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Analyse von Ulrich Reitz - Scholz und Baerbock feiern den Asyl-Durchbruch - die Wahrheit ist zum Heulen

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). IMAGO/Metodi Popow

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). IMAGO/Metodi Popow© IMAGO/Metodi Popow

Die Europäer einigen sich auf ein strengeres Asylrecht und Olaf Scholz macht ein Versprechen, das sehr mutig ist. Von jetzt an sind die Asyl-Zahlen Kanzler-Zahlen.

Hier kommt das nächste Versprechen vom Bundeskanzler: Europa habe sich endlich auf ein neues Asylsystem geeinigt. „Damit begrenzen wir die irreguläre Migration und entlasten die Staaten, die besonders stark betroffen sind – auch Deutschland.“

Das Versprechen von Olaf Scholz ist – nun ja – wagemutig.

Nach jahrelangen Verhandlungen hat sich Europa auf ein neues Asylverfahren geeinigt – die Europäische Kommission, der Europäische Rat und das Europäische Parlament, also: Brüssel I, Brüssel II und Brüssel III. Genannt deshalb: Trilog. Ziel ist die Verringerung der irregulären Migration, die gerade etliche Regierungen in Europa umtreibt, beileibe nicht nur die deutsche.

Das Migrationsthema bringt gerade die politischen Verhältnisse zum Tanzen. Bei einem großen Nachbarn Deutschlands etwa. In Frankreich hat aktuell die linksliberale Partei von Präsident Emmanuel Macron gemeinsam mit den Rechtsradikalen von Marine Le Pen ein neues Migrationsrecht beschlossen. Wollte man das kommentieren, wie Vergleichbares gerne in Deutschland kommentiert wird, könnte man sagen: Ende der Brandmauer.

Bei den Grünen kämpfte Baerbock für die Reform, in Europa versuchte sie, diese zu verwässern

Zunächst einmal: Diese europäische Einigung ist wichtig, deshalb kommentiert sie auch der deutsche Kanzler persönlich. Und nicht nur die Außenministerin Annalena Baerbock, die dabei eine janusköpfige Rolle einnahm: Bei den Grünen kämpfte sie für die Reform, in Europa versuchte sie, dieselbe noch zu verwässern – und scheiterte an der Mehrheit der europäischen Staaten.

Baerbocks Janusköpfigkeit hat zu tun mit ihrer Doppelrolle. Als Außenministerin muss sie am Ende europafreundlich agieren, als grüne Spitzenpolitikerin muss sie aber ihre Partei bei der Stange halten. Beim neuen europäischen Asylrecht hat Baerbock das auf einem für sie turbulent verlaufenen kleinen Parteitag im Sommer geschafft. Deshalb gibt sie nun zu, sich mit bestimmten Menschenrechts-Standards nicht durchgesetzt zu haben: „Bei der pauschalen Ausnahme von Kindern und Familien aus dem Grenzverfahren konnten wir uns als Deutsche nicht durchsetzen.“ Sie setzt damit ein Signal an ihre grüne Partei: Seht ihr, ich habe gekämpft – wenn auch verloren.

Baerbock wie die Grünen müssen auch darauf achten, dass sie sich nicht allzu weit von jenen Asyl-NGOs (Nichtregierungsorganisationen) entfernen, die das grüne Umfeld bilden. Gegen eine europäische Asylrechtsverschärfung hat sich ein sehr breites, linkes Bündnis gebildet. Es reicht von Gewerkschaften über christliche Sozialorganisationen wie die Caritas bis hin zur Migranten-Lobby Pro Asyl.

„Offene Grenzen“ und „Willkommenskultur“ gehören zum rot-grünen Mantra seit Jahren

„Heute ist ein katastrophaler Tag für die Menschen, die vor Krieg und Gewalt fliehen“, ordnet ein Experte von Ärzte ohne Grenzen die Einigung ein. „Die Europäische Union setzt mit ihrer Asylreform auf Internierungslager, Zäune und Abschiebungen in unsichere Drittstaaten. Das ist ein Kompromiss auf Kosten der Menschenrechte.“

In diesem politischen Umfeld bewegt sich die Ampelregierung in der Asylpolitik. Die Koalition ist zu Zweidritteln links, „offene Grenzen“ und „Willkommenskultur“ gehören zum rot-grünen Mantra seit Jahren, bei den Grünen seit Jahrzehnten. Dass die Ampelregierung den Brüsseler Kompromiss, der tatsächlich eine Verschärfung ist, dennoch mitträgt, ist ohne den Druck, den die Kommunen und die Länder auf Berlin gemacht haben, nicht zu erklären. Hinzukommt die Furcht vor einer immer stärker werdenden AfD.

Deshalb brauchten alle Europäer diese Einigung – so gut wie alle fürchten die Europawahl im kommenden Juni. Das mag auch der Grund sein, weshalb der EVP-Vorsitzende Manfred Weber, ein prominenter CSU-Mann, den Kompromiss nun geradezu frenetisch feiert. Eine Denkzettelwahl im kommenden Sommer würde auch zulasten der Bürgerlichen in Europa gehen.

Die Wahrheit findet sich im gar nicht mal so Kleingedruckten

Rechnet man die Freude des Bundeskanzlers und die Sorgen der Asyl-Lobby zusammen, könnte man den Eindruck gewinnen, es handle sich beim Asyl-Kompromiss tatsächlich um eine Groß-Einigung. Das ist sie allerdings nicht, es ist der kleinste Nenner. Die Wahrheit findet sich im gar nicht mal so Kleingedruckten. Dort steht eine magische Zahl: 20.

Nur Asylbewerber aus Ländern, für die die Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt, müssen in das beschleunigte Verfahren und in die dafür vorgesehenen Grenzlager. Und auch nur sie müssen mit schnelleren Abschiebungen rechnen. Und auch nur dann, wenn sich ein Staat findet, der die abgelehnten Asylbewerber auch auf- bzw. zurücknimmt.

Das ist das Kernproblem – auch bei dem aktuellen Brüsseler Kompromiss. Migrationsforscher wie Ruud Koopmanns, der in Berlin lehrt, weisen seit Monaten darauf hin.

Bei den Hauptherkunftsländern der Asylbewerber, Syrien an der Spitze, ist die sogenannte Schutzquote bei weitem höher als jene 20 Prozent, die sie in ein solches Verfahren bringen würde. So ist es auch bei den Migranten aus Afghanistan, dem Irak, dem Iran. Nur ein kleiner Kreis von Ländern ist von der Brüsseler Regelung überhaupt betroffen, etwa Georgien. Von dort kommen aber nur wenige Asylbewerber, allenfalls ein paar tausend.

Für die übergroße Mehrheit der Migranten ändert sich überhaupt nichts

Die Brüsseler Regelung ist ein Sonderfall, sie definiert eine Ausnahme von der Regel, dazu für eine nur kleine Gruppe. Für die übergroße Mehrheit der Migranten ändert sich durch die europäische Einigung überhaupt nichts – sie bleiben in den regulären Verfahren, können gegen Ablehnungsbescheide klagen und abgeschoben werden nur die wenigsten. Ob die beabsichtigte Abschreckung von Migranten, an den afrikanischen Küsten in die Schlepper-Boote zu steigen, funktioniert, steht in den Sternen.

Ein Grenzfall ist die Türkei – inzwischen Migranten-Herkunftsland Nummer zwei. Zuletzt hat Olaf Scholz mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan bei dessen Staatsbesuch in Deutschland über eine Rücknahme türkischer Asylbewerber verhandelt. Ein greifbares Ergebnis gibt es noch nicht. In den vergangenen beiden Jahren hat sich die Zahl der türkischen Asylbewerber mehr als verdoppelt.

Das hat Gründe: Das schwere Erdbeben in der Türkei hat dort die wirtschaftliche Not noch einmal verstärkt – ohnehin ist die Inflation seit langem auf Rekordniveau. Nach dem sogenannten Putsch der Gülen-Bewegung gab es eine Verhaftungswelle in der Türkei. Rund Zweidrittel der Asylbewerber, die in diesem Jahr aus der Türkei nach Deutschland kamen, sind Kurden, denen Erdogan ohnehin das Leben schwer macht.

Und doch: Die Anerkennungsquote von Türken ist gering, die „Schutzquote“ liegt knapp unter 20 Prozent. Dennoch werden auch abgelehnte türkische Asylbewerber nur selten abgeschoben – was der Grund für Scholz war, mit Erdogan zu verhandeln.

Allenfalls zehn Prozent der Migranten erfüllen die Voraussetzungen für die verkürzten Verfahren

Zählt man die Länder zusammen, bei denen die Anerkennungsquote unter 20 Prozent liegt, dann kommt man auf ernüchternde Zahlen – allenfalls zehn Prozent der Migranten erfüllen überhaupt die Voraussetzungen für die verkürzten Verfahren und die von Scholz angekündigten schnelleren Abschiebungen.

Das erklärt, weshalb fürs erste lediglich 30.000 Plätze in den Auffanglagern vorgesehen sind. Nach Europa werden Ende dieses Jahres aber mehr als eine Million Migranten gekommen sein – nicht eingerechnet die Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, die ohnehin erst einmal nicht in Asylverfahren müssen.

Die meisten Asylbewerber, die nach Europa kommen, zieht es nach Deutschland. Ende des Jahres ist mit einer Rekordzahl zu rechnen – rund 350.000 Asylbewerber, plus 130.000 Familienangehörige, die vom Auswärtigen Amt die Genehmigung für den Familiennachzug bekommen haben.

Eine Entlastung, die sich jetzt die Städte und Gemeinden in Deutschland von der Brüsseler Asyl-Einigung erhoffen, dürfte es kaum geben. Dafür sind die Migranten-Zahlen zu groß und ist die Asyl-Einigung zu klein. Für Scholz und die Seinen ist der EU-Kompromiss Entlastung und Hypothek zugleich:

Ein paar Tage kann der Kanzler die Brüsseler Asyl-Einigung feiern. Danach wird er an den Zahlen gemessen. Bleiben die hoch, dann hat Scholz jetzt noch ein Problem mehr. Allzu mutige Versprechen können zum Bumerang werden. Aber das kennt der Kanzler ja schon.

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