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Flüchtlinge

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Migrationskrise: „Sind nicht das Flüchtlingslager für die restliche Welt“: Lage in Afghanistan verstärkt Konflikt zwischen Türkei und EU

 

Der EU-Botschafter in der Türkei warnt vor einer humanitären Krise in den nächsten Monaten. Die Regierung in Ankara stellt Forderungen und erhöht damit den Druck auf Brüssel.

Der Spitzenvertreter der Europäischen Union in der Türkei warnt vor einer humanitären Notlage in Afghanistan. „Wir erwarten eine schwierige Situation für den Herbst“, sagte der deutsche Diplomat Nikolaus Meyer-Landrut dem Handelsblatt. Er mahnt schnelle Hilfe für die Menschen vor Ort an, um eine neue Flüchtlingswelle wie im Jahr 2015 aus Syrien zu vermeiden.

Die Aussagen des EU-Botschafters nähren die Vermutung, dass im Herbst eine Flüchtlingswelle droht, die bis nach Europa reichen könnte. Damit droht politisches Chaos und ein Rechtsruck wie im Jahr 2015, als Hunderttausende Syrerinnen und Syrer nach Europa flohen.

Politiker und Diplomaten, der Eindruck drängt sich auf, vermeiden mit ihren Worten zwar Panikmache. Immer wieder fallen Worte wie „Solidarität“ und „Lastenteilung“, häufig wird die gute Zusammenarbeit zwischen Brüssel und Ankara betont. Doch wenn es ums Detail geht, dann dominieren Unterschiede, Forderungen und Enttäuschung über die andere Seite.

Anders ausgedrückt: Wenn tatsächlich, wie von den Vereinten Nationen prognostiziert, bald eine halbe Million Menschen Afghanistan verlassen könnte, dann bekommt erst die Türkei ein Problem – und dann Europa.

„Die Ankunftszahlen in der Türkei steigen jeden Tag“, sagte bereits der türkische EU-Minister Faruk Kaymakci am Mittwochabend im Rahmen einer Diskussionsrunde der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema Migration in der türkischen Hauptstadt Ankara vor Diplomaten. Er kündigte an, keine neuen Migranten aufnehmen zu wollen. „Wir sind nicht das Flüchtlingslager für die restliche Welt.“

Türkei hat bereits 300.000 afghanische Flüchtlinge aufgenommen

Der Vormarsch der Taliban hat Tausende Afghanen bereits dazu gebracht, in Nachbarländern Zuflucht zu suchen. Viele von ihnen nehmen einen langen Weg durch den Iran in die Türkei und darüber hinaus auf sich.

Die Türkei hat 3,7 Millionen syrische Flüchtlinge und rund 300.000 afghanische Flüchtlinge aufgenommen und ist damit das größte Aufnahmeland für Flüchtlinge der Welt. Allein seit 2015 sind offiziellen Angaben zufolge 650.000 syrische Flüchtlingskinder in der Türkei zur Welt gekommen. 1,2 Millionen Jugendliche aus dem Land gehen in der Türkei zur Schule oder besuchen eine Universität – ohne dafür zu bezahlen.

Angesichts dieser offenen Haltung gerät die Regierung von Staatschef Erdogan politisch immer mehr unter Druck. Die schwierige wirtschaftliche Lage im Land machte viele Türkinnen und Türken neidisch auf die Flüchtlinge, die umsonst Ärzte und Schulen besuchen dürfen. „Jeder Türke hat im Schnitt bereits 5000 US-Dollar an Steuern nur für die Flüchtlinge bezahlt“, beschwerte sich Migrationsexperte Hüseyin Bagci von der Odtü-Universität in Ankara.

Die Opposition hat das Thema aufgegriffen und macht mit teils fremdenfeindlichen Kommentaren Stimmung gegen die Migranten. „Wenn wir die Regierung übernehmen, werden wir die Flüchtlinge binnen zwei Jahren mit Trompeten und unter Beifall in ihre Heimat zurückschicken“, kündigte etwa Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu von der republikanischen CHP an. „Wir werden das Problem lösen“, verspricht er.

Erdogan warnt vor einer Flüchtlingskrise wie 2015

Die türkische Regierung dringt bereits auf eine Rückführung syrischer Flüchtlinge in ihr Heimatland. Die Türkei arbeite dabei mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zusammen, sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Sonntag. „Wir erhalten jetzt mehr Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, was die sicherere Rückkehr und Repatriierung von Flüchtlingen angeht.“

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, dessen Umfragewerte stetig sinken, unterstrich, die Türkei sei nicht in der Lage, noch zusätzliche Flüchtlinge zu versorgen. Um den Druck auf Brüssel zu erhöhen, erinnerte auch er an die Ereignisse vor sechs Jahren, als Hunderttausende Syrerinnen und Syrer größtenteils unregistriert nach Europa reisten.

„Niemand möchte eine ähnliche Erfahrung wie die syrische Flüchtlingswelle von 2015 machen“, sagte Erdogan. Damals hatte die Türkei Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, von denen viele in Booten auf griechische Inseln übersetzten, um von dort aus in reichere EU-Staaten wie Deutschland zu gelangen.

Im Jahr darauf unterzeichneten die EU und die Türkei ein Migrationsabkommen, welches den Zuzug von Migranten nach Europa begrenzen soll. Im Gegenzug sagte die EU im Rahmen des „Flüchtlingspakts“ der Türkei Finanzhilfen und Reiseerleichterungen für türkische Bürger zu. Das Abkommen betrifft nur syrische Flüchtlinge in der Türkei. Migranten aus anderen Ländern sind von dem Programm ausgenommen.

Die EU wolle den sogenannten Flüchtlingspakt mit der Türkei verlängern und dafür noch einmal drei Milliarden Euro bereitstellen, erklärte EU-Botschafter Meyer-Landrut. Es sei eine „sich verstärkende Realität“, dass mehr und mehr Afghaninnen und Afghanen in der Türkei leben, erklärte Meyer-Landrut.

Derzeit arbeiteten die Technokraten in Brüssel dafür einen Plan aus, der im Oktober vorgelegt werden soll. „Und dann wird natürlich auch mit der Türkei darüber zu sprechen sein, wo und wie diese Mittel am besten eingesetzt werden.“

Flüchtlingspakt: Die Türkei stellt Forderungen an die EU

Dem türkischen EU-Minister Kaymakci dürfte das jedoch nicht reichen. Er betont, was die Türkei bereits alles geleistet hat, während die EU sich nicht an ihre Absprachen gehalten habe.

So erklärt Kaymakci etwa, dass das versprochene Geld für die Flüchtlinge zwar in Projekte investiert sei, aber die gesamte Summe sei noch nicht ausbezahlt. „Dank unserer Hilfe sind die Ankunftszahlen in der EU über die Türkei um 95 Prozent zurückgegangen“, betont Kaymakci. Offizielle Statistiken bestätigen dies.

Auch die Visaerleichterungen für Türkinnen und Türken gibt es noch nicht. „Niemand redet mehr darüber, dass der Flüchtlingspakt ein Paket mit vielen weiteren Bestandteilen ist.“ Kaymakci will das ändern und kündigte einen Forderungskatalog an, bevor die Türkei und die EU im Oktober über eine neue Kooperation in der Flüchtlingsfrage beraten.

Dazu zählt eine Neuauflage der Zollunion zwischen der EU und der Türkei sowie eine stärkere Kooperation in sogenannten „Source Countries“, also den Herkunftsländern der Migrantinnen und Migranten. „Wir müssen gemeinsam die Fluchtursachen in den Herkunftsländern wie Afghanistan, Syrien, Irak und auch in Transitstaaten bekämpfen“, fordert Kaymakci.

Darüber hinaus fordert er vor allem Griechenland auf, Fliehende in der Ägäis nicht zurückzudrängen. Die Türkei habe ihr Limit erreicht und könne keine neuen Menschen aufnehmen – ein indirekter Hinweis dafür, dass das Land Weiterreisende nicht mehr unbedingt aufhalten würde.

„Bei den Pushbacks auf dem Meer sterben die Menschen sofort“, gibt Kaymakci zu bedenken. Es stellt sich allerdings die Frage, wer alles dafür verantwortlich ist: die Türkei, die die Menschen über das Meer fliehen lässt, oder Griechenland, das die Menschen an ihrer Seegrenze teils energisch abweist.

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Flüchtlingskrise: Seehofer ruft EU-Staaten zu Hilfe

Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert EU-Unterstützung bei der Bewältigung des Flüchtlingsstroms. Deutschland und Polen könnten das Problem nicht allein lösen. Derweil spitzt sich die Lage zu.

Der Streit zwischen Belarus und seinen Nachbarländern über Grenzübertritte von Migranten verschärft sich zusehends. Polen warf der belarussischen Führung am Montag vor, eine "große Provokation" vorzubereiten. Die Regierung in Warschau stellt sich nach Worten von Außenstaatssekretär Piotr Wawrzyk darauf ein, dass die Führung in Minsk massenweise Menschen nach Polen lassen will.

"Belarus will einen bedeutenden Zwischenfall, Medienberichten zufolge möglichst mit Schüssen und Opfern", sagte Wawrzyk im staatlichen Radio.

Angesichts der Spannungen fordert Bundesinnenminister Horst Seehofer von den EU-Staaten Unterstützung. "Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen", sagte der CSU-Politker der "Bild"-Zeitung vom Dienstag. Alle EU-Staaten müssten nun zusammenstehen, da der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko versuche, die Schicksale der Flüchtlinge zu benutzen, "um den Westen zu destabilisieren".

Deutsche Polizisten angeboten

Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), bot der Regierung in Warschau die Unterstützung deutscher Polizisten zur Sicherung der Grenze an. "Wir bieten Polen jede Hilfe an, um den Angriff auf die Grenze zu Belarus abzuwehren", sagte Mayer der "Bild"-Zeitung. "Deutschland könnte auch sehr zeitnah Polizeikräfte zur Unterstützung nach Polen schicken, wenn Polen dies möchte."

Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hat ein entschiedenes Auftreten der Europäischen Union gefordert. "Die europäische Botschaft muss sein: Es reicht!", sagte der Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament der Zeitung "Bild" (Dienstag). Er sprach sich für "verschärfte Sanktionen" gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko und sein Umfeld aus.

Die Unionsfraktion im Bundestag hält die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung gegen unerlaubte Einreisen über Belarus für richtig, aber nicht ausreichend. In einem Antrag von CDU/CSU heißt es, die Bundesregierung solle sich auf europäischer Ebene für Landeverbote und andere Sanktionen gegen solche Fluggesellschaften einsetzen, "die Migranten aufgrund der von Belarus missbräuchlich eingeräumten Visafreiheit befördern".

Litauen sichert Polen Hilfe zu

Nach Angaben der Behörden in Belarus machten sich am Montag Hunderte Migranten auf den Weg zur Grenze nach Polen. Auf Fotos war zu sehen, wie die Menschen in größeren Gruppen ihr Hab und Gut trugen. Ein Video, das die polnische Regierung verbreitete, zeigt wiederum, wie Migranten versuchten, den Stacheldrahtzaun an der Grenze mit Spaten und einem Baumstamm umzureißen. Ein polnischer Uniformierter ging mit Tränengas gegen die Männer vor.

Auch Litauen sagte Polen seinen Beistand zu. "Wir sind bereit, unserem Nachbarn jede erforderliche Unterstützung zu leisten, um diese Herausforderung der illegalen Migration zu meistern", twitterte Staatpräsident Gitanas Nausėda am Montag nach einem Telefonat mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda. Das ebenfalls an Belarus grenzende Litauen stehe in "voller Solidarität" zu Polen.

Litauen verstärkt unterdessen seine Maßnahmen an der Grenze. Die Armee des baltischen EU- und Nato-Landes hat zudem die diensthabenden Militäreinheiten an der Grenze in höhere Alarmbereitsschaft versetzt.

Nato: Belarus setzt Geflüchtete als hybride Taktik ein 

Die EU-Kommission forderte am Montagabend, dass neue Sanktionen gegen Belarus beschlossen werden sollen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte: "Die Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke durch Belarus ist inakzeptabel." Sie rufe die Mitgliedsstaaten zur Billigung erweiterter Sanktionen gegen die belarussischen Behörden auf.

Die Nato verurteilte das Handeln der belarussischen Führung. Mit dieser "Welle" von Flüchtlingen setze der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko die Nato-Mitgliedstaaten Litauen, Lettland und Polen gezielt unter Druck. Es sei "unakzeptabel, wie das Lukaschenko-Regime Flüchtlinge als hybride Taktik einsetzt", sagte ein Nato-Vertreter.

Er warnte Belarus davor, Geflüchtete gegen das Militärbündnis zu instrumentalisieren. Das Militärbündnis stehe bereit, die Verbündeten zu unterstützen und für Sicherheit zu sorgen.

Organisationen bringen Hilfsgüter 

Aktivisten aus Deutschland schickten einen Bus mit Hilfsgütern in das Grenzgebiet. Der Bus der Initiativen Seebrücke Deutschland und LeaveNoOneBehind startete am Montag von Berlin aus. Er werde Hilfsgüter wie etwa warme Winterschuhe, Socken, Rettungsdecken und Stirnlampen nach Polen bringen, teilten die Organisatoren mit.

Ursprünglich hatten die Aktivisten geplant, auf dem Rückweg Migranten und Flüchtlinge aus Polen nach Deutschland zu bringen. Dies sei aber nur mit einer Aufnahmezusage des Bundesinnenministeriums möglich, teilte die Seebrücke mit. Eine entsprechende Anfrage sei am Donnerstag an das Ministerium gerichtet, aber bisher nicht beantwortet worden. "Wir erwarten eine Aufnahmezusage", die Lage im Grenzgebiet sei "eine einzige Katastrophe".

Pro Asyl verlangt Aufnahme

Auch die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl verlangte die Aufnahme und Versorgung der von Belarus aus ankommenden Flüchtlinge in Polen. "Den Zugang zu Asyl zu wahren, Flüchtlinge aufzunehmen und ihre Versorgung sicherzustellen, darauf haben wir uns in internationalen Verträgen geeinigt, das ist unsere Antwort auf Diktatoren", erklärte Pro-Asyl-Europareferent Karl Kopp am Montag.

Nur wenn internationales Recht und EU-Recht eingehalten würden, "können die Spirale der Eskalation gestoppt und Menschenleben geschützt werden", mahnte Kopp.

Polen schließt Grenzübergang

Wegen der angespannten Situation entschied sich die polnische Regierung dazu, einen Grenzübergang zu schließen. Ab Dienstag 7.00 Uhr werde der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt, teilte der Grenzschutz am Montag über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen.

Die Regierung in Warschau und die EU werfen dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Menschen aus Krisenregionen einfliegen zu lassen, um sie dann in die EU zu schleusen. Er hatte als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land erklärt, Menschen auf ihrem Weg zu einem besseren Leben im "gemütlichen Westen" nicht mehr aufzuhalten. In der Grenzregion gab es bereits mehrere Todesfälle unter Migranten.

Die EU-Staaten Polen und Litauen haben in den vergangenen Monaten Tausende Grenzübertritte gemeldet. Deutschland gilt als ein Hauptziel der Migranten.

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Laut Medienberichten : Migranten durchbrechen Grenzzaun von Belarus nach Polen

 

Zwei größere Gruppen von Migranten haben auf ihrem erhofften Weg in die EU polnischen Medien zufolge die Grenze von Belarus nach Polen durchbrochen. Mehreren Dutzend Migranten sei es gelungen, Zäune in der Nähe der Dörfer Krynki und Białowieża zu zerstören und die Grenze zu passieren, berichtete die polnische Nachrichtenagentur PAP am späten Dienstagabend unter Berufung auf den örtlichen Sender Białystok.

Der Sender zitierte eine Sprecherin des Grenzschutzes, dass in beiden Fällen Zäune und Barrieren gewaltsam niedergerissen worden seien. Einige der Migranten seien nach Belarus zurückgebracht worden, andere seien auf freien Fuß. Der belarussische Grenzschutz veröffentlichte Bilder mehrerer Menschen, die am Kopf und an den Händen bluteten. Zu sehen waren tiefe Schnittwunden in Handflächen, nachdem Menschen versucht hätten, die Stacheldrahtzäune zu überwinden. Es handele sich um Kurden. Sie hätten medizinische Hilfe bekommen, hieß es.

Kritik an polnischem Grenzschutz

Überprüfbar waren die von der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik am Morgen veröffentlichten Nachtaufnahmen nicht. Gezeigt wurden auch Dutzende Menschen, die in Zelten und an Lagerfeuern ausharrten. Es war zudem ein weinendes Kind zu hören. Die belarussische Staatspropaganda wirft den polnischen Sicherheitskräften ein brutales Vorgehen gegen die Schutzsuchenden vor.

Auf der belarussischen Seite befänden sich Hunderte Menschen. Nach Angaben der polnischen Behörden hätten die Flüchtlinge von belarussischen Organisationen Lebensmittel erhalten, hieß es weiter. Das EU-Mitglied Polen hat Tausende Soldaten an der Grenze stationiert, die einen Durchbruch an den Anlagen mit Stacheldraht verhindern sollen. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hatte am Dienstag gefordert, die Menschen durchzulassen. Sie wollten sich nicht in Polen niederlassen, sondern vor allem in Deutschland, sagte er in einem Interview.

Der als „letzter Diktator Europas“ verschriene Politiker steht im Ruf, die Menschen aus Krisenstaaten wie Syrien, Afghanistan, Libyen und Irak gezielt einfliegen zu lassen, um sie dann in Richtung EU-Grenze zu schleusen. Lukaschenko hatte die Anschuldigungen zurückgewiesen und internationale Schleusernetzwerke für die Organisation der Reisen der Menschen verantwortlich gemacht. Er räumte erneut ein, die Migranten auf ihrem Weg in die EU nicht mehr aufzuhalten.

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Immer mehr Flüchtlinge drängt es nach Berlin

Allein im Oktober kamen rund 2100 Migranten in Berlin an. Nach der Verteilung eines Teils auf andere Bundesländer sind 1400 geblieben. Im Oktober des vergangenen Jahres waren es nur rund 830.

Einen größeren Zustrom gibt es auch durch Migranten, die über die polnisch-belarussische Grenze nach Deutschland kommen. Jeden Tag greift die Bundespolizei in Brandenburg 50 bis 200 auf. Die meisten kommen aus dem Irak und Syrien. Vom 1. bis 10. November waren es nach Angaben einer Sprecherin der Bundespolizeidirektion Berlin 717 Personen. Am Freitag und Sonnabend lag die Zahl nach Angaben von Beamten „im niedrigen dreistelligen Bereich“. Ein Teil der Migranten wird, wie in den vergangenen Wochen, auf Berlin verteilt.

Nach Angaben von LAF-Sprecher Sascha Langenbach gibt es derzeit noch rund 900 Plätze. „Die Kapazität wird also knapp“, sagt Langenbach. Er rechnet nicht damit, dass sich die Situation entspannt. Die Behörden gehen davon aus, dass die Zahlen weiter steigen werden. Grund dafür ist die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze, die Aufnahme von rund 800 Menschen, darunter afghanische Ortskräfte und gesundheitlich schwer Betroffene aus anderen Ländern, bis Jahresende.

Hinzu kommt die jedes Jahr übliche Wanderungsbewegung aus Ländern wie Moldawien, Bosnien-Herzegowina und Serbien. Wegen der hohen Heizkosten dort wollen Menschen für ein paar Monate in Deutschland überwintern. „Das sind Familien, die sich auf den Weg machen, weil das Thema Heizkosten für sie existenziell ist. Sie haben kein Geld für Gas und Holz“, so Langenbach.

Mit den Neuankömmlingen aus diesem Jahr betreut das Landesamt für Flüchtlinge derzeit in 82 Unterkünften insgesamt 20.400 Asylbewerber. Im Jahr 2016 waren es 35.000 Menschen. Anerkannte Asylbewerber, die in einer Unterkunft des LAF wohnen und sich selbst mit Lebensmitteln und Waren des täglichen Bedarfs versorgen, erhalten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz 354 Euro monatlich.

Wegen des Zustroms hat Berlin ehemalige, zwischenzeitlich leere Flüchtlingsunterkünfte mit insgesamt 1400 Plätzen in Containern wiedereröffnet: in Karow an der Siverstorpstraße, am Blumberger Damm und an der Dingolfinger Straße in Marzahn, am Quittenweg in Altglienicke. Auch ein Teil der Plätze im Tempohome auf dem Tempelhofer Feld soll wieder belegt werden.

Am Töpchiner Weg in Neukölln wurde gerade eine neue Unterkunft eröffnet, ebenso in Spandau. An der Quedlinburger Straße in Charlottenburg gab es am 1. November den ersten Spatenstich für eine Unterkunft mit 146 Wohnungen „für Neuberliner*innen mit Fluchterfahrung“, wie die Wohnungsbaugesellschaft Mitte twitterte. Die Unterkunft soll in zwei Jahren fertig sein.

Bei der Wiedereröffnung der Unterkunft mit 400 Plätzen am Blumberger Damm beklagte Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) kürzlich die aus ihrer Sicht mangelnde Bereitschaft der Bezirke, Wohnungen für die Flüchtlinge bereitzustellen. Für die Unterbringung seien eigentlich sie und nicht das Land zuständig. Deshalb verfügte sie, dass jeder Bezirk bis zum Jahresende 100 Menschen aus den Heimen des LAF unterbringen müsse.

In den Sozialämtern kam diese Aufforderung gar nicht gut an. Dies habe zur Folge, dass die Menschen, die zuvor in gut betreuten Heimen wohnten, nun in „Läusepensionen“ gestopft würden, wo dubiose Betreiber pro Tag den Ämtern horrende Mieten in Rechnung stellten, heißt es von Seiten der Ämter.

So ist nach Angaben von Mitarbeitern beispielsweise ein Ehepaar aus Libyen in Blankenfelde in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht: sechs voll belegte Zimmer mit Gemeinschaftsbad und -küche über einem Reifenhandel. Das Paar aus Libyen sei bislang in einer preiswerten und sozialbetreuten LAF-Unterkunft untergebracht gewesen, bis es das Zimmer in Blankenfelde zugewiesen bekam. Für dieses kassiert der Betreiber vom Sozialamt Pankow pro Nacht 42,75 Euro pro Person, also 85,50 pro Nacht für das Paar – ein Preis, der auch für ein einfaches Hotel ausgegeben werden könnte. Ähnlich ist es auch an hunderten anderen Orten in der Stadt, etwa an der Götzallee in Steglitz-Zehlendorf (30 Euro pro Person und Nacht) oder auch in einem ehemaligen Hotel an der Allee der Kosmonauten in Marzahn.

Probleme bei der Umsetzung von Breitenbachs Forderung werden in den Bezirksämtern auch in anderer Hinsicht befürchtet: die wieder aufflammenden Proteste von Anwohnern, etwa gegen die Unterkunft an der Dingolfinger Straße und am Quittenweg. In diesen wurden zuletzt ehemalige afghanische Ortskräfte untergebracht.

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Wasserwerfer, Tränengas und fliegende Steine: Zusammenstöße zwischen Flüchtlingen und polnischer Polizei

Die Situation an der belarussisch-polnischen Grenzen spitzt sich weiter zu. Es gibt Berichte von Schüssen auf der polnischen Seite.

An der EU-Außengrenze zwischen Polen und Belarus hat nach Angaben der polnischen Polizei eine Gruppe von mehreren Hundert Migranten vergeblich versucht, die Grenzbefestigung zu überwinden. Bei den Zusammenstößen zwischen polnischen Sicherheitskräften und Flüchtlingen sei ein Polizist schwer verletzt worden.

Nach Angaben der polnischen Polizei erlitt der Beamte am Dienstag einen Schädelbruch. Die Polizei setzte Tränengas und Wasserwerfer gegen die Flüchtlinge ein, die nach Polen und damit in die EU gelangen wollen; aus der Menge der Flüchtlinge heraus wurden Steine geworfen. Auf der polnischen Seite fielen wohl auch Warnschüsse.

Ein Journalist dokumentiert auf Twitter mit Videos, wie polnisches und belarussisches Militär den Druck auf die Flüchtlinge erhöhen. Flüchtlinge werden von belarussischen Soldaten zum Überqueren des Grenzzauns gedrängt, die wiederum die polnischen Sicherheitskräfte attackieren.

Dagegen war die Lage bei dem Grenzübergang Kuznica, wo nach polnischen Angaben im Laufe des Tages auf der belarussischen Seite 3500 Migranten zusammengekommen waren, am Montagabend vorerst ruhig. Die Flüchtlinge hätten begonnen, dort ein Zeltlager zu errichten, schrieb der Sprecher des Koordinators für Geheimdienste, Stanislaw Zaryn, auf Twitter.

Dazu postete er Bilder, die Menschen in Winterjacken sowie Zelte und Schlafsäcke unter dem Dach der Grenzabfertigungsstation zeigten. Polens Grenzschutz hatten zuvor die Sorge geäußert, die Migranten könnten bei Kuznica versuchen, die Grenze mit Gewalt zu überqueren.

Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen, da Polen in der Grenzregion den Ausnahmezustand verhängt hat. Die Arbeit von Journalisten und Helfern wird dadurch erschwert. Das gilt auch für das Grenzgebiet auf belarussischer Seite.

Merkel telefoniert fast eine Stunde mit Lukaschenko

Unterdessen hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko telefoniert. Das teilte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montagabend in Berlin mit. Es sei bei dem Telefonat um „die schwierige Situation an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union“ gegangen.

Nach einem Bericht des belarussischen Staatsfernsehens dauerte das Gespräch etwa 50 Minuten. Dabei sei etwa besprochen worden, wie eine Eskalation der Lage an der Grenze verhindert werden könne. Es sei zudem um eine humanitäre Unterstützung von den im Grenzgebiet festsitzenden Migranten gegangen. Nach Angaben von Seibert haben Merkel und Lukaschenko weitere Gespräche vereinbart.

Es war das erste Mal seit der umstrittenen Präsidentenwahl im August vergangenen Jahres in Belarus, dass Merkel mit Lukaschenko gesprochen hat. Die EU erkennt ihn wegen des harten Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten nicht mehr als Präsidenten an.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte am Wochenende die Erwartung geäußert, dass Merkel mit Lukaschenko ins Gespräch kommt. Auch unter den Migranten sind die Erwartungen an Deutschland groß. Putin hatte an Merkel appelliert, den Dialog mit Lukaschenko zu suchen.

EU mit weiteren Sanktionen, aber will Flüchtlinge nicht aufnehmen

EU-Außenminister haben am Montag weitere Sanktionen gegen das Regime in Belarus auf den Weg gebracht. Das teilte Außenminister Heiko Maas (SPD) nach dem Treffen in Brüssel mit. Er wandte sich zugleich gegen eine Aufnahme von im belarussisch-polnischen Grenzgebiet feststeckenden Menschen durch Deutschland. Es sei wichtig, dass diese „wieder dorthin zurückkehren, wo sie hergekommen sind“.

Es müsse gezeigt werden dass die EU nicht erpressbar sei. „Und wir müssen den Menschen auch deutlich machen“, so Maas, „dass sie nicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen sich zu einem Instrument der Politik von Lukaschenko machen lassen dürfen“, erklärte er.

Für die Sanktionen werde an einer Liste gearbeitet. Alle, die an den „Schleusungen“ der Menschen durch Belarus beteiligt seien, sollten sanktioniert werden, kündigte Maas an. Er wiederholte auch die Drohung, dass Fluggesellschaften, die Migranten nach Belarus fliegen, mit Überflugs- und Landeverboten in der EU rechnen müssten.

Bereits vor dem Treffen hatte er der polnischen Regierung den Rücken gestärkt. Die Probleme an der Grenze gingen von Belarus und nicht von Polen aus. Daher verdiene Polen „unsere ganze Solidarität“. Belarussische Soldaten versuchten, „den Flüchtlingen und Migranten den Weg freizuschlagen sozusagen“.

Die EU holt bei geplanten Sanktionen die USA mit ins Boot. Die bereiten wegen der Flüchtlingssituation auch neue Sanktionen gegen Belarus vor. Die Sanktionen würden in „enger Abstimmung mit der EU und anderen Partnern und Verbündeten“ erarbeitet, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, am Montag. Er sprach von einem „unmenschlichen“ Vorgehen der Führung in Minsk.

Unterdessen drängen Menschenrechtler auf eine Aufnahme der Menschen in die EU. Viele der Gestrandeten seien Angehörige ethnischer und religiöser Minderheiten wie Kurden und Jesiden aus dem Irak und Syrien oder Hazara aus Afghanistan, sagte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido, in Göttingen. „Sie flüchten vor Verfolgung, Krieg und Gewalt durch Diktaturen oder Warlords.“

Das International Rescue Committee erklärte in Berlin: „Polen, Litauen und Lettland haben die Pflicht, die Sicherheit und Rechte dieser Menschen zu gewährleisten und ihnen Zugang zu Asylverfahren, Rechtsbeistand sowie Nahrungsmitteln und Unterkunft zu gewähren.“

An Polens Grenze zu Belarus harren auf der belarussischen Seite seit mehreren Tagen Tausende Migranten bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in provisorischen Camps im Wald aus. Die staatliche belarussische Nachrichtenagentur Belta veröffentlichte am Montag wieder Fotos von Menschen, die sich in provisorischen Lagern an Lagerfeuern wärmen.

Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko wird beschuldigt, in organisierter Form Flüchtlinge aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze zu bringen. Vermutet wird, dass sich Machthaber Alexander Lukaschenko damit für Sanktionen rächen will, die die EU wegen der Unterdrückung der Zivilgesellschaft und der demokratischen Opposition erlassen hat.

Polen und das Auswärtige Amt der Bundesregierung waren Gerüchten entgegengetreten, wonach Deutschland am Montag einen Transit für die mehr als 4.000 feststeckenden Migranten plane. „Wer immer diese Lügen verbreitet, bringt Menschen in große Gefahr“, teilte das Ministerium am Sonntag auf Twitter mit.

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Flüchtlinge: Deutsche Städte stoßen an Grenzen

Mehr Menschen fliehen aus der Ukraine nach Deutschland, aber auch über die Balkan-Route kommen mehr Asylsuchende. Städte und Kommunen schlagen Alarm. Eine Reportage aus der Region Aachen.

Steigen die Flüchtlingszahlen, dann werden mehr Helfer gebraucht

Steigen die Flüchtlingszahlen, dann werden mehr Helfer gebraucht© Sabine Kinkartz/DW

Ein scharfer Wind weht über den leeren Sportplatz am Ortsausgang von Herzogenrath-Merkstein, einer kleinen Gemeinde im äußersten Westen Deutschlands. Über den noch leidlich grünen Rasen des Fußballfelds wirbeln ein paar braune Blätter, der rötliche Sand der Laufbahn ist nass. Auf den einst weißen Putz der Turnhalle hat jemand mit schwarzer Farbe SVS Merkstein gepinselt, den Namen des örtlichen Sportvereins.

Geturnt wird hier derzeit nicht. In der Halle sind ukrainische Kriegsflüchtlinge untergebracht. Mit Trennwänden wurde Anfang August provisorisch Raum für 80 Menschen geschaffen. Nun ist dieser Raum voll. So wie alle anderen Unterkünfte, die in Herzogenrath für Geflüchtete zur Verfügung stehen.

Turnhalle in Herzogenrath-Merkstein

Turnhalle in Herzogenrath-Merkstein© Sabine Kinkartz/DW

Enttäuschung in der Kirchengemeinde

Einen guten Kilometer von der Halle entfernt sitzt in der evangelischen Lydia-Gemeinde das Team der Flüchtlingsberatung zusammen. Pfarrer Frank Ungerathen hat seinen Mitarbeiterinnen gerade mitgeteilt, dass noch in dieser Woche eine zweite Turnhalle eingerichtet werden soll. Das hat er vom Sozialamt der Stadt erfahren, das für die Aufnahme und Versorgung der Geflüchteten zuständig ist.

Ein tiefes Seufzen entfährt den vier Frauen am Tisch. Sie hatten darauf gehofft, dass es nicht wieder so weit kommen würde wie in der Flüchtlingskrise 2015/2016, als ebenfalls Menschen in Turnhallen und sogar Zelten untergebracht werden mussten. Doch es gibt einfach keine freien Wohnungen in der kleinen Stadt mit ihren rund 50.000 Einwohnern.

Die Flüchtlingsberatung um Pfarrer Frank Ungerathen: Leiterin Mahkameh Robatian (hinten, Mitte), Michaela Lee (re.), Olga Meier und Anastasya Zlobino (vorne, v.l.)

Die Flüchtlingsberatung um Pfarrer Frank Ungerathen: Leiterin Mahkameh Robatian (hinten, Mitte), Michaela Lee (re.), Olga Meier und Anastasya Zlobino (vorne, v.l.)© Sabine Kinkartz/DW

"Der Markt ist leergefegt", sagt Mahkameh Robatian, die die Beratungsstelle leitet. Auch private Angebote, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen, gebe es nur noch selten. "Bei den hohen Preisen für Gas und Strom winken die Leute oft ab, weil es ihnen zu teuer wird", sagt Olga Meier, die ehrenamtlich mitarbeitet.

Überforderte Helfer

Seit Russland die Ukraine überfallen hat und die ersten Kriegsflüchtlinge nach Deutschland kamen, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Flüchtlingsberatung im Dauereinsatz: Sie führen Gespräche, telefonieren mit Ämtern, helfen beim Ausfüllen von Formularen, organisieren Sprachkurse, suchen nach Wohnungen, veranstalten Kochkurse und Treffen bei Kaffee und Kuchen. Sie ermuntern, beraten und trösten - betreuen, wenn es sein muss, auch noch die Kinder.

Aus Platznot muss nun eine zweite Turnhalle für Flüchtlinge eingerichtet werden

Aus Platznot muss nun eine zweite Turnhalle für Flüchtlinge eingerichtet werden© Sabine Kinkartz/DW

Eine Arbeit, die von den kirchlichen Mitarbeitern wie selbstverständlich gemacht wird, und die doch eine "ständige Überforderung" sei, wie Pfarrer Ungerathen formuliert. Er selbst hat immer weniger Zeit für seine eigentlichen Aufgaben als Seelsorger. Pro Tag erreichen ihn allein rund 60 Anfragen in einer Chat-Gruppe, in der die Kriegsflüchtlinge vernetzt sind. "Im Sommer seid ihr doch alle krank gewesen", sagt er in die Runde, und die Frauen nicken. "Irgendwann macht der Körper nicht mehr mit", sagt Mahkameh Robatian.

Integrationsbedarf auf allen Ebenen

Eine Stadt wie Herzogenrath bekomme normalerweise pro Jahr 50 bis 60 neue Flüchtlinge zugewiesen, rechnet der Pfarrer vor. "Jetzt kamen in drei Monaten 400 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, und aktuell sind wir bei 530." Dazu kommen rund 850 Menschen, die aus 20 anderen Staaten geflüchtet sind. "Manche haben inzwischen eine Arbeitsstelle, viele nicht - und der Integrationsbedarf hört ja nicht auf." .

Versagt der Staat ein Stück weit in der Flüchtlingsbetreuung? "Ich würde sagen: ja", meint Robatian, doch das will Pfarrer Ungerathen so nicht stehen lassen. "Im Sozialamt sind sie auch am Limit, die machen ständig Überstunden, und auch dort geht das auf die Knochen der Mitarbeiter."

In Aachen sind acht Turnhallen belegt

Im 20 Kilometer entfernten Aachen sieht es nicht besser aus. Anfang August hat die Oberbürgermeisterin der Stadt, Sibylle Keupen, die Notbremse gezogen und verkündet, vorübergehend weder neue Kriegsflüchtlinge noch weitere Asylsuchende aufzunehmen. Alle Notunterkünfte sind belegt, darunter acht Turnhallen.

Sibylle Keupen, Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen

Sibylle Keupen, Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen© Sabine Kinkartz/DW

Dabei sind die meisten der über 4000 geflüchteten Ukrainer, die in Aachen angemeldet sind und finanzielle Unterstützung bekommen, privat untergekommen. Das liegt auch daran, dass Aachen schon vor dem Krieg eine vergleichsweise große ukrainische Community hatte. Von den insgesamt rund 2800 Menschen, die in städtischen Wohnungen, Wohnheimen, Sammelunterkünften, aber eben auch in Turnhallen untergebracht sind, sind rund 960 ukrainische Kriegsflüchtlinge, die anderen sind Asylsuchende.

Wasserschäden in Containern

Überwiegend Afrikaner, ein paar Syrer und einige Ukrainer leben in einem Containerdorf, das 2016 auf einem ehemaligen Sportplatz im Aachener Süden errichtet wurde. Die kleinen Räume mit eigener Kochmöglichkeit, Dusche und Toilette sind begehrt, weil sie Privatsphäre bieten. 120 Menschen finden maximal Platz, doch ein Drittel der Container ist undicht und damit unbewohnbar. Gerade wird versucht, sie mit Teerdecken neu abzudichten.

Mit Hochdruck wird im Aachener Rathaus daran gearbeitet, leerstehende gewerbliche Immobilien als Unterkünfte herzurichten. Im Spätherbst, so jedenfalls der Plan, sollen zumindest die Turnhallen wieder frei und die Geflüchteten umgezogen sein.

Kommunen fühlen sich allein gelassen

"Wir sind jetzt in einer Situation, wo wir auch merken: Dieser Krieg wird wahrscheinlich noch lange dauern, und die Menschen bleiben hier, und die brauchen etwas anderes als eine Turnhalle", sagt Sibylle Keupen. "Das sind Familien, das sind unterschiedliche Volksgruppen, unterschiedliche Altersgruppen, die da aufeinandertreffen, das ist auch soziale Sprengkraft, die wir moderieren müssen. Und wenn wir keine kleineren Unterkünfte haben, ist das sehr schwierig."

Eine niederländische Firma baut die Container und vermietet sie im eigenen Land auch an Studenten

Eine niederländische Firma baut die Container und vermietet sie im eigenen Land auch an Studenten© Sabine Kinkartz/DW

Die Oberbürgermeisterin unterstützt die Forderung des Deutschen Städtetags und des Landkreistags nach einem Flüchtlingsgipfel. Der Bund müsse die Verteilung der Menschen im ganzen Land besser steuern und auch finanziell einspringen. Aachen sei mit 15 Millionen Euro in Vorleistung gegangen, sagt Keupen. "Die müssen wir auf jeden Fall erstattet bekommen."

Nur eine Unterkunft, das reicht nicht

Doch damit ist es für die Kommunalpolitikerin nicht getan. "Wir brauchen ein geordnetes System, um den Menschen wirklich - und das ist für mich das Wichtige - nicht nur ein Dach über dem Kopf und ein Bett zu geben, sondern mehr. Da braucht es einen Schulplatz, da braucht es einen Kitaplatz, da braucht es auch eine psychosoziale Betreuung, also gerade, was Familien und Kinder mit Kriegstraumata angeht."

Alles Dinge, die in ganz Deutschland genauso knapp sind wie der Wohnraum, um den die Geflüchteten mit der übrigen Bevölkerung konkurrieren. Auch in Herzogenrath-Merkstein. "Wir können ja nochmal einen Aufruf starten, um private Unterkünfte zu finden", schlägt Olga Meier in der Runde der Flüchtlingsberatung vor. "Das ist besser, als es nicht zu versuchen."

Auch kleine Erfolge motivieren

Die anderen nicken zustimmend, auch wenn die Hoffnung gering ist. "Die meisten Vermieter sagen sofort nein oder legen auf, wenn sie etwas von Flüchtlingen hören", berichtet Michaela Lee, die in der Beratungsstelle eigentlich für die Verwaltung zuständig ist. "Ich freue mich immer richtig, wenn ich doch eine Wohnung für einen Flüchtling finde", sagt sie. "Oder eine Ausbildungsstelle, nachdem ich Hunderte Bewerbungen mit geschrieben habe." Das sei ihre Motivation.

Maximal zwei Personen finden in den Containern Platz, in denen auch Ukrainerinnen leben

Maximal zwei Personen finden in den Containern Platz, in denen auch Ukrainerinnen leben© Sabine Kinkartz/DW

Man empfinde sich in einem solchen Moment als wirksam und nicht mehr passiv, erklärt der Pfarrer. Das bewege viele Menschen auch, ehrenamtlich mitzuhelfen. Doch auch dort gibt es Grenzen. "Wir haben 25 afghanische Ortskräfte zugewiesen bekommen, und die brauchen eine unglaublich zeitaufwendige Unterstützung, das ist ehrenamtlich nicht zu machen."

Mit dem Rücken zur Wand

Pfarrer Ungerathen verhandelt gerade mit der Stadt über zusätzliches Personal für die Flüchtlingsberatung. Doch auch dort fehlen die Mittel. Allein der Betrieb der zwei Turnhallen verschlinge "einen sechsstelligen Betrag". So hofft man auch in Herzogenrath auf Hilfe vom Bund. "Es muss mehr Geld und Stellen geben", sagt der Pfarrer. "Die Kommunen stehen mit dem Rücken zur Wand."

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Sachsens Innenminister warnt vor Flüchtlings-Überforderung

 

Sachsens Innenminister warnt vor Flüchtlings-Überforderung

Sachsens Innenminister warnt vor Flüchtlings-Überforderung© Bereitgestellt von SZ - Sächsische Zeitung

Sachsens Innenminister warnt vor Flüchtlings-Überforderung

Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen hat Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) vor einer Überforderung der an der Grenze gelegenen Bundesländer gewarnt und den Bund zum Gegensteuern aufgerufen. "Die Bundesregierung muss jetzt schnellstmöglich mit den Schengen-Partnern über die Sicherheit der Außengrenze sprechen", sagte er der "Rheinischen Post". Zudem sei es "jetzt nicht an der Zeit für weitere freiwillige Aufnahmeprogramme, die der Bund einseitig beschließt, ohne die Länder, die diese realisieren müssen, zu beteiligen".

Für Bundesländer wie Sachsen werde der Zustrom "in Kürze kaum noch zu bewältigen sein, wenn sich gleichzeitig das Gros der Bundesländer bei der Weiterverteilung abgemeldet hat", kritisierte Schuster. "Da muss eine Lösung her." Es brauche die schon mehrfach von der Bundesregierung angekündigte Rückführungsoffensive für Menschen, die kein Bleiberecht haben.

Laut Schuster steigt der Migrationsdruck. In anderen Bundesländern würden dieser Tage erste Turnhallen für die Unterbringung geschlossen. "Auch in Sachsen verschärft sich die Unterbringungssituation zusehends." Das zeige sich in den Landesaufnahmeeinrichtungen und "das signalisiert auch die kommunale Ebene ganz deutlich".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte sich besorgt gezeigt über die zunehmende Zahl von Migranten, die versuchen, über die Balkanroute und das Mittelmeer Europa zu erreichen. Dass wieder mehr Menschen über diese Routen nach Europa kommen, "macht mir Sorge", sagte die SPD-Politikerin der "Bild am Sonntag".

Die Grenzkontrollen zu Österreich seien verlängert worden, an der tschechischen Grenze kontrolliere die Bundespolizei verstärkt im Rahmen der Schleierfahndung. (dpa)

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Flucht und Migration - erklärt in fünf Grafiken

Krieg, Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen - weltweit sehen sich Millionen Menschen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. DW veranschaulicht, wer warum wohin geht, wer Geflüchtete aufnimmt und wer sich abschottet.

Ein langer und beschwerlicher Marsch: Migranten in Lateinamerika auf dem Weg in den Norden

Ein langer und beschwerlicher Marsch: Migranten in Lateinamerika auf dem Weg in den Norden© Daniel Diaz/dpa/picture alliance

Wo die meisten Flüchtlinge herkommen - und hingehen

72 Prozent aller Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat und Personen, die internationalen Schutz benötigen, kommen - Stand Mitte 2022 - aus nur fünf Ländern, so das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen.

Die Meisten sind aus Syrien, wo sich 2011 im Zuge der arabischen Aufstände ein bis heute andauernder Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung entwickelt hat. Die zweitgrößte Gruppe stellen mit 5,6 Millionen Menschen Venezolanerinnen und Venezolaner - das südamerikanische Land befindet sich seit Jahren in einer tiefen politischen, wirtschaftlichen und humanitären Krise. Ähnlich viele Flüchtlinge kamen bis Mitte 2022 aus der Ukraine. Seither ist deren Zahl auf circa acht Millionen gestiegen, der russische Angriffskrieg dauert an.

Während ein Großteil der Geflüchteten also aus einer Handvoll Länder kommt, ist die Lage bei den Aufnahmeländern weniger eindeutig. Die fünf Länder mit den zahlenmäßig meisten Geflüchteten beherbergen 36 Prozent aller Flüchtlinge unter UNHCR-Mandat und anderer Personen, die internationalen Schutz benötigen. Darunter die Türkei, Kolumbien und Deutschland sowie Pakistan und Uganda.

Letztere zwei Länder veranschaulichen, dass der Eindruck vieler Europäer, alle Flüchtlinge aus Afrika und Asien seien zu ihnen unterwegs, falsch ist. Nach UN-Angaben migrieren etwa 80 Prozent auf dem afrikanischen Kontinent innerhalb ihrer eigenen Region. Auch die meisten Flüchtlinge und Migranten asiatischer Länder bleiben auf dem Kontinent. Regionale Migration dominiert also die Bewegungsmuster.

Relevant ist neben den reinen Zahlen auch die Frage, welche Länder anteilig zu ihrer eigenen Gesamtbevölkerung die meisten Geflüchteten und Migranten aufnehmen. Ganz vorne mit dabei ist der Libanon - dort waren Ende 2020 laut dem Statistikportal Statista circa 13 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Geflüchtete, die meisten aus Syrien. Palästinensische Flüchtlinge, von denen sich auch Hunderttausende im Land aufhalten, sind dabei noch nicht eingerechnet.

Mit die höchsten Anteile Geflüchteter haben - für viele wohl überraschend - auch die Karibikinseln Aruba und Curaçao. Aruba mit seinen 112.000 Einwohnern und 16 Prozent Geflüchteten hatte laut Statista Ende 2020 sogar den größten Anteil weltweit. Die allermeisten Flüchtlinge kommen dabei aus dem nahegelegenen Venezuela. Aruba und Curacao gehören als Teil des Königreichs der Niederlande zwar nicht zur Europäischen Union, sind aber als Überseegebiet eng mit der EU assoziiert.

Zehntausende Tote und Vermisste seit 2014

Auf dem Weg in ein neues Leben müssen Flüchtlinge und Migranten oft zahlreiche Gefahren in Kauf nehmen, sie leiden Hunger, erkranken, erfahren Gewalt. Nicht wenige bezahlen das Wagnis sogar mit dem Leben. Von 2014 bis 2022 sind nach Informationen des Missing Migrants Project der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mindestens gut 50.000 Menschen gestorben oder gelten als vermisst.

Mehr als die Hälfte dieser Todes- und Vermisstenfälle geht auf die Mittelmeerroute zurück - über 26.000 Flüchtlinge und Migranten ertranken seit 2014 bei dem Versuch, etwa von Libyen, Ägypten oder Marokko nach Europa überzusetzen. Damit ist die Mittelmeerroute die gefährlichste Flucht- und Migrationsroute der Welt. Die zweitgefährlichste Region ist Afrika und dabei vor allem die Sahara-Wüste.

Auch in Amerika gibt es eine Migrationsbewegung von Süden nach Norden. Menschen aus Honduras, Guatemala, Venezuela oder etwa Haiti versuchen der Armut, der Gewalt und den politischen Krisen ihrer Heimatländer zu entfliehen und die Grenze Mexiko-USA zu übertreten. Zwischen Oktober 2021 und Oktober 2022 registrierte die US-Grenzschutzbehörde mehr als zwei Millionen Versuche von Migranten, in die USA zu gelangen - oft unter gefährlichen Umständen. Tragische Schlagzeilen machte etwa im vergangenen Juni der qualvolle Tod von 50 Menschen in einem Lkw, in dem sie bei glühender Hitze ohne Klimaanlage eingesperrt zurückgelassen worden waren.

Blumenkranz an einem Strand in Süditalien, nachdem Ende Februar Dutzende Leichen von Flüchtlingen entdeckt worden waren

Blumenkranz an einem Strand in Süditalien, nachdem Ende Februar Dutzende Leichen von Flüchtlingen entdeckt worden waren© Gianluca Chininea/AFP

Auf dem asiatischen Kontinent sind im vergangenen Jahr nach IOM-Angaben ebenfalls Tausende gestorben, darunter viele Afghanen und Rohingya aus Myanmar, aber auch etwa Ostafrikaner vor oder auf der arabischen Halbinsel.

Warum verlassen Menschen ihre Heimat?

Menschen entscheiden sich aus den unterschiedlichsten Gründen, ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zu verlassen - etwa um zu arbeiten oder einer Partnerschaft wegen. Doch nicht jeder verlässt seine Heimat freiwillig. Oft bringen Gewalt, Perspektivlosigkeit oder Naturkatastrophen Menschen dazu, anderswo Zuflucht zu suchen. Die Forschung zeigt, dass Menschen oft nicht nur aus einem einzigen Grund migrieren, sondern verschiedene miteinander verknüpfte Faktoren gleichzeitig auf sie wirken.

In Anlehnung an ein Paper der Migrationsforscher Mathias Czaika und Constantin Reinprecht hat IOM die neun wichtigsten Dimensionen und Faktoren visualisiert.

So kann sich etwa ein junger Mensch dazu entscheiden auszuwandern, weil in seiner Heimat viele in seinem Alter (demographische Dimension) und die Jobchancen schlecht (wirtschaftliche Dimension) sind, und zugleich die Bildungsmöglichkeiten im Ausland besser (menschliche Entwicklung).

Für die Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer, die seit Anfang 2022 ihre Region oder ihr Land verlassen haben, ist Sicherheit der wichtigste Faktor - sie fliehen vor dem Angriffskrieg, den Russland in ihrem Land führt.

Auch die Umweltdimension ist nicht zu unterschätzen. Das Fatale: Übermäßig oft suchen Extremwetterereignisse wie starke Regenfälle, Dürren und Wirbelstürme Einwohner des Globalen Südens heim, die ohnehin schon Armut und Konflikten ausgesetzt sind. So mussten 2022 etwa Hunderttausende Pakistanerinnen und Pakistaner vor verheerenden Überschwemmungen fliehen. Das Land steckte bereits zuvor in einer schweren Wirtschaftskrise und war bei der Versorgung der Flutopfer und für den Wiederaufbau auf internationale Hilfe angewiesen.

Europa schottet sich ab

Während es zum Ende des Kalten Krieges weltweit nur ein Dutzend Grenzmauern gegeben habe, habe sich ihre Zahl seitdem mehr als versechsfacht, heißt es in einem Fachartikel von März 2022. Diese Mauern hätten vor allem eine Funktion: Irreguläre Einwanderung stoppen - obwohl sich Grenzanlagen in dieser Hinsicht nicht als besonders wirksam erwiesen hätten.

Bei der Abschottung mittels Zäunen ist vor allem Europa vorne mit dabei. Laut einem Papier des EU-Parlaments vom vergangenen Jahr sind die Europäische Union und der Schengen-Raum mittlerweile von 19 Grenz- bzw. Trennzäunen umgeben bzw. durchzogen. Zusammen ergeben sie eine Länge von 2048 km - während es noch 2014 315 km gewesen seien.

Der längste Zaun Europas ist der, den das EU-Land Litauen auf einem guten Teil seiner knapp 700 km langen Grenze zum Nicht-EU-Land Belarus errichtet hat. Die Regierung in Vilnius rüstete nach, nachdem im Spätsommer und Herbst 2021 Tausende Menschen versuchten, irregulär in die EU zu gelangen. Die Europäische Union beschuldigt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, in organisierter Form Migranten aus Krisenregionen an die EU-Außengrenze gebracht zu haben.

Wer nun versucht, von Belarus nach Litauen zu gelangen, den erwarten ein vier Meter hoher Zaun mit Stacheldraht und Überwachungskameras. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen haben Litauen und andere europäische Länder wegen ihrer strikten Linie gegenüber Flüchtlingen wiederholt scharf kritisiert.

Vertrieben im eigenen Land

Nicht alle Menschen, die ihre Heimat verlassen, gehen außer Landes. Laut UNHCR machen sogenannte Binnenvertriebene weltweit sogar 60 Prozent, also die Mehrheit aller "gewaltsam Vertriebenen" aus.

In Syrien ist der Anteil derer, die innerhalb ihres eigenen Landes auf der Flucht sind, mit fast einem Drittel der Bevölkerung nach Angaben von UNHCR am größten. Darauf folgen mit circa 13 Prozent Kolumbien und Jemen, mit 9 Prozent Afghanistan, mit 6 Prozent die Demokratische Republik Kongo und mit drei Prozent Äthiopien.

Diese Zahlen schließen allerdings nur durch Konflikt und Gewalt Vertriebene ein, Opfer von Klimawandel und Naturkatastrophen etwa dagegen nicht. Letztere zählt das Flüchtlingshilfswerk gesondert. Demnach wurden im Laufe des Jahres 2021 23,7 Millionen Menschen aus Umweltgründen zu Binnenvertriebenen. Die größten Vertreibungen fanden in China, den Philippinen und Indien statt. Doch für Menschen, die etwa wegen Überschwemmungen oder Dürre innerhalb ihres Landes migrieren, geht es oft vergleichsweise schnell wieder in die Heimat zurück.

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Union nennt leichtere Einbürgerungen „falsche Signale in die Welt“

Die Bundesregierung hatte sich vergangene Woche in Grundzügen auf ein neues Staatsbürgerschaftsrecht geeinigt, das Einbürgerungen erleichtern soll. Für den Parlamentarischen Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, werde dadurch der bestehende „Migrationsdruck“ noch verstärkt.

Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion pa/Geisler-Fotopress/Frederic Kern

Thorsten Frei, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion pa/Geisler-Fotopress/Frederic Kern© Bereitgestellt von WELT

Die CDU/CSU-Opposition im Bundestag wendet sich gegen Pläne der Regierungskoalition für leichtere Einbürgerungen. Ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thorsten Frei sprach in der „Rheinischen Post“ von „falschen Signalen in die Welt“. Das Vorhaben von SPD, Grünen und FDP werde einen bestehenden „Migrationsdruck“ noch verstärken. „Welches Land vergibt die Staatsbürgerschaft auf die Schnelle an Menschen, die noch nicht einmal ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten können?“, sagte Frei.

Die Bundesregierung hatte sich vergangene Woche in Grundzügen auf ein neues Staatsbürgerschaftsrecht geeinigt. Kern sind kürzere Mindestaufenthalte für Einbürgerungen – statt acht Jahren sollen fünf Jahre reichen, bei besonderen Integrationsleistungen auch nur drei. Ausgeschlossen sein soll der deutsche Pass für Menschen, die aus antisemitischen oder rassistischen Motiven Straftaten begangen haben. Voraussetzung soll auch sein, den Lebensunterhalt in der Regel ohne Sozialleistungen bestreiten zu können.

Frei sagte hingegen, es brauche keine Erleichterungen. „Für Menschen, die gut qualifiziert sind und gern in Deutschland leben und arbeiten wollen, stehen die Türen längst offen.“ Mit den bestehenden Gesetzen „brauchen wir den Vergleich zu anderen Industrienationen, die sich ebenfalls um kluge Köpfe aus aller Welt bemühen, nicht zu scheuen“. Nach Angaben des Innenministeriums lebten Ende 2021 rund 10,7 Millionen Ausländer in Deutschland – mehr als die Hälfte seit mindestens zehn Jahren.

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„Gerade auch gegenüber Frauen“: Freibad-Betreiber kritisieren zunehmende Respektlosigkeit

Schwimmbäder der Region

„Gerade auch gegenüber Frauen“: Freibad-Betreiber kritisieren zunehmende Respektlosigkeit

Kay Thimet betreibt mehrere Schwimmbäder im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Das Bild zeigt ihn im Freibad in Schenklengsfeld.

Kay Thimet betreibt mehrere Schwimmbäder im Kreis Hersfeld-Rotenburg. Das Bild zeigt ihn im Freibad in Schenklengsfeld.© Helwig, Laura

Die Straftaten in den Freibädern im Kreis Hersfeld-Rotenburg haben laut Polizei nicht zugenommen, wohl aber die Respektlosigkeit und andere Probleme.

Hersfeld-Rotenburg – Nach den teils gewalttätigen Übergriffen in Berliner Schwimmbädern wird bundesweit über einen besseren Schutz in Badeanstalten diskutiert. Auf Anfrage unserer Zeitung betont das Polizeipräsidium Osthessen, dass die Freibäder in der Region „keinen Kriminalitätsschwerpunkt darstellen und kein signifikanter Anstieg von Straftaten zu erkennen“ sei.

Bäderbetreiber registrieren allerdings eine Zunahme der „Dreistigkeit und Respektlosigkeit – gerade auch gegenüber Frauen“, wie Kay Thimet berichtet, dessen Bäderbetrieb für die Freibäder in Philippsthal, Schenklengsfeld, Nentershausen, Kirchheim sowie für das Geistalbad und das Aquafit in Bad Hersfeld verantwortlich ist. „Schwimmbäder sind ein Abbild der Gesellschaft, obwohl in Badehose eigentlich alle Leute gleich sind“, sagt Thimet.

„Spürbar“ weniger Respekt in Freibädern im Kreis Hersfeld-Rotenburg

Übergriffe in Schwimmbädern habe es zwar schon früher gegeben, aber er müsse inzwischen immer öfter von seinem Hausrecht gebrauch machen. Pro Jahr spricht Thimet in seinen Betrieben 10 bis 15 Hausverbote aus, Tendenz steigend. Oft seien es männliche Jugendliche, die in der Gruppe über die Stränge schlügen und den Anweisungen der Bademeister nicht Folge leisteten.

„Zuweilen werden wir sogar als Rassisten beschimpft, wenn wir Besucher mit Migrationshintergrund auf die Baderegeln hinweisen“, beklagt Thimet, der auch schon über den Einsatz von externem Sicherheitspersonal nachdenkt.

Besonders Bademeisterinnen müssen zeigen, wer das sagen hat

„Der Respekt ist spürbar weniger geworden“, bestätigt auch Madeleine Clausing, die unter anderem das Waldschwimmbad in Rotenburg betreibt. Dies betreffe Männer wie Frauen und auch nicht nur Jugendliche, hat die ausgebildete Bademeisterin festgestellt. „Gerade als Frau muss man sofort sehr strikt sein und die Regeln klarmachen“, sagt sie. Auch wenn es kaum Gewalttätigkeiten zu beklagen gebe, habe die Aggressivität zugenommen, sodass auch sie zuweilen Platzverweise aussprechen müsse.

Der Betriebsleiter des Biberbades in Bebra Gerald Mock indes sieht „keine deutliche Verschlechterung“ der Lage in seinem Freibad. „Man kennt seine Problemfälle, und natürlich gibt es junge Männer, die in der Gruppe zeigen wollen, wie stark sie sind, aber einen Sicherheitsdienst brauchen wir hier nicht.“ Er habe in dieser Sommersaison bislang nur ein Hausverbot aussprechen müssen.

Das sagt das Polizeipräsidium Osthessen:

Freibäder stellen auch im Kreis Hersfeld-Rotenburg keinen Kriminalitätsschwerpunkt dar. Die Gesamtfallzahlen bewegen sich osthessenweit seit Jahren im niedrigen zweistelligen Bereich und liegen meist im Bereich der Eigentumskriminalität. Bisher seien keine signifikanten Veränderungen erkennbar, teilt das Polizeipräsidium Osthessen mit. Grundsätzlich seien Betreiber und Personal für die Sicherheit verantwortlich. Wenn erforderlich, werde die Polizei auch in Schwimmbädern tätig, um Straftaten konsequent zu verfolgen.

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