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Inflation: Trotz Bankenbeben: EZB hebt Zinsen weiter an

Die Europäische Zentralbank legt im Kampf gegen die hohe Inflation nach – trotz der Turbulenzen im Bankensektor. Denn die Teuerungsrate bereitet den Währungshüter Sorgen.

Anleger haben gespannt auf die Entscheidung gewartet. Foto: dpadata-portal-copyright=

Anleger haben gespannt auf die Entscheidung gewartet. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Wirtschaftswoche

Die EZB setzt trotz der jüngsten Turbulenzen im Bankensektor ihren Zinserhöhungskurs fort. Die Währungshüter um Notenbankchefin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf ihrer zweiten geldpolitischen Sitzung in diesem Jahr, im Kampf gegen die hohe Inflation wie im Februar die Schlüsselsätze um einen halben Prozentpunkt anzuheben. Damit liegt der an den Finanzmärkten richtungsweisende Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, künftig bei 3,00 Prozent. Die Währungshüter bekräftigten zudem ihre Entschlossenheit, eine zeitnahe Rückkehr der Inflation auf das mittelfristige Zwei-Prozent-Ziel sicherzustellen. „Die erhöhte Unsicherheit verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig ein datengestützter Ansatz bei den Leitzinsbeschlüssen des EZB-Rats ist“, hieß es weiter.

Die Furcht vor einer neuen Bankenkrise hatte in den vergangenen Tagen an den Börsen heftige Turbulenzen ausgelöst. Erst hatte der Zusammenbruch der Silicon Valley Bank (SVB) in den USA den Bankensenktor an den Börsenplätzen in den Vereinigten Staaten und in Europa nach unten gezogen. Dann fachte die Vertrauenskrise bei der Credit Suisse, der zweitgrößten Bank der Schweiz, die Unruhe an den Finanzmärkten erneut an. Die Credit Suisse erhält nun maßgeschneiderte Hilfe von der Schweizerischen Nationalbank (SNB). Das Institut will bei der SNB Kredite über bis zu 50 Milliarden Franken aufnehmen.

Für die Europäische Zentralbank war dies daher keine einfache Zinsentscheidung, denn die Euro-Wächter müssen auch die Stabilität des Finanzsystems im Blick halten. Auf der anderen Seite hatten Notenbankchefin Lagarde und andere Währungshüter zuletzt wiederholt die Absicht bekräftigt, im Kampf gegen die hohe Inflation einen erneuten großen Zinsschritt um 0,50 Prozentpunkte zu gehen. Damit stand auch ihre Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Denn die Inflation im Euro-Raum ließ zwar zuletzt leicht nach – sie sank im Februar auf 8,5 Prozent von 8,6 Prozent im Januar. Doch das Notenbank-Ziel einer Teuerung von 2,0 Prozent liegt damit immer noch weit entfernt. Zudem nahm die Kernrate, in der die schwankungsanfälligen Energie – und Lebensmittelpreise ausgeklammert bleiben, im Februar auf 5,6 Prozent zu nach 5,3 Prozent im Januar. Das bereitet den Währungshütern Sorgen: Denn dies könnte Hinweise darauf geben, dass der starke Preisschub womöglich noch länger anhält als bislang gedacht.

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Zinswende: Zentralbanken nehmen Kollateralschaden in Kauf

Die Zinserhöhungen der Zentralbanken haben zu einer Pleiteserie im Finanzsektor geführt.

Zinswende: Zentralbanken nehmen Kollateralschaden in Kauf

Zinswende: Zentralbanken nehmen Kollateralschaden in Kauf© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Trotzdem ist die Europäische Zentralbank (EZB) fest entschlossen, ihren Kurs beizubehalten. „Eine mittelfristige Rückführung der Inflation auf zwei Prozent ist nicht verhandelbar“, sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Mittwoch. „Wir werden dies tun, indem wir einer robusten Strategie folgen.“ Es gebe „keine Kompromisse“ in Bezug auf das Hauptziel: die Bekämpfung der anhaltend hohen Inflation im Euro-Raum.

Die EZB startete den Ausstieg aus der Nullzinspolitik im Juli 2022 und hat den Leitzins in der letzten Woche auf 3,75 Prozent angehoben. In den USA hat die Notenbank Federal Reserve den Leitzins seit März 2022 in schnellen Schritten zuletzt Anfang Februar auf eine Spanne von 4,5 bis 4,75 Prozent hochgeschraubt. Vor der nächsten Sitzung am Mittwochabend wurde intensiv darüber diskutiert, ob die Fed angesichts der angespannten Lage auf weitere Erhöhungen verzichten würde.

Gibt es keine Alternative zu steigenden Zinsen und damit zu weiteren Banken-Crashs? Joscha Wullweber, Professor für politische Ökonomie an der Universität Witten/Herdecke, erklärte im Gespräch mit der Berliner Zeitung: „Die EZB befindet sich in einem Dilemma.“ Lagarde wisse genau, dass ihre Zinserhöhung die Ursachen der derzeitigen Inflation nicht bekämpfen könne. Denn die anhaltend hohen Teuerungsraten hätten andere Gründe: hohe Energiepreise aufgrund des russischen Angriffskriegs, steigende Verbraucherpreise wegen Lieferkettenproblemen nach der Corona-Pandemie, die Klimakrise habe zu Ernteausfällen geführt, außerdem hätten viele Firmen Zusatzprofite kassiert.

„Wenn die EZB allerdings nicht handelt, wird ihr vorgeworfen, gegen ihr Mandat zu handeln, das der Preisstabilität verpflichtet ist“, sagte Wullweber. Die jüngsten Zinserhöhungen führten allerdings dazu, dass die Wirtschaft, die nach Corona nur schleppend wieder auf die Beine komme, wieder abgewürgt werde. Mit schwerwiegenden Folgen: „Dringend benötigte Investitionen in den Klimaschutz gehen stark zurück. Auch die Finanzierungskosten für den Staat werden deutlich teurer“, erklärte Wullweber. „Die EZB sollte daher mit Verweis auf die schwierige wirtschaftliche Lage und die prekäre Lage vieler Menschen von weiteren Zinserhöhungen absehen.“

Deutschland ist bislang unbeschadet aus der Krise gekommen. Die Gewerkschaften sind aber auf der Hut: „Aktuell können wir nicht seriös einschätzen, wie schwer die Krise ausfallen wird“, sagte Verdi-Chefvolkswirt Dierk Hirschel der Berliner Zeitung. Doch er ist zuversichtlich, dass die Gewerkschaften und die Bundesregierung aus den letzten Finanzkrisen gelernt haben: Mittlerweile würden Staatsausgaben erhöht, Konjunkturpakete geschnürt, Arbeitszeit verkürzt, Zinsen gesenkt und kriselnde Banken verstaatlicht. „Das ist gut so!“ Zudem seien die Guthaben von Kleinsparern hierzulande bis maximal 100.000 Euro gesetzlich geschützt.

Die wirtschaftlichen Folgen waren nach Ausbruch der Finanzkrise von 2008 enorm: „Das Sozialprodukt schrumpfte um fast sechs Prozent und die Investitionen brachen um ein Fünftel ein“, erinnert sich Hirschel. Dass die Zahl der Arbeitslosen damals um „nur“ 100.000 anstieg, sei auf den damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) und auf den Druck der Gewerkschaften zurückzuführen. Insgesamt wurden 3,3 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt. „Diese Form der Arbeitszeitverkürzung hatte Millionen Jobs gesichert“, sagte Hirschel. „Zudem stabilisierten milliardenschwere Konjunkturprogramme die Konjunktur. Der robuste Arbeitsmarkt verhinderte einen Kollaps der Löhne. Die Reallöhne sanken damals nur um 0,1 Prozent.“

Die derzeitige Krise hat jedoch ein anderes Kaliber: „Der Mix aus Zinswende und mangelhafter Finanzmarktregulierung ist nicht ungefährlich“, sagte Hirschel. In den USA hätten 190 Banken zusammen mittlerweile zwei Billionen US-Dollar an nicht realisierten Verlusten zu verdauen. Wenn die Welle nach Europa schwappt, könnten die Herausforderungen größer werden als 2008.

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EZB-Beobachter sehen Zinsgipfel im Juli - 3,75% bis Jahresende

(Bloomberg) -- Der Europäische Zentralbank wird ihre Leitzinsen laut einer Bloomberg-Umfrage unter Volkswirten im Mai, Juni und Juli um jeweils 25 Basispunkte anheben. Das damit erreichte Niveau des Einlagensatzes von 3,75% werden die Währungshüter nach Ansicht der Ökonomen dann bis Anfang nächsten Jahres beibehalten.

EZB-Einlagensatz dürfte im Juli Gipfelwert von 3,75% erreichen |

EZB-Einlagensatz dürfte im Juli Gipfelwert von 3,75% erreichen |© Quelle: Bloomberg-Ökonomenumfrage vom 5. bis 13. April

Der Umfrage zufolge, die vom 5. bis 13. April durchgeführt wurde, stimmen die Erwartungen der Ökonomen im Großen und Ganzen mit denen der Geldmärkte überein, die nach den Bankturbulenzen in den USA und der Schweiz ihre Wetten auf den Zinsgipfel im Zyklus zurückgefahren haben.

Am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds sprachen sich EZB-Ratsmitglieder in der vergangenen Woche fast einstimmig für eine weitere Anhebung der Zinsen am 4. Mai aus. Der Umfang des Zinsschritts — wohl 25 oder 50 Basispunkte — steht indessen noch zur Debatte.

Die jüngsten Turbulenzen im Finanzsektor könnten der EZB laut Christine Lagarde in die Hände spielen, indem sie das Kreditumfeld strafft. Wenn die Banken nicht zu viele Kredite vergeben und sich auf das Risikomanagement konzentrieren, “könnte dies die Arbeit, die wir zur Senkung der Inflation leisten müssen, verringern”, sagte die EZB-Präsidentin in der CBS-Sendung “Face the Nation”. “Wenn sie die Kreditvergabe allerdings zu sehr einschränken, wird das Wachstum übermäßig belastet. Es ist also ein schmaler Grat.”

Am heutigen Montag spricht Lagarde vor dem Council on Foreign Relations in New York.

Die Kerninflation im Euroraum könnte im Quartalsdurchschnitt ihren Höhepunkt erreicht haben. Die von Bloomberg befragten Ökonomen rechnen im laufenden Quartal mit einer Rate von 5,5%. In der zweiten Jahreshälfte dürfte sie nach ihrer Erwartung die Gesamtteuerung übertreffen.

Kerninflation dürfte Gesamtteuerung übertreffen |

Kerninflation dürfte Gesamtteuerung übertreffen |© Qeulle: Bloomberg-Ökonomenumfrage vom 5. bis 13. April
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Nervöse Banken: Kommt die nächste Krise?

In der internationalen Bankenwelt herrscht weiter Nervosität. Trotz der milliardenschweren Bankenrettungen in den USA und der Schweiz ist etwa für den Chef der Standard Chartered eine neue Krise jederzeit möglich. Bill Winters sagte dem Sender CNBC, er erwarte, dass noch unangenehme Dinge zum Vorschein kommen werden. Winters warnte davor, dass die „dramatische Veränderung des makroökonomischen Umfelds“ – nämlich schnelle Zinserhöhungen zur Zähmung der steigenden Inflation – bestehende Probleme bei einigen Kreditgebern verschärft habe, deren Folgen noch nicht abgeschätzt werden könnten. Zwar hätten die Zentralbanken im Fall der Rettung von Silicon Valley Bank (SVB) und Credit Suisse (CS) nicht mehr anders handeln können. Doch müsse vorgesorgt werden, dass es gar nicht so weit komme, dass Banken wieder mit öffentlichen Geldern gerettet werden müssen. Das Problem sei, so Winters, dass es im Grunde keine einheitliche Regulierung gebe, die alle Risiken berücksichtigen kann.

Nervöse Banken: Kommt die nächste Krise?

Nervöse Banken: Kommt die nächste Krise?© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Am Beispiel der Credit Suisse zeigt sich, dass auch die zunächst scheinbar sichere Rettung nicht garantiert, dass alles glattläuft. So meldete die Schweizer Großbank UBS, der die CS von der Schweizer Regierung, der Notenbank und dem Regulierer angedient wurde, schlechte Zahlen im ersten Quartal. Der Schweizer Finanzblog Inside Paradeplatz schreibt: „Die UBS ist in viel schwächerer Form als vermutet. Der Gewinn für Januar bis März halbiert sich, die Ausgaben schießen durch die Decke.“

Die UBS hat allein für den ersten Akt der CS-Übernahme 70 Millionen US-Dollar aufgewendet. Die Integration dürfte noch gewaltige Kosten nach sich ziehen. Trotzdem schreibt die UBS, dass das erste Quartal gar nicht so schlecht gewesen sei: „Wir erzielten diese Ergebnisse in einem Quartal, das gekennzeichnet war von anhaltenden Sorgen über die Zinsen und das Wirtschaftswachstum, die durch die Unsicherheit über die Stabilität des Bankensystems, insbesondere in den USA, noch verstärkt wurden. Vor diesem Hintergrund blieb die Aktivität der privaten und institutionellen Anleger verhalten.“

Das Umfeld bleibt auch in den USA unruhig: Der Bank-Run bei der kalifornischen Regionalbank First Republic Bank war offenbar dramatischer als bisher bekannt. Die Bank teilte am Montagabend mit, Kunden hätten im März Einlagen in Höhe von knapp 100 Milliarden Dollar abgezogen. Nur weil andere Banken der First Republic mit 30 Milliarden Dollar beisprangen, konnte Schlimmeres vorerst vermieden werden.

Am Montag stürzte der Kurs nachbörslich um 20 Prozent ab. Die Bank sucht händeringend einen neuen Eigentümer, bisher haben alle potenziellen Interessenten abgewunken. Der überraschend hohe Abfluss zeigt, dass viele Kunden trotz der staatlichen Rettung der SVB noch sehr besorgt sind. Wie die SVB spielt auch die First Republic eine wichtige Rolle in der Start-up-Szene von Silicon Valley. Auch Mark Zuckerberg soll Kunde der First Republic gewesen sein, wie das Wall Street Journal berichtet.

Wie es mit Bankaktien weitergeht, wird unter anderem von der Zinspolitik der Zentralbanken abhängen. Chefvolkswirt Philipp Lane kündigte am Dienstag in der Pariser Zeitung Le Monde an, dass die Europäische Zentralbank „die Zinsen nächste Woche wieder anheben“ sollte. Die Zeit für eine Zinswende sei noch nicht gekommen, so Lane.

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Dublin mahnt EZB: Folgen der Zinsen für ‘reales Leben’ bedenken

(Bloomberg) -- Im Vorfeld der dieswöchigen Zinsentscheidung hat Irlands Finanzminister Michael McGrath die Europäische Zentralbank zur Umsicht aufgefordert, was die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung auf Unternehmen und Haushalte betrifft. Die Firmen rief er auf, durch Preissenkungen ihren Teil zur Inflationsbekämpfung beizutragen.

“Die Geldpolitik hat in Bezug auf die Zinspolitik sehr schwierige Entscheidungen zu treffen”, sagte McGrath am Wochenende in Schweden beim Treffen von Finanzministern und EZB-Räten, an dem auch EZB-Präsidentin Christine Lagarde teilnahm. “Sie muss nicht nur den breiteren wirtschaftlichen Kontext berücksichtigen, sondern auch die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen auf das reale Leben der Menschen.”

McGrath betonte, der EZB nicht vorschreiben zu wollen, was sie zu tun habe. Dennoch ist es ungewöhnlich, dass sich Finanzminister auch nur ansatzweise zur Geldpolitik äußern.

Analysten erwarten, dass die EZB auf ihrer Sitzung am Donnerstag das Tempo der Zinsanhebungen drosseln wird. Seit Juli letzten Jahres hat die Zentralbank die Zinsen bereits um 350 Basispunkte angehoben.

EZB-Einlagensatz dürfte im Juli bei 3,75% Gipfel erreichen |

EZB-Einlagensatz dürfte im Juli bei 3,75% Gipfel erreichen |© Quelle: Bloomberg-Umfrage unter Volkswirten, durchgeführt vom 21.-26. April

In Irland gebe es in Bezug auf die fortgesetzte Anhebung der Zinsen negative Auswirkungen, so McGrath, insbesondere für die ärmsten Haushalte, die mit steigenden Hypothekenkosten konfrontiert sind. Unter Druck stünden zudem einige Unternehmen mit variabel verzinslichen Schuldtiteln.

Irlands Finanzminister forderte die Unternehmen auf, Kostenrückgänge durch Preissenkungen an die Verbraucher weiterzugeben. “Wenn das nicht geschieht, liegt die Last, die Inflation zu senken, allein bei der Geldpolitik”, sso McGrath. “Wir wissen, was es für Menschen und Unternehmen bedeutet, wenn die Zinsen immer höher werden.”

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Kommentar: Die Europäische Zentralbank ist eine Fehlkonstruktion, aber sie ist besser als ihr Ruf

Gibt es einen besseren Platz, um in Wohlstand und Sicherheit zu leben? Foto: dpadata-portal-copyright=

Gibt es einen besseren Platz, um in Wohlstand und Sicherheit zu leben? Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

Die EZB ist ein ewiges Provisorium. Sie passt damit perfekt zur Geschichte Europas seit dem Mittelalter – obwohl die Notenbank selbst gerade mal ihr erstes Jubiläum feiert.

Kann das gut gehen? Eine einzige Notenbank für mittlerweile 20 europäische Staaten, plus Andorra, Monaco, San Marino und den Vatikan als offiziell assoziierte Miniländer. Dazu noch Montenegro und der Kosovo als inoffizielle Nutzer. Plus angekoppelt die dänische Krone und zwei Versionen des CFA-Francs in zusammen 14 afrikanischen Staaten?

Die Konstruktion des Euros, als dessen Grundlage am Mittwoch vor 25 Jahren die Europäische Zentralbank (EZB) gegründet wurde, ähnelt dem großen politischen Durcheinander, von dem die europäische Feudalgeschichte bis ins 20. Jahrhundert geprägt war.

Rund tausend Jahre lang gab es ein Geflecht von dynastischen Beziehungen, politischen Hierarchien, einzeln vergebenen Rechten und über allem einen oft machtlosen Monarchen auf Wanderschaft und einen hin und wieder tagenden Reichstag mit mehr Pomp als wirklicher Politik.

Diese Struktur wirkt bis heute nach mit einer Fülle von Mittel- und Kleinstaaten, einer in Ansätzen übergeordneten Gerichtsbarkeit, einer für Teile Europas einheitlichen Notenbank, einem Parlament mit zu wenig Befugnissen und einer Kommission, die keine wirkliche Regierung ist und mit Verordnungen regiert, die oft nicht wirklich demokratisch legitimiert sind.

Trotzdem: Gibt es einen besseren Platz, um in Wohlstand und Sicherheit zu leben?

Die EZB ist Teil und Spiegel dieser strukturell chaotischen europäischen Welt. Schon bei ihrer Gründung wurde Skepsis laut, und seither reißt die Kritik nicht ab. Viele angelsächsische Experten halten es bis heute für eine Fehlkonstruktion, eine einheitliche Währung ohne eine einheitliche Finanzpolitik zu schaffen. Wobei Europa das ja schon für Jahrhunderte hatte – mit Edelmetallen als Währung, die lediglich unterschiedlich in Münzen geprägt und als Banknoten verbrieft wurden.

In Deutschland und einigen Nachbarländern dominiert die Sorge, zu viel für andere zahlen zu müssen oder indirekt fremde Schulden angelastet zu bekommen. In anderen Ländern ist „Europa“ insgesamt mit der Sorge behaftet, zu viel Einmischung in die eigene Politik zu erleiden.

Weniger Inflation als früher

Trotzdem: Seit der Einführung des Eurobargelds Anfang 2002 ist die Währung weitgehend eine Selbstverständlichkeit geworden. Mit der EZB ist die Inflation, über weite Strecken sogar auch in Deutschland, niedriger, als sie zuvor ohne sie war. Auch in der aktuellen Phase mit Inflationsraten, die weit jenseits des EZB-Ziels von knapp zwei Prozent liegen, hat die Notenbank zwar ohne Zweifel viel zu spät reagiert. Aber im Endeffekt schneidet die EZB nicht schlechter ab als zum Beispiel die traditionsreiche Bank of England.

Von chronischer Währungsschwäche oder zu starker Währung, die den Export gefährdet, ist nicht mehr viel zu sehen. Ja, der Zusammenhalt der Währungsunion war vor mehr als zehn Jahren bei der Euro-Krise gefährdet, und es wird auch weitere Euro-Krisen geben. Ja, die EZB hat den Zusammenhalt zum Teil mit zweifelhaften Maßnahmen unterstützt, die zu einer Vermischung mit der Finanzpolitik führten.

Aber als Nothelfer für Regierungen stehen im Zweifel auch die anderen Notenbanken zur Verfügung. Ja, niedrige Zinsen, die nur eingeschränkt die finanzielle Situation eines einzelnen Landes widerspiegeln, können zu hoher Staatsverschuldung einladen.

Wahrscheinlich wird die EZB mit dem Euro als dauerhaftes, aber letztlich vergleichsweise gut funktionierendes Provisorium in die Geschichte eingehen – passend zur Geschichte Europas seit dem Mittelalter und zur Europäischen Union insgesamt. Anders als häufig kritisiert, war es kein „Geburtsfehler“, den Euro ohne einheitliche Finanzpolitik zur Welt zu bringen. Ohne diesen „Fehler“ hätte es nie eine politische Einigung gegeben, die neue Währung war nur so zu haben. Auf der anderen Seite hat sich die Hoffnung, dass der Euro quasi den Weg zu einem politischen geeinten Europa bahnt, allenfalls in Krisenzeiten in kleinen Ansätzen erfüllt. Hier gilt es, realistisch zu bleiben.

Europa wird kein Bundesstaat

Eine einheitliche Finanzpolitik kann es nur in einer politischen Union geben. Denn Finanzpolitik ist ja kein Spezialgebiet wie etwa Bildung oder Landwirtschaft, sondern spiegelt die gesamte Politik wider und reguliert sie zum Teil auch. Da lassen sich eher Teilbereiche, etwa die Rüstung, stärker integrieren; das Budgetrecht, Ursprung der parlamentarischen Demokratie, werden sich die nationalen Parlamente nicht komplett entziehen lassen. Die Idee, mit einem europäischen Finanzminister oder anderen strukturellen Retuschen mehr Einheit zu schaffen, wird daher nicht allzu weit führen.

Europa ist ein Staatenbund und kein Bundesstaat, und es ist nicht absehbar, dass die Europäer in Zukunft etwas anderes wollen. Daher bleibt wahrscheinlich auch die EZB ein Provisorium, was aber – auch hier lohnt der Blick in die Geschichte – sogar Jahrhunderte überdauern kann.

Gerade in einem Provisorium kommt es darauf an, wie die Zusammenarbeit gelebt wird. Und hier zeigt sich bei der EZB doch ein Fortschritt seit dem Antritt von Christine Lagarde als Präsidentin – und dem von Joachim Nagel als Präsident der Bundesbank.

Meinungsverschiedenheiten, hinter denen sich oft auch politische Interessengegensätze verbergen, werden sachlicher, jedenfalls ruhiger ausgetragen. Dass überhaupt gestritten wird, ist nicht nur unvermeidbar, sondern notwendig – bei einer Institution, die 20 Länder zufriedenstellen soll.

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Kampf gegen die hohe Inflation : Euro fällt auf Jahrestief

Die Europäische Zentralbank hat den momentanen Eurokurs bekannt gegeben und es sieht nicht rosig aus. Eine Zinserhöhung in der Eurozone könnte Abhilfe schaffen, sagt Chefvolkswirt Philip Lane.

Eine Euro-Münze liegt auf einem Dollar-Geldschein. (Symbolbild)

Eine Euro-Münze liegt auf einem Dollar-Geldschein. (Symbolbild)© Foto: Foto: Jens Büttner/dpa

Der Kurs des Euro ist am Dienstag erneut gesunken und auf den tiefsten Stand des laufenden Jahres gefallen. Am Nachmittag rutschte die Gemeinschaftswährung zeitweise bis auf 1,0450 US-Dollar. Noch tiefer wurde der Euro zuletzt im vergangenen Dezember gehandelt. Im weiteren Handelsverlauf notierte die Gemeinschaftswährung ihn wieder etwas höher bei 1,0480 Dollar. Die Europäische Zentralbank (EZB) setzte den Referenzkurs auf 1,0469 (Vortag: 1,0530) Dollar fest. Der Dollar kostete damit 0,9552 (0,9496) Euro.

Robuste US-Konjunkturdaten verstärkten den Verkaufsdruck auf den Euro. Am Nachmittag war bekannt geworden, dass es im August überraschend viele offene Stellen in den Vereinigten Staaten gab. Am Markt wurde auf die Möglichkeit einer weiteren Zinserhöhung durch die US-Notenbank im Kampf gegen die hohe Inflation verwiesen. Zuletzt hatte sich das Fed-Mitglied Loretta Mester für eine weitere Erhöhung ausgesprochen.

Allerdings stellte auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane am Dienstag eine mögliche weitere Zinserhöhung in der Eurozone in Aussicht, was den Kurs des Euro stützte. Es sei noch Arbeit zu erledigen, um die Inflation nach unten zu drücken, sagte er. Nach wie vor sei das angestrebte Inflationsziel nicht erreicht, und die Jahresrate liege weiter deutlich über der angestrebten Marke von mittelfristig zwei Prozent in der Eurozone.

Weiter auf Talfahrt zeigte sich die türkische Lira. Nachdem bekannt wurde, dass die Inflation in dem Land im September über 60 Prozent gestiegen war, fiel der Kurs der Landeswährung im Handel mit dem US-Dollar auf ein Rekordtief. Zeitweise kostete ein Dollar 27,60 Lira und damit so viel wie noch nie. Für einen Euro wurden am Nachmittag 28,80 Lira gezahlt.

Zu anderen wichtigen Währungen legte die EZB die Referenzkurse für einen Euro auf 0,86775 (0,86628) britische Pfund, 157,01 (157,67) japanische Yen und 0,9660 (0,9634) Schweizer Franken fest. Die Feinunze Gold wurde am Nachmittag in London mit 1825 Dollar gehandelt. Das waren rund zwei Dollar weniger als Vortag.

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Geldpolitik: Lagardes Botschaft an die Märkte – Darum verspricht die EZB-Sitzung besonders viel Spannung

Im Euro-Raum scheint die erste Zinspause seit Sommer 2022 wahrscheinlich. Doch jenseits der Geldpolitik der EZB drängen sich weitere, wichtige Fragen auf.

Sechs Wochen sind vergangen seit der jüngsten Ratssitzung der Europäischen Zentralbank. Die Situation an den internationalen Kapitalmärkten hat sich in dieser kurzen Zeit verändert: Neben der anhaltend hohen Inflation und den Folgen der Zinswende sorgt der Nahostkrieg für neue Fragen über die künftige Weltordnung, während dynamisch steigende Bondrenditen Sorgen um die Finanzstabilität auslösen.

In diesem instabilen Umfeld muss die EZB am Donnerstag entscheiden, ob die Zeit für eine geldpolitische Wende gekommen ist. Nach zehn aufeinanderfolgenden Zinserhöhungen sprechen gleich mehrere Faktoren dafür, dass die Euro-Notenbank zumindest eine Pause einlegt.

Die Sitzung der Euro-Wächter, die diesmal in Athen stattfindet, verspricht Brisanz. Angesichts der Situation an den Märkten rückt neben der Zinsdebatte eine Reihe weiterer Fragen in den Blick.

EZB: Wie sehen die Zinsaussichten aus?

Bereits bei der Septembersitzung hatten sich einige Ratsmitglieder für eine Zinspause ausgesprochen. Nach kontroversen Diskussionen entschieden sich die Währungshüter für eine weitere Anhebung. Der Leitzins liegt bei nunmehr 4,5 Prozent, der Einlagenzins für überschüssiges Kapital der Banken bei 4,0 Prozent.

Angesichts der Preisentwicklung scheint eine Pause angemessen. Der Inflationsdruck im Euro-Raum lässt weiter nach, im September sind die Verbraucherpreise um 4,3 Prozent gestiegen und damit so langsam wie seit zwei Jahren nicht mehr.

Auch die viel beachtete Kerninflation ist stärker gefallen als erwartet, auf zuletzt 4,5 Prozent. In dieser Rate sind schwankungsanfällige Güter wie Energie und Lebensmittel nicht berücksichtigt. Deshalb gilt diese Kennzahl als wichtiger Indikator für den mittelfristigen Preistrend. Auch die Erzeugerpreise – ein wichtiger Frühindikator – sind rückläufig.

Unter Ökonomen herrscht breiter Konsens, dass die EZB eine Zinspause einlegen wird. „Eine erneute Zinserhöhung wäre eine große Überraschung und angesichts der wirtschaftlichen Schwäche meiner Meinung nach auch eine Fehlentscheidung“, sagt Karsten Junius, Chefökonom der Bank J. Safra Sarasin.

Denn hohe Zinsen wirken erst verzögert auf die Realwirtschaft. Der Bremseffekt der vielen Anhebungen zeigt sich also noch nicht vollständig. Junius erwartet, dass dieser Prozess bis ins nächste Jahr andauert. „Dann könnte es für einige Unternehmen ungemütlich werden.“

Spannend sind die weiteren Zinsaussichten. Signalisiert die EZB, wie lange die Zinsen auf dem aktuellen Niveau verharren? Gibt sie eine Indikation, ob nach der Pause weitere Erhöhungen denkbar sind – und unter welchen Voraussetzungen?

Im September hat Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde mehrfach betont, dass die EZB die Zinsen so lange im restriktiven Bereich halten wird, bis sich die Teuerungsrate dem Stabilitätsziel von zwei Prozent annähern wird. Vermutlich werde die Notenbank erneut betonen, für einen längeren Zeitraum auf dem Zinsplateau bleiben zu wollen, sagt Berenberg-Analyst Salomon Fiedler.

Gedankenspiele um mögliche, schnelle Zinssenkungen wegen einer drohenden Rezession im Euro-Raum dürfte Lagarde zurückweisen. Einen solchen Schritt erwarten die Experten der Deutschen Bank erst im September 2024.

Mit Spannung warten die Investoren auf Aussagen zu den potenziellen ökonomischen Folgen des Nahostkriegs. So ist der Preis für ein Barrel Rohöl der Nordseesorte Brent seit Kriegsbeginn in der Spitze um zehn Prozent gestiegen.

Die Entwicklung der Gesamtinflation hängt stark vom Ölpreis ab – und dieser wiederum davon, welche Rolle der Iran und Saudi-Arabien im weiteren Kriegsverlauf spielen. Beide Länder zählen zu den größten Ölexporteuren der Welt. Ein erneuter Ölpreisschock hätte deutliche Folgen für die Konjunktur im Euro-Raum. Auch das macht eine Zinspause wahrscheinlicher.

Was sagt die EZB zu den turbulenten Anleihemärkten?

Die mehrwöchige Ausverkaufsstimmung am Bondmarkt, ausgehend von den USA, treibt auch die Euro-Währungshüter um. Die Anleihekurse fallen rapide, im Umkehrschluss steigen die Renditen. Das geht einher mit verschärften Finanzierungsbedingungen für die gesamte Wirtschaft. Ein solcher Effekt kommt der aktuellen Geldpolitik entgegen, die ebenso auf eine strengere Kreditvergabe zielt, um den Preisdruck zu dämpfen.

Doch die Situation ist nicht ungefährlich. Manche Experten warnen bereits, dass das Tempo des Renditeanstiegs die Stabilität des Finanzsystems gefährden könnte. Sie verweisen auf die hohe Schuldenlast vieler Volkswirtschaften. Eine Refinanzierung zu höheren Kosten wäre mit neuen Problemen verbunden. Das sei ein „potenzielles Abwärtsrisiko für Wachstumsprognosen in den kommenden Quartalen“, sagt Shaan Raithatha, Senior Economist bei Vanguard Europe.

Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen – die Benchmark im Euro-Raum – kam der Marke von drei Prozent in den vergangenen Tagen nahe. Italienische Bonds wurden zuletzt für kurze Zeit über fünf Prozent verzinst.Der Renditeabstand zu zehnjährigen Bundesbonds lag im Oktober erstmals seit einem halben Jahr wieder über zwei Prozentpunkten. Dieser Spread gilt als wichtiger Maßstab für das Risiko einer Schuldenkrise.

Die Schuldenlast Italiens beträgt über 140 Prozent der Wirtschaftsleistung, das Haushaltsdefizit im laufenden sowie im folgenden Jahr liegt deutlich über den Erwartungen. Auch dies ist ein Effekt der höheren Refinanzierungskosten.

An den Finanzmärkten wurde bereits spekuliert, dass das neue Hilfsinstrument der EZB bald erstmals zum Einsatz kommen könnte. Das „Transmission Protection Instrument“, TPI genannt, gilt als Notfall-Werkzeug und soll verhindern, dass die Finanzierungskosten der einzelnen Euro-Staaten nicht zu stark auseinanderdriften. TPI ermöglicht der EZB zu diesem Zweck gezielte und unbegrenzte Käufe von Staatsanleihen einzelner Länder. Bislang wurde es noch nicht eingesetzt.

Das Problem: TPI soll nur bei spekulativen Bewegungen eingesetzt werden. Liegen einem Renditeanstieg fundamentale Ursachen zugrunde, etwa eine hohe Verschuldung oder ein hohes Defizit, greift die EZB nicht ein. In der Praxis ist es jedoch schwierig, zwischen beiden Fällen zu unterscheiden, wie die Situation in Italien zeigt.

Beschleunigt die EZB ihren Bilanzabbau?

Zur Straffung der EZB-Geldpolitik gehört neben höheren Zinsen auch der Abbau der Bilanz. Zuletzt stand im Raum, das Tempo zu erhöhen. Möglicherweise diskutiert die EZB über ein vorzeitiges Ende der Anleihekäufe aus dem Pandemieprogramm PEPP. Auslaufende Anleihen aus diesem Programm werden noch immer vollständig ersetzt. Nach aktuellem Stand soll dies bis Ende 2024 so bleiben.

Manche EZB-Vertreter haben zuletzt den Wunsch geäußert, das geplante Ende vorzuziehen. Eine Anpassung des Programms dürfte zur Diskussion stehen, erwartet Konstantin Veit vom Vermögensverwalter Pimco. Er rechnet angesichts der gegenwärtigen Unsicherheit aber nicht mit „einer gravierenden Entscheidung“. Auch Dirk Schumacher vom Vermögensverwalter Natixis glaubt, dass eine PEPP-Anpassung „vorerst auf Eis gelegt wurde“.

Konfliktpotenzial birgt die Debatte um eine höhere Mindestreserve für Banken. Seit September erhalten Banken der Euro-Zone auf die Pflichteinlage, die sie bei den Notenbanken hinterlegen müssen, keine Zinsen mehr. Auf Jahressicht fehlen der Branche dadurch rund sechs Milliarden Euro.

Anhänger einer strikten Geldpolitik sind dafür, die Höhe der Mindestreserve nach oben zu setzen. Bislang liegt diese bei einem Prozent. Im Juli hatte die EZB über eine Verdopplung diskutiert, diese aber nicht beschlossen. Österreichs Notenbankchef Robert Holzmann hatte Ende September eine Größenordnung von gar fünf bis zehn Prozent ins Spiel gebracht – und damit Banker in ganz Europa gegen sich aufgebracht.

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Umfrage - Mehrheitlich keine EZB-Zinssenkung vor Juli 2024 erwartet

ARCHIV: Das Logo der Europäischen Zentralbank (EZB) vor ihrem Hauptsitz in Frankfurt, Deutschland, 16. März 2023. REUTERS/Heiko Becker

ARCHIV: Das Logo der Europäischen Zentralbank (EZB) vor ihrem Hauptsitz in Frankfurt, Deutschland, 16. März 2023. REUTERS/Heiko Becker© Thomson Reuters

Bangalore (Reuters) - Volkswirte rechnen nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters mehrheitlich nicht vor dem kommenden Juli mit einer ersten Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB).

Rund 55 Prozent der befragten Ökonomen - 40 von 72 Teilnehmern - gingen davon aus, dass die Schlüsselzinsen bis Mitte nächsten Jahres auf dem aktuellen Niveau bleiben würden, wie aus der am Dienstag veröffentlichten Erhebung hervorgeht. Die verbleibenden 45 Prozent erwarteten dagegen bereits vor der Juli-Zinssitzung der EZB einen ersten Schritt nach unten. In der Oktober-Umfrage hatten noch 58 Prozent der Experten damit gerechnet, dass die Währungshüter nicht vor dem Juli an den Zinsen rütteln.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte am Freitag auf einer Veranstaltung gesagt, dass die Euro-Notenbank inzwischen ein ausreichend hohes Zinsniveau erreicht habe, das, wenn es lange genug beibehalten werde, die Notenbank zu ihrem mittelfristigen Inflationsziel von 2,0 Prozent zurückbringen werde. Es sei "in den nächsten paar Quartalen" voraussichtlich keine Änderung zu erwarten, hatte sie gesagt. Im Oktober lag die Teuerungsrate in der 20-Ländergemeinschaft bei 2,9 Prozent. Noch im Herbst 2022 hatte sie zeitweise bei mehr als zehn Prozent gelegen.

Reuters befragte Volkswirte zwischen dem 8. und 13. November zu ihren Zinserwartungen. Aus den Kursen am Finanzmarkt geht aktuell hervor, dass dort bereits im April 2024 mit einer ersten Zinssenkung gerechnet wird. Der am Kapitalmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt nach zehn Zinserhöhungen mittlerweile bei 4,0 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.

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EZB enttäuscht Zinswende-Hoffnungen – das sind die Folgen des europäischen Sonderwegs

Die Europäische Zentralbank lässt den Leitzins unverändert bei 4,5 Prozent. Präsidentin Christine Lagarde warnt vor verfrühter Entspannung im Kampf gegen die Inflation. Sie schlägt damit einen anderen Kurs als die US-Notenbank Fed ein. Vor allem eines bereitet ihr Sorgen.

Der Sitz der EZB in Frankfurt Getty Images/Andreas Schott (Bonnix)

Der Sitz der EZB in Frankfurt Getty Images/Andreas Schott (Bonnix)© Bereitgestellt von WELT

An den Finanzmärkten herrscht das ungeschriebene Gesetz, dass die Federal Reserve (Fed) als mächtigste Notenbank der Welt normalerweise den Ton angibt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat am Donnerstag allerdings eindrucksvoll bewiesen, dass diese Regel für sie nicht gilt.

Am Mittwochabend hatte US-Zentralbankchef Jerome Powell überraschend den Sieg über die Inflation verkündet und gleich mehrere Zinssenkungen in Aussicht gestellt. An den Finanzmärkten war daher die Erwartung groß, dass die EZB sich der US-Zinswende anschließen würde.

Im Vorfeld der EZB-Zinspressekonferenz fiel die Rendite der zehnjährigen deutschen Staatsanleihen daher zeitweise bis auf 2,03 Prozent. Gleichzeitig stieg das deutsche Aktienbarometer zwischenzeitlich mit 17.003 Punkten auf ein historisches Rekordhoch.

Doch EZB-Chefin Christine Lagarde, die schwer erkältet vor die Kameras trat, erwies sich als Spielverderberin. „Wir haben überhaupt nicht über Zinssenkungen gesprochen“, sagte sie nach der Sitzung, bei der verkündet wurde, dass der Leitzins unverändert bei 4,5 Prozent bleibt. Lagarde warnte mehrfach davor, im Kampf gegen die Inflation zu früh nachzulassen: „Wir sollten unsere Wachsamkeit absolut nicht verringern“, sagte die EZB-Chefin.

Damit befindet sich die EZB in deutlicher Opposition zur Fed, die zuvor mit Blick auf Inflation und Zinsen überraschend softe Töne angeschlagen hatte. Die zunehmende Diskrepanz in der Geldpolitik der beiden großen Notenbanken ist vor allem für Sparer und Immobilienkäufer relevant. Denn die EZB ist zwar nicht in letzter Instanz verantwortlich für die Marktzinsen, sie gibt aber mit ihrer Politik die Richtung für die weitere Entwicklung vor.

Anders als bei der Fed ist aus Sicht der EZB der Kampf gegen die zu hohe Teuerung bisher noch nicht ausgestanden. Vor allem der Zusammenhang zwischen Lohnentwicklung und den Gewinnerwartungen der Firmen scheint Lagarde weiterhin Sorgen zu bereiten. So zählte sie auf Nachfrage unter anderem die Rentabilität der Unternehmen und die laufenden Lohnverhandlungen zu den anhaltenden Aufwärtsrisiken für die Verbraucherpreise. Die bisher verfügbaren Daten würden keine Entlastung zeigen.

Auch „extreme Wetterereignisse“ sowie mögliche geopolitische Risiken könnten die Preise weiterhin nach oben treiben. Die Folgen der Einigung im Haushaltsstreit der Ampel-Koalition wollte die EZB-Chefin hingegen noch nicht kommentieren. Es sei noch „verfrüht“ die Auswirkungen der höheren CO₂-Steuern auf die Inflation zu bewerten, sagte sie.

Wechselkurs des Euro zieht deutlich an

An den Finanzmärkten überwog nach dem Auftritt der EZB-Präsidentin die Enttäuschung darüber, dass die europäischen Währungshüter noch nicht auf den Lockerungspfad der Fed einschwenken wollten. Der Dax gab nach seinem Rekord über 300 Punkte nach. Der Wechselkurs des Euro zog deutlich an und kostete in der Spitze fast 1,10 Dollar. Das spiegelt die Markterwartungen der Investoren, die nun damit rechnen, dass die Fed deutlich vor der EZB die Leitzinsen senken wird.

„Möglicherweise wurden Christine Lagarde und andere EZB-Räte von den taubenhaften Tönen der US-Notenbank Fed überrascht. Umso mehr musste Lagarde darauf hinweisen, dass aus Sicht der EZB noch keine konkreten Zinssenkungen absehbar sind“, kommentierte Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel. Es bleibe vorerst dabei, dass datenabhängig von Sitzung zu Sitzung die geldpolitische Ausrichtung festgelegt werde, bis die Erreichung des mittelfristigen Inflationsziels von zwei Prozent gesichert erscheine.

Ähnlich kommentierte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, die geldpolitischen Aussichten: „Der völlig überraschende Schwenk der US-Notenbank Richtung baldiger Zinssenkungen setzt die EZB auf einmal unter enormen Druck, ihre Geldpolitik früher zu lockern als ihr lieb sein kann.“