüsselindustrien von Biotechnologie bis Raumfahrt, in denen die chinesische KP die technologische Führung übernehmen will. Für Deutschland ist das laut Studie von Belang, weil deutsche und europäische Unternehmen in mehreren dieser Industriezweige bislang eine international starke Position haben: zum Beispiel im Maschinenbau, in der Medizintechnik oder in der Luftfahrt.

Die Autoren merken an, dass sich deutschen Firmen in mancher Hinsicht sogar Chancen böten, weil China Technologien importieren müsse. Doch im Saldo wären die Auswirkungen laut Studie eher negativ. So gehen die Autoren in einer Beispielrechnung davon aus, dass die deutsche Medizintechnik Milliardeneinbußen erleiden würde, wenn die chinesische Führung ihre industriepolitischen Ziele erreicht.

Als wichtigste Gegenmaßnahmen empfiehlt Prognos eine Stärkung der Welthandelsorganisation WTO, damit diese robuster gegen chinesische Wettbewerbsverzerrungen vorgehen kann, sowie eine Verringerung der Abhängigkeit vom chinesischen Markt. Die Autoren werben außerdem für internationale Allianzen, in deren Rahmen die von der chinesischen Subventionspolitik beeinträchtigten Nationen gemeinsam ihren Einfluss in Peking geltend machen.

Die bayerische Wirtschaft als Auftraggeber räumte ein, dass dies nicht einfach werden dürfte: »China stellt für viele Wirtschaftsbereiche den wichtigsten Absatzmarkt dar«, sagte Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt. Er plädiert daher für ein koordiniertes europäisches Vorgehen.

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Scholz hat (zu) lange gezögert - Nun könnte Südkorea Europas Panzermarkt aufmischen

Scholz hat (zu) lange gezögert - Nun könnte Südkorea Europas Panzermarkt aufmischen

Deutschland hat sich selbst eine Grube gegraben. Nun suchen die Verteidigungspartner nach Alternativen in Sachen Rüstung.

    • (Auf)rüstung ist im Ukraine-Krieg plötzlich wieder ein großes Thema.
    • Deutschland hat bei Panzerlieferungen lange gezögert - und könnte damit mögliche Rüstungskäufer verschreckt haben.
  • Experte Blake Herzinger sieht nun die Möglichkeit, dass Südkorea den Panzermarkt in Europa durcheinaderwirbelt.
  • Dieser Artikel liegt erstmals in deutscher Sprache vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn am 30. Januar 2023 das Magazin Foreign Policy.

Washington, D.C. - Deutschland ist nach wie vor der viertgrößte Geber für die ukrainische Verteidigung. Aber das Zögern von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei den Leopard-2-Panzern - dem Standard-Kampfpanzer in den meisten europäischen Ländern - beherrscht die Schlagzeilen auch nach der Lieferzusage. Das Einlenken nach langem Zögern hat den Eindruck einer unentschlossenen und unwilligen deutschen Regierung hinterlassen, die sich schwer tut, selbst in Fragen der europäischen Sicherheit die Führung zu übernehmen.

Während Deutschland seit langem ein Partner für die Beschaffung von Verteidigungsgütern für seine europäischen Nachbarn ist, haben die letzten Wochen und Monate das Vertrauen der Kunden erschüttert. Es besteht der Eindruck, dass Berlins konfuse Verteidigungspolitik und schwache Führung eine strategische Belastung sind. Daher suchen Länder nun nach anderen Optionen für die Beschaffung von Verteidigungsgütern.

Panzer-Frage im Ukraine-Krieg: Hat Scholz Deutschland Rüstungskunden verprellt?

Die Nutzer des Leopard 2, insbesondere diejenigen, die mit einer russischen Bedrohung direkt vor ihrer Haustür konfrontiert sind, stellen sich nach den Possen der letzten Wochen die Frage, ob es weise ist, bei einem Schlüsselelement ihrer Bodentruppen von Berlin abhängig zu sein. Und der deutsch-französische Plan, einen Ersatz für den französischen Kampfpanzer Leclerc und den Leopard 2 zu entwickeln, könnte von einer lähmenden Bürokratie gebremst werden. Dadurch wird das geplante Hauptbodenkampfsystem zu einer unattraktiven Perspektive für die zukünftigen Streitkräftestrukturen der Nationen. Aber es gibt keine anderen nennenswerten europäischen Panzerproduktionslinien. Die Leopard-Panzervarianten scheinen also die einzige Option zu bleiben.

Es ist jedoch eine weitere Panzerproduktionslinie in Europa geplant. Die südkoreanischen Unternehmen Hyundai Rotem und Hanwha Defense haben im Jahr 2022 umfangreiche Rüstungsaufträge von Polen erhalten, darunter einen Vertrag über 1.000 Kampfpanzer K2 und 672 Panzerhaubitzen K9. 180 Panzer werden zwischen 2022 und 2025 in Südkorea gebaut, die restlichen 820 werden bis 2026 in Polen in Betrieb genommen. Sie werden nach polnischer Spezifikation unter der Bezeichnung K2PL gebaut, wobei die ersten 180 Panzer später auf den K2PL-Standard aufgerüstet werden sollen.

Für Warschau hat das koreanische Geschäft mehrere Vorteile: Die Panzer stehen wesentlich schneller und zu einem wettbewerbsfähigen Preis bereit, als sie das deutsche Unternehmen Rheinmetall liefern kann. Gleichzeitig wird aber auch der polnischen Wunsch nach Technologietransfer erfüllt, um die eigene Verteidigungsindustrie zu stärken.

Panzer auf einmal wieder ein großes Thema: Nicht nur Polen blickt nach Südkorea

Das Bestreben, Fremdes zu etwas Eigenem zu machen, ist Südkorea vertraut. Das Land begann 1995 mit dem XK2-Programm, um das koreanische Panzerprogramm von den aus den USA stammenden Plattformen unabhängig zu machen. Der Entwurf erreichte 2007 das Prototypenstadium, und nach Abschluss strenger Tests und Bewertungen schloss Südkorea 2014 einen Vertrag über den Verkauf der ersten K2-Panzer ab. Auch wenn einige den K2 als weniger ausgereifte Leopard-2-Imitation abgetan haben, ist er doch ein Kampfpanzer von Weltrang, dessen Fähigkeiten im Allgemeinen mit denen der besten Panzer aus europäischer Produktion vergleichbar sind. In der Tat hat er sich in Versuchen im Wettbewerb mit dem Leopard 2 gut geschlagen.

Auch Norwegen hatte den K2 in der engeren Auswahl und verglich ihn mit dem Leopard 2A7, bevor der norwegische Verteidigungschef im vergangenen Jahr empfahl, die Kampfpanzer im norwegischen Militär abzuschaffen. Diese ist Frage noch ungeklärt. Aber Norwegen hat zusammen mit Polen im Rahmen eines 180-Millionen-Dollar-Vertrags 28 Panzerhaubitzen des Typs K9 bei Hanwha Defense bestellt und sich damit in die Reihe anderer europäischer Staaten wie Finnland und Estland eingereiht, die das koreanische Artilleriesystem übernehmen.

K2 statt Leopard? Warum Südkoreas Panzer für Europa verlockend wirken

Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass ganz Europa sofort zum Kauf von Panzern aus Südkorea übergeht, und es gibt potenzielle Fallstricke. Einer der wichtigsten ist Südkoreas eigene Empfindlichkeit gegenüber Russland. Seoul wurde für seine ausdrückliche Weigerung kritisiert, den Ukrainern Hilfe zukommen zu lassen. Es hat sich aber Berichten zufolge in dieser Hinsicht auch flexibel gezeigt, indem es offenbar zustimmte, Munition in die Vereinigten Staaten zu exportieren, die dann im Stillen ihren Weg in die Ukraine finden würde. Außerdem ist Südkorea geografisch weit von Europa entfernt, was auf Staaten, die lieber bei ihren Nachbarn einkaufen, abschreckend wirken könnte.

Beim Verkauf von Ausrüstung ist die koreanische Bereitschaft zum Technologietransfer und zur Lokalisierung der Produktion aber ein erheblicher Vorteil. Wie bereits erwähnt umfassen die Rüstungsgeschäfte Polens mit Hyundai Rotem und Hanwa Defense den Aufbau einheimischer Produktionslinien, in denen ab 2026 polnische K2PL-Panzer und K9-Panzerhaubitzen hergestellt werden sollen, sowie eine fortschrittliche K9-Wartungs-, Reparatur- und Überholungsanlage für polnische Ausrüstung sowie die anderer europäischer Streitkräfte.

Wenn die Produktion und Wartung im Inland gewährleistet ist, ist man weniger anfällig für mögliche künftige politische Veränderungen in ausländischen Hauptstädten, und die Versorgung mit Ersatzteilen und Reparaturen ist gesichert. Zwar könnten koreanische Entwürfe weiterhin Exportkontrollen unterliegen, doch hat Südkorea seinen Kunden in der Vergangenheit erlaubt, ihre Entwürfe mit geringen oder gar keinen Einschränkungen zu vermarkten.

Produktionsengpässe im Ukraine-Krieg: Südkorea will liefern

Während die Verteidigungsindustrien vieler fortgeschrittener Staaten, einschließlich der Vereinigten Staaten, mit schwerwiegenden Produktionsengpässen konfrontiert sind, ist die südkoreanische Industrie nach wie vor robust und verfügt über skalierbare Kapazitäten für die industrielle Massenproduktion. Diese Produktionskapazität in Verbindung mit der Bereitschaft Seouls, die Produktion auch nach Europa zu verlagern, ist ein erhebliches Verkaufsargument im Vergleich zur Abhängigkeit vom deutschen nationalen Champion Rheinmetall, der möglicherweise nicht über ausreichende Kapazitäten verfügt, um die Nachfrage zeitnah zu befriedigen.

Der große Umfang der polnischen Aufträge könnte sich ebenfalls zu Gunsten Koreas auswirken. Polen befindet sich mitten in einem entscheidenden Modernisierungs- und Ausbauprogramm im Verteidigungsbereich. Ziel ist es, über eine der schlagkräftigsten Streitkräfte in Europa zu verfügen, mit mehr modernen Panzern als jedes andere NATO-Mitglied mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und der Türkei.

Seine Panzerflotte wird sogar stärker sein als die des Vereinigten Königreichs, Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens und Italiens zusammen. Während die Zahl der in Europa im Einsatz befindlichen Leopard 2 auf rund 2.000 geschätzt wird, werden in den kommenden Jahren allein in Polen fast 1.000 K2 im Einsatz sein. Die Staaten, die jetzt ihre eigenen Leopard-2-Bestände in die Ukraine entsenden, könnten die Anschaffung des K2 als eine Möglichkeit zur Förderung der Interoperabilität mit einem Staat betrachten, der sich bereit gezeigt hat, einer russischen Aggression mit weniger Vorbehalten zu begegnen als die traditionellen Führer Europas.

Ukraine-Krieg offenbart eine unbequeme Wahrheit - profitiert Südkorea?

Auch die Vereinigten Staaten könnten indirekte Vorteile daraus ziehen, wenn sie Südkorea ermutigen, seinen Anteil am europäischen Verteidigungsmarkt aggressiv zu erhöhen. Als Vertragsverbündeter hat Washington ein echtes Interesse daran, dass die südkoreanische Rüstungsindustrie dynamisch und robust ist und die Art von modernen Waffen produzieren kann, die zur Abwehr der nordkoreanischen Aggression benötigt werden.

Durch die Verknüpfung der südkoreanischen Schwerindustrie mit der Sicherheit Europas entsteht eine nützliche Verbindung zwischen den Verbündeten und Interessen der USA in beiden Regionen. So werden polnische Truppen gemeinsam mit südkoreanischen Truppen in beiden Ländern trainieren. Und da die Intensität des Krieges zwischen Russland und der Ukraine die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten daran erinnert, in welch schockierendem Tempo die industrielle Kriegsführung Ausrüstung und Munition verbraucht, ist es sinnvoll, jetzt Handelsbeziehungen aufzubauen, die Defizite in Schlüsselbereichen schnell beheben können.

Ein Blick auf die Unterzeichner des Tallinner Versprechens von Ende Januar – Estland, Großbritannien, Polen, Lettland, Litauen, Dänemark, die Tschechische Republik, die Niederlande und die Slowakei – offenbart eine unangenehme Wahrheit über Staaten, von denen man bisher annahm, sie seien führend in Europa, darunter Frankreich und Deutschland. Sie sind abwesend. Der krasse Unterschied in der Bedrohungswahrnehmung und der Dringlichkeit zwischen dem Zentrum Europas und seiner Russland zugewandten Peripherie ist sehr deutlich geworden.

Um zu verhindern, dass die Sicherheit Europas gegen die Angst Berlins ausgespielt wird, Moskau zu verärgern, könnten sich mehr Staaten dafür entscheiden, dem Beispiel Polens zu folgen und neue außerregionale Verteidigungsbeziehungen mit Staaten zu knüpfen, die ihnen die nötige operative Flexibilität bieten. Gleichzeitig würden sie dadurch die eigene Wirtschaft stärken. Da mehrere südkoreanische Präsidenten ihren Wunsch deutlich gemacht haben, das Land zu einem wichtigen Akteur im Bereich der Verteidigungsexporte zu machen – Präsident Yoon Suk-yeol kündigte an, Südkorea bis 2027 zum viertgrößten Exporteur von Verteidigungsgütern machen zu wollen – könnte Südkorea gut positioniert sein, um mehr von Europas Geschäften zu übernehmen.

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Deutsche Autoindustrie warnt vor Werk-Verlagerungen in die USA

Augsburg (Reuters) - Deutschland könnte nach Ansicht der deutschen Automobilindustrie als Standort vor allem gegenüber den USA ins Hintertreffen geraten.

ARCHIV: Mercedes-Benz Autos in einem Autohaus des deutschen Automobilherstellers Daimler in München

ARCHIV: Mercedes-Benz Autos in einem Autohaus des deutschen Automobilherstellers Daimler in München© Thomson Reuters

"Die Situation ist dramatisch", sagte Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, der Zeitung "Augsburger Allgemeinen" (Montagausgabe) laut Vorabbericht. "In unserer Branche werden derzeit Verlagerungsentscheidungen getroffen." Neun von zehn deutschen Autozulieferern hielten den Standort Deutschland nicht mehr für wettbewerbsfähig. Es drohe eine schleichende Erosion des Standortes Deutschland.

Zuletzt hatte der deutsche Autozulieferer Schaeffler bekannt gegeben, stärker in den USA investieren zu wollen. VW hatte mitgeteilt, für den Bau von E-Autos doch kein neues Werk in Deutschland zu bauen. Die Branche will aber verstärkt in den USA investieren. "Die USA machen eine konsequente Politik, die die Voraussetzungen schafft, der Klimaneutralität den Weg zu ebnen und die Industrie dabei nicht zu verlieren." Der amerikanische Standort sei bei Energiepreisen, Steuern oder Rohstoffsicherung Deutschland weit voraus. US-Präsident Joe Biden fördert über den Inflation Reduction Act die US-Industrie mit Milliarden Dollar. Subventionspaket sorgt vor allem in der Autobranche für Aufsehen.

Ein Hauptproblem sei Müller zufolge hierzulande die hohen Energiepreise. "Die Aufgabe an Berlin und Brüssel könnte nicht eindeutiger sein: Die Wettbewerbsfähigkeit muss durch aktive Standortpolitik schnell und gezielt wieder hergestellt werden. Eine Industrie, die zu 70 Prozent am Export hängt, braucht dringend international wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen. Sonst wird es zwar weiterhin deutsche Autos geben, aber sie werden immer weniger in Deutschland gebaut", sagte Müller den Zeitungen.

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Immer mehr Firmen verlagern Geschäft ins Ausland - Umfrage zeigt erschreckende Entwicklung für Wirtschaftsstandort Deutschland

So viele Firmen wie noch nie haben ihr Geschäft aus Kostengründen ins Ausland verlagert. Das geht aus einer Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer hervor. Ihr Geschäftsführer Martin Wansleben schlägt Alarm. Die Politik will reagieren.

Viele deutsche Unternehmen verlagern ihr Geschäft aus Kostengründen ins Ausland. dpa/Daniel Reinhardt/dpa

Viele deutsche Unternehmen verlagern ihr Geschäft aus Kostengründen ins Ausland. dpa/Daniel Reinhardt/dpa© dpa/Daniel Reinhardt/dpa

Deutsche Firmen wickeln ihre Geschäfte zunehmend aus Kostengründen im Ausland ab. Wie eine dem „Handelsblatt“ vorliegende neue Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ergab, zielt fast jede dritte Auslandsinvestition (32 Prozent) auf das Einsparen von Kosten ab. Das ist der höchste Wert seit 15 Jahren. Vor zehn Jahren waren die geringeren Kosten noch der Grund für jede fünfte Auslandsinvestition gewesen.

Hohe Energiekosten und Steuerbelastungen verjagen Firmen aus Deutschland

Gründe für die Investitionsunlust hierzulande sind einerseits die seit Sommer 2022 gestiegenen Unternehmenskredite. Hinzu kommen die im internationalen Vergleich hohen Energie- und Bürokratiekosten sowie die hohe Steuerbelastung in Deutschland. Andererseits winken in Ländern wie den USA oftmals starke Subventionen für Unternehmen, die folglich vor allem in die Autoindustrie sowie den Transport- und Logistiksektor investieren.

Die schwindende Investitionsbereitschaft der Firmen in Deutschland ist für DIHK-Geschäftsführer Martin Wansleben ein alarmierendes Zeichen. „Das ist geradezu ein Weckruf für bessere Standortbedingungen“, schrieb er in einem Rundbrief an die Chefs der regionalen Industrie- und Handelskammern. Er fordert, dass die Politik entsprechende Gegenmaßnahmen ergreift und für steuerliche Entlastung der Unternehmen sorgt. Außerdem müsse sie steuerliche Anreize schaffen, um das Investieren wieder attraktiver zu machen.

Team um Finanzminister Lindner arbeitet Entlastungsmaßnahmen aus

Tatsächlich scheint Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die mahnenden Worte aus der Wirtschaft vernommen zu haben. Nach Angaben des „Handelsblatts“ erarbeitet ein Team aus seinem Ministerium aktuell mögliche Entlastungsmaßnahmen. Ein zentrales Element soll dabei die Investitionsprämie sein. Diese steuerliche Prämie zielt dem Vernehmen nach darauf ab, Unternehmen bei der Investition in Energieeffizienz und Klimaschutz zu unterstützen.

Zudem plant der Finanzminister eine Ausweitung der Verlustrechnung. Sie ermöglicht es den Firmen, Verluste mit zukünftigen Gewinnen zu verrechnen und dadurch die steuerliche Belastung zu drücken.

Außerdem will Lindner den Personengesellschaften, die oft zwischen 30 und 45 Prozent Steuern abführen müssen, unter die Arme greifen. So soll die Besteuerung ihrer Gewinne reduziert werden – unter der Voraussetzung, dass diese in der Firma bleiben und nicht an den Unternehmensbesitzer ausgezahlt werden.

Ähnliche Vorschläge hatte auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in seinem Jahreswirtschaftsbericht hervorgebracht.

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Grüne Zeiten, rote Zahlen - Stromverbrauch sinkt - Europas energieintensive Industrie steht am Abgrund

Stahlkocher im Einsatz am Hochofen IMAGO/biky

Stahlkocher im Einsatz am Hochofen IMAGO/biky© IMAGO/biky

Europas Stromverbrauch sinkt dramatisch - die energieintensive Industrie steht vor einer Zäsur. Werksschließungen und Produktionsdrosselungen prägen das Bild. Wird die 'grüne' Schwerindustrie Europas neue Antwort auf das Energie-Dilemma sein?

Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) setzt Europa seinen Trend des sinkenden Stromverbrauchs fort - ganz im Gegensatz zum Großteil der Rest der Welt. Wie aus einem aktuellen IEA-Bericht hervorgeht, fiel der Stromverbrauch in der EU in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahr um 6 Prozent. Energieintensive Industrien in der EU hätten sich noch nicht vom Produktionseinbruch des letzten Jahres erholt, hieß es.

Laut IEA wird demnach für das gesamte Jahr ein Rückgang von 3 Prozent im Vergleich zu 2022 erwartet. Diese beispiellose Entwicklung seit Gründung der EU könnte sich bis 2024 mit einem mäßigen Anstieg von 1,7 Prozent abschwächen, jedoch sind diese Prognosen aufgrund der unsicheren Erholung der industriellen Nachfrage mit Vorsicht zu genießen.

Produktionsdrosselungen in der Schwerindustrie

Der IEA zufolge ist der Rückgang des Stromverbrauchs hauptsächlich auf Werksschließungen und Produktionsdrosselungen in der energieintensiven Industrie zurückzuführen, berichtet die „FAZ“. Wetterbedingte Faktoren, Effizienzsteigerungen und Energiesparmaßnahmen spielten zwar eine Rolle, waren jedoch nicht die Hauptursache für den Verbrauchsrückgang.

Besonders betroffen von Produktionsrückgängen waren dem Bericht zufolge Aluminiumhütten, Stahlwerke sowie Papier- und Chemiefabriken. Insolvenzen von kleinen und mittleren Unternehmen in der Automatisierungs- und Papierindustrie, die aufgrund hoher Energiepreise nicht mehr rentabel waren, hätten ebenfalls zur Situation beigetragen.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres war laut „FAZ“ trotz gesunkener Großhandelspreise für Strom und Gas keine signifikante Erholung in der energieintensiven Industrie zu verzeichnen. Vielmehr kam es in Branchen wie der Aluminiumindustrie zu dauerhaften Werksschließungen nach temporären Produktionskürzungen, wie beispielsweise bei Talum aus Slowenien und Slovalco aus der Slowakei.

Weltweit nimmt Stromverbrauch zu - Grund ist die Elektrifizierung

Global gesehen wird bei verbesserten Aussichten für die Weltwirtschaft im kommenden Jahr mit einer Steigerung der Nachfrage nach Strom um 3,3 Prozent gerechnet. Angetrieben wird der Anstieg der Stromnachfrage dem IEA-Bericht zufolge durch die Elektrifizierung im Bemühen, klimaschädliche Emissionen zu reduzieren. Außerdem würden wegen steigender Temperaturen mehr Klimaanlagen genutzt, was den Stromverbrauch in die Höhe treibe. Dazu käme ein robustes Nachfragewachstum in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Auch wenn die Nachfrage in vielen Regionen zunimmt, bedeute der starke Einsatz erneuerbarer Energien weltweit, dass diese auf dem besten Weg seien, das gesamte zusätzliche Wachstum der weltweiten Stromnachfrage in den nächsten zwei Jahren zu decken, ergab die IEA-Analyse. Bis 2024 werde der Anteil der erneuerbaren Energien an der weltweiten Stromerzeugung mehr als ein Drittel betragen. Je nach Wetterlage könnte 2024 das erste Jahr werden, in dem weltweit mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Kohle erzeugt wird.

Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen geht zurück

Gleichzeitig wird die Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen in den nächsten zwei Jahren voraussichtlich zurückgehen, so die IEA. Für die Stromerzeugung aus Öl wird ein deutlicher Rückgang prognostiziert, während die Stromerzeugung aus Kohle 2023 und 2024 leicht zurückgehen wird, nachdem sie im Jahr 2022 um 1,7 Prozent gestiegen war.

„Der weltweite Bedarf an Elektrizität wird in den kommenden Jahren stark ansteigen“, sagte der IEA-Direktor für Energiemärkte und -sicherheit, Keisuke Sadamori. Erwartet werde, dass der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung zunimmt, was zu einem Rückgang der Nutzung fossiler Brennstoffe führt. „Jetzt ist es an der Zeit, dass politische Entscheidungsträger und der Privatsektor auf dieser Dynamik aufbauen, um sicherzustellen, dass die Emissionen des Stromsektors nachhaltig sinken.“

Ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Energiewende greift, ist, dass die IEA nun in vier der sechs Jahre zwischen 2019 und 2024 einen Rückgang der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen erwartet. Dies deute darauf hin, dass sich die Welt rasch auf einen Wendepunkt zubewege, an dem die weltweite Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen zunehmend durch Strom aus sauberen Energiequellen ersetzt werde, heißt es im Bericht.

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Wirtschaftsweise senken Prognose und schlagen Alarm: Deutschland verspielt fast seine gesamte Kraft zum Wachstum

Der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen: Ulrike Malmendier, Martin Werding, Monika Schnitzler, Ulrich Truger und Veronika Grimm.

Der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen: Ulrike Malmendier, Martin Werding, Monika Schnitzler, Ulrich Truger und Veronika Grimm.© Uwe Völkner / bundesfoto
Der Sachverständigenrat der fünf Wirtschaftsweisen: Ulrike Malmendier, Martin Werding, Monika Schnitzler, Ulrich Truger und Veronika Grimm.

Die Wirtschaftsweisen schlagen Alarm. Die deutsche Wirtschaft schrumpfe dieses Jahr um 0,4 Prozent, schreibt der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten. Auch für 2024 trauen die Top-Ökonomen Deutschland nur noch ein Mini-Wachstum von 0,7 Prozent zu. Doch das ist noch einmal das größte Problem: Denn Deutschland drohe darüber hinaus eine lange Stagnation. Die viertgrößte Volkswirtschaft büße ihre Wachstumskraft fast vollständig ein. Deutschland stehe so schlecht da wie noch nie.

Seit Jahrzehnten lag das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft bei rund 1,3 bis 1,5 Prozent im Jahr. Bis 2028 schwinde es auf nur noch 0,4 Prozent, stellen die Ökonomen fest. „Dies wäre ein historischer Tiefstand“. Die Diagnose besagt, dass die Wirtschaftsleistung in Deutschland selbst bei Vollbeschäftigung und einer vollen Auslastung aller Kapazitäten kaum noch wachsen würde.

Die Wirtschaftsweisen nennen den wichtigsten Grund der Schwindsucht: das sinkende Arbeitsvolumen, bedingt durch den demografischen Wandel, weil nun immer mehr Menschen in den Ruhestand gehen, während weniger junge Menschen in den Beruf starten. Hinzu komme eine geringe Zunahme der Produktivität, ein veraltetet Kapitalstock und zu wenige junge und innovative Unternehmen.

Deutschland müsse den Rückgang der Arbeitsmenge bremsen und mehr investieren, um den Mangel mit Technik auszugleichen. Das Land brauche dazu auch eine stärkere Aktienkultur und mehr Wagniskapital. Als eine Maßnahmen schlagen die Ökonomen vor, schon Kinder und Jugendliche mit Kapital auszustatten, das über einen Pensionsfonds angelegt wird.

„Um die Wachstumsschwäche muss Deutschland in seine Zukunft investieren“, schreibt der Rat.

Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ ist das wichtigste Beratergremien der Bundesregierung für Wirtschaftsfragen. Ihm gehören fünf Mitglieder an. Aktuell sind mit Veronika Grimm, Monika Schnitzler und Ulrike Malmendier erstmals Professorinnen in der Mehrheit. Den Rat komplettieren Ulrich Truger und Martin Werding. Seit Oktober 2022 ist Monika Schnitzler die erste Vorsitzende des Gremiums, das auch „die fünf Wirtschaftsweisen“ genannt wird.

Im Vergleich zum Frühjahr senkte der Rat seine Prognose für die Konjunktur deutlich. Seinerzeit hatten die Ökonomen Deutschland noch ein Wachstum von 0,2 Prozent in diesem und 1,3 Prozent im nächsten Jahr zugetraut. Kurzfristig werde die Erholung der Konjunktur aber immer noch durch die Energiekrise, gesunkene Realeinkommen, die hohen Zinsen und das schwächelnde China-Geschäft gebremst.

Die Inflationsrate werde 2023 im Durchschnitt 6,1 Prozent betragen. In der zweiten Jahreshälfte war sie spürbar auf 3,8 Prozent im Oktober zurückgegangen. Die Wirtschaftsweisen rechnen damit, dass sich die Teuerung sind 2024 weiter auf durchschnittlich 2,6 Prozent abkühlt. 2024 dürften die Löhne und Gehälter wieder stärker steigen als die Preise. „Aufgrund steigender Realeinkommen ist mit einer Ausweitung des privaten Konsums zu rechnen“. So soll das kleine Wachstum entstehen.

Die Reformvorschläge der Wirtschaftsweisen

„Viel bedeutsamer als die konjunkturelle Schwäche sind die mittelfristigen Wachstumsperspektiven“, heißt in dem 465-Seiten-Gutachten. „Die deutsche Volkswirtschaft weist seit Beginn der Corona-Pandemie das geringste BIP-Wachstum im Euro-Raum auf.“ Um die Schwäche zu überwinden, müsse in insgesamt mehr gearbeitet werden. „Stärkere Erwerbsanreize, eine ambitioniertere Zuwanderungspolitik, verbesserte Schulbildung und eine Stärkung der Universitäten sind entscheidend“, schreiben die Wirtschaftsweisen.

Strukturwandel müsse zugelassen werden, sagte Veronika Grimm. Das zielt gegen den von Wirtschaftsminister Robert Habeck favorisierten, staatlich subventionierten Industriestrompreis. Wichtiger seien Investitionen in Maschinen, Roboter und neue Technologien wie Künstliche Intelligenz, um die Produktivität zu steigern.

Um mehr Kapital zu mobilisieren und die Rente zu stabilisieren, schlägt der Rat den Aufbau eines „öffentlich verwalteten Pensionsfonds“ vor. Er könne ein Baustein einer kapitalgedeckten Altersvorsorge sein und mehr Haushalten Zugang zum Kapitalmarkt öffnen. „Um die großen Renditevorteile sowie das geringe Risiko breit gestreuter Anlagefonds allen Bevölkerungsschichten zugänglich zu machen, sollten schon Kinder und Jugendlich mit einem Startkapital ausgestattet werden, das in einen solchen Fonds investiert wird", schlug Malmendier vor.

Achim Truger regt für den Sachverständigenrat an, die Grundsicherung zu reformieren. Ziel sollte es sein, Erwerbsanreize zu stärken und die Armutsgefährdung zu verringern. Die Ökonomen schlagen vor, das Ehegattensplitting in der Einkommensteuer so zu reformieren, dass verheiratete Zuverdienende, meist Ehefrauen, einen größeren Anreiz zur Erwerbsarbeit haben. Dazu müsse auch die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Um die Rentenkassen angesichts der Alterung stabil zu halten, sollte das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung geknüpft werden.

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