Forum

Forum-Breadcrumbs - Du bist hier:ForumPolitik: EU - newsGesundheit

Gesundheit

VorherigeSeite 2 von 2
Zitat

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Weil Biontech seine Krebsforschung nach England verlegt, schlagen Münchner Topärzte Alarm. Sie fürchten, dass immer mehr innovative Unternehmen und Wissenschaftler abwandern.

In der Welt der Wissenschaft gehört vornehme Zurückhaltung normalerweise zum guten Ton – gerade wenn es um öffentlich vorgetragene Kritik an der Politik geht. Schließlich sind die meisten Forscher auf das (finanzielle) Wohlwollen der Entscheider in Berlin und Brüssel angewiesen. Doch allerspätestens seit den Abwanderungsplänen von Biontech nehmen viele deutsche Wissenschaftler kein Blatt mehr vor den Mund. Unter Top-Medizinern gilt die Ankündigung der Mainzer Vorzeige-Firma, ihren Impfstoff gegen Krebs zunächst in England zu erproben (wir berichteten), als Paradebeispiel für einen gefährlichen Trend. Sie fürchten, dass immer mehr Pharma- und Medizintechnikunternehmen und auch Wissenschaftler Deutschland den Rücken kehren werden – aus Frust über zu hohe bürokratische Hürden bei klinischen Studien, langwierige Genehmigungsprozesse, zu strenge Datenschutzregelungen, Defizite bei der Digitalisierung sowie bei den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Wenn sich daran nicht bald etwas ändere, so die einhellige Diagnose vieler Top-Ärzte, dann wackelt auch die deutsche Medizin-Hochburg München.

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert© Bereitgestellt von Merkur

Foto © Stephan Beissner

Professor Martin Halle: Datenschutz hat überhand genommen

„Die Durchführung wichtiger Studien ist oft zu komplex, zu kostspielig und zu langwierig geworden. Statt neue, sichere Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Arzneimitteln und Verfahren zu ermöglichen, stehen die Richtlinien der Erforschung dieser mittlerweile im Weg“, klagen führende Fachgesellschaften für Herzmedizin in einer gemeinsamen Erklärung mit der Deutschen Herzstiftung. Ihr Beiratsmitglied Professor Martin Halle von der TU München wird noch deutlicher: „Wir haben es jahrelang verpasst, die rechtlichen Rahmenbedingungen für medizinische Spitzenforschung auf einen internationalen Standard zu bringen.“ So sei es in Deutschland praktisch unmöglich, Patientendaten ohne erheblichen bürokratischen Aufwand abzuspeichern und anonymisiert für medizinische Zwecke auszuwerten. „Der Datenschutz hat in Deutschland einfach überhand genommen. Unsere Nachbarn – etwa Holland und die skandinavischen Länder – machen uns vor, wie es besser geht. Mit der schockierenden Folge, dass Deutschland bei vielen internationalen Unternehmen inzwischen als Standortnachteil gesehen wird“, warnt Halle.

Professor Hannes Wachtel: Deutschland in Abstiegsgefahr

Für den Münchner Parodontologen Professor Hannes Wachtel, der unter anderem an der Uni in Göteborg forschte und mit einer Holländerin verheiratet ist, zeigt sich das deutsche Dilemma auch bei anderen entscheidenden Faktoren wie der Digitalisierung und zu hohen Kosten bei innovativen Forschungsprojekten. Er verweist auf das Länder-Ranking des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) – eine Art Rangliste der wirtschaftlichen Attraktivität. Darin liegt Schweden beispielsweise auf Rang drei hinter den USA und Kanada, Holland auf Rang neun. Deutschland ist 18. „Nicht nur im Fußball steigt man mit so einem miserablen Tabellenplatz ab“, stellt Wachtel fest.

Professor Roland Schmidt: Müssen aufpassen, dass Spitzenforschung erhalten bleibt

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert© Bereitgestellt von Merkur

Foto © Markus Götzfried

Droht uns also tatsächlich das Aus in der Champions League der Medizinforschung? „Deutschland muss sich im internationalen Vergleich der Spitzenforschung nicht verstecken. Das sieht man auch an vielen hochkarätigen wissenschaftlichen Publikationen, die in großer Zahl veröffentlicht werden“, kommentierte Prof. Roland Schmidt, Mannschaftsarzt des FC Bayern München und Kardiologe im Krankenhaus Barmherzige Brüder, vergangene Woche bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit dem Bayerischen Zentrum für Krebsforschung in der Allianz Arena. „Aber in anderen Ländern sind die Regelungen beispielsweise für klinische Studien effektiver. Das ist der Grund dafür, dass immer mehr Firmen und Wissenschaftler ins Ausland gehen. Wir müssen unbedingt dafür sorgen, dass Spitzenforschung auch in Deutschland erhalten bleibt.“

Professor Rüdiger von Eisenhart-Rothe: „Deutschland für Medizin-Firmen zunehmend unattraktiv

Ein Schlüssel dazu wäre nach Überzeugung von Professor Rüdiger von Eisenhart-Rothe vom Uniklinikum rechts der Isar ein pragmatischer Umgang mit dem Datenschutz. „Er ist ein hohes Gut. Wir stehen zweifelsohne in der Pflicht, mit den Daten unserer Patienten sensibel umzugehen“, räumt der Gelenkersatz- und Tumorspezialist ein. „Andererseits werden wir unserer Verantwortung als Mediziner nicht gerecht, wenn wir Daten ungenutzt lassen, die wir sehr effektiv zum Wohle unserer Patienten einsetzen könnten.“ Zumal die Patienten durch die restriktiven Regeln gleich doppelt bestraft würden, weil viele Gesundheitsunternehmen mit zukunftsträchtigen Therapien und Technologien aus Deutschland abwandern – wie das Beispiel von Biontech zeigt. „Fakt ist: Wenn es um Innovationen in der Medizin geht, ist Deutschland mittlerweile für Firmen und Unternehmen zunehmend unattraktiv“, weiß von Eisenhart-Rothe.

Professor Alexander Leber: Patientendaten für KI-Nutzung unverzichtbar

Der eisenharte deutsche Datenschutz treibt auch den Kardiologen Professor Alexander Leber vom Münchner Isarklinikum um: „In der modernen Medizin sind Patientendaten unverzichtbar zum Beispiel für die Nutzung künstlicher Intelligenz. Wenn wir diese Daten in Deutschland nicht zur Verfügung stellen können, dann wird sich die Industrie andere Länder suchen und ihre Projekte dort etablieren.“

PD Dr. Christoph Spinner für gesunden Mittelweg bei Genehmigungsprozessen

Der Infektiologe und Corona-Experte Privatdozent Christoph Spinner vom Uniklinikum rechts der Isar mahnt allerdings an, dass bei aller Kritik an der deutschen Überbürokratie und Regelungswut der Sicherheitsaspekt nicht vergessen werden dürfe. „Es geht ja um Menschen. Bestimmte Regularien und Auflagen für klinische Studien haben durchaus ihre Berechtigung. Wir brauchen bei der Steuerung der Genehmigungsprozesse einen im wahrsten Sinne des Wortes gesunden Mittelweg.

Deutsche Herzstiftung und medizinische Fachgesellschaften alarmiert

Doch auch Spinner ist bewusst, dass langatmige Genehmigungsprozesse in vielen Fällen den medizinischen Fortschritt ausbremsen. Und statt diese zu vereinfachen, werden sie noch zusätzlich „stark verkompliziert“, klagen die Fachgesellschaften der Herzmediziner und die Deutsche Herzstiftung.

Professor Rüdiger Lange: Deutschland droht Anschluss an Weltspitze zu verlieren

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert© Bereitgestellt von Merkur

Foto © Achim Frank Schmidt

Dazu komme Regelungswut auf europäischer Ebene, wie der erfahrene Herzchirurg Professor Rüdiger Lange vom Deutschen Herzzentrum kritisiert. Er verweist unter anderem auf das im Juni vergangenen Jahres in Kraft getretene Medizinproduktedurchführungsgesetz: „Es erschwert extrem die Zulassung neuer Produkte und zusätzlich auch die Weiterverwendung bereits bestehender Produkte. Diese Produkte müssen rezertifiziert werden, das erfordert zusätzliche Studien – mit der Folge, dass sich die Herstellung für viele Firmen kaum noch lohnt.“ Zudem würden Wissenschaftler in Deutschland im Vergleich zu vielen anderen Ländern zu schlecht bezahlt. „Das erschwert es, Spitzenforscher und Innovationstreiber in unserem Land zu halten oder auch Kollegen aus anderen Ländern für unsere Forschungseinrichtungen zu gewinnen“, analysiert Lange, der seit 44 Jahren als Herzchirurg tätig und mit Wissenschaftler-Kollegen weltweit bestens vernetzt ist und im Sommer nach fast einem Jahrhundert an der Spitze des Herzzentrums in den Ruhestand geht. „Vor dem Hintergrund unserer strukturellen Probleme läuft Deutschland Gefahr, den Anschluss an die Weltspitze zu verlieren“, so Lange.

Professor Michael von Bergwelt: Politik muss wachgerüttelt werden

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert

Biontech-Beben: Medizin-Hochburg München wackelt - Top-Ärzte schockiert© Bereitgestellt von Merkur

Foto © Britta Pedersen/dpa

Das wäre auch für die Patienten hierzulande fatal. Denn gerade für Menschen mit lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Krebs kann die Teilnahme an klinischen Studien den Unterschied ausmachen. „Wir haben viele Patienten, die extra wegen der Teilnahme an solchen Studien mit ihren Angehörigen für mehrere Wochen nach München kommen. Sie erhalten dabei modernste Medikamente, die es anderswo noch nicht gibt“, berichtet der Onkologe und Infektiologe Professor Michael von Bergwelt vom LMU Klinikum. „Aber auch für die Weiterentwicklung der Medizin insgesamt sind kontrollierte und damit sichere klinische Studien wichtig. Sie sind unerlässlich, um die Wirksamkeit neuer Therapien zu testen.“

Die Impfstoff-Technologie von Biontech bewertet der erfahrene Krebsspezialist als „weit fortgeschritten und vielversprechend“. Ob der Impfstoff alleine in der Lage sei, Tumorerkrankungen in Schach zu halten, müsse sich zwar noch zeigen, sagt von Bergwelt. Aber es gebe Anlass zur Hoffnung, dass er zumindest in Kombination mit anderen Therapien sehr effektiv wirken könne. „Insofern ist es ein Tiefschlag, dass Biontech seine Studie dazu zunächst hauptsächlich in England durchführt und einen wesentlichen Teil seiner Forschung dorthin verlagert. Wir können nur hoffen, dass unsere Politik von dieser Entscheidung wachgerüttelt wird“, betont von Bergwelt.

Zitat

Pflegekräfte aus Brasilien lösen nicht unser Problem, liebe Bundesminister

Pflegekräfte aus Brasilien lösen nicht unser Problem, liebe Bundesminister

Pflegekräfte aus Brasilien lösen nicht unser Problem, liebe Bundesminister© Bereitgestellt von Berliner Zeitung

Es gibt die Klagen seit Jahrzehnten, früher verhallten sie ungehört. Seit Corona lässt sich nicht mehr verdrängen, dass das beste Gesundheitssystem der Welt schon lange derart auf Kante genäht ist, dass die Versorgung gefährdet war – und immer noch ist.

Sowohl in Kliniken als auch in Altenheimen und bei ambulanten Pflegediensten fehlen so viele Pflegekräfte, dass die verbleibenden kaum krank werden dürfen, weil die dann wiederum Verbleibenden aufgrund der Mehrarbeit in der Folge auch krank werden – und dann kaum noch jemand für die Versorgung der eigentlich Kranken übrig bleibt.

Nach aktuellen Daten der Techniker Krankenkasse (TK) nahmen die Krankschreibungen bei Pflegekräften 2022 im Vergleich zu 2021 um 40 Prozent zu. Mit durchschnittlich fast 30 Fehltagen lagen sie rund 57 Prozent über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Häufigste Diagnosen: psychische Erkrankungen, Atemwegsinfekte und Rückenleiden.

Viele Pflegekräfte machen das nicht lange mit, die Abbrecherquote sowohl in der Ausbildung als auch im Job ist hoch. Nachvollziehbar, dass man sich durch den Job nicht auf Dauer seine eigene Gesundheit ruinieren will, während man sich ständig um die Gesundheit anderer Leute sorgt.

Was macht die Politik, um dieses sehr aktuelle und brandgefährliche Problem zu lösen, das uns in Zukunft aufgrund der deutschen Alterspyramide und der bevorstehenden Boomer-Rente noch viel größere Probleme bereiten wird? Sie reist mal wieder ins Ausland, um Fachkräfte anzuwerben.

Schon Jens Spahn (CDU) hatte vor der Pandemie 10.000 neue Pflegekräfte durch ein „Sofortprogramm“ versprochen und war dazu unter anderem in den Kosovo gereist. Die Bilanz fiel leider sehr dürftig aus. Nichtsdestotrotz machen es ihm nun Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nach und befinden sich aktuell auf einer Reise durch Südamerika, um vor allem für die Pflege Fachkräfte in Brasilien anzuwerben. Das stößt dort auf gemischte Gefühle.

Die ARD berichtete im Vorfeld von jungen Menschen auf quasi gepackten Koffern, die sich schon freuten, anstelle ihres jetzigen Monatsgehalts von 400 oder 500 Euro in Deutschland künftig das Vier- oder Fünffache zu verdienen. Sie berichtete aber auch von Gewerkschaften, die sich beschwerten, in die Verhandlungen über solche Abwerbeprogramme nicht einbezogen worden zu sein, zitiert wird außerdem die Aussage: „Würden beide Länder ihre Pflegekräfte ordentlich bezahlen, hätte Deutschland weniger Bedarf und Brasilianer müssten ihr Land nicht verlassen.“

Wobei man sagen muss: Die Bezahlung ist in Deutschland schon länger nicht mehr das Problem. Vor allem Fachkräfte verdienen inzwischen – im Vergleich zu manch anderen Berufen – recht anständig. Wenn sie zusätzlich als Leiharbeiter arbeiten, werden je nach Personalnotstand pro Nase gar über 10.000 Euro vom Personaldienstleister abgerufen. Monatlich, wohlgemerkt. Und auch die un- oder angelernten Kräfte werden mittlerweile nach Tarif bezahlt.

Das Problem hierzulande ist vor allem das System, in dem sie arbeiten. Sowohl das Gesundheits- als auch das Pflegesystem wurden in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen auf Gewinn getrimmt, dass sie ihrem eigentlichen Zweck nicht mehr gerecht werden, nämlich: Menschen gesund zu machen. Und Menschen würdevoll in den Tod zu begleiten.

Weil viele Pflegekräfte ihren Job aber erlernt haben, um Menschen zu helfen, brennen sie aus, wenn sie das nicht mehr können. Zudem herrscht untereinander oft eine vergiftete Kultur des Mobbings, die ebenfalls für viele Ausfälle und Erkrankungen sorgt. Kommen Fachkräfte aus dem Ausland hinzu, freuen sich viele Pflegekräfte erst mal über die Entlastung, sind aber dann auch schnell genervt, wenn die oder der Neue noch viel Hilfe braucht aufgrund unterschiedlicher Systeme, Sprachbarrieren oder kultureller Unterschiede. Auch deshalb reisen viele Neuankömmlinge bald wieder ab, vor allem Fachkräfte gehen zurück in ihre Heimat oder in andere Länder. Viele fühlen sich nicht wirklich integriert.

Auch Patientenschützer Eugen Brysch warnt davor, das Anwerben von Pflegekräften aus allen möglichen Teilen der Welt als Teil einer Lösung zu betrachten. Der Pflegekräftemangel sei vor allem ein innerdeutsches Problem. „Das werden auch die wenigen zusätzlichen Hundert brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger nicht lösen“, sagt der Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Die Anwerbezahlen seien seit über zehn Jahren „sehr ernüchternd“, demgegenüber gehen in den nächsten zehn Jahren rund 500.000 Pflegekräfte hierzulande in Rente.

Was stattdessen helfen würde, so Brysch: „Die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen könnten sich eine Rückkehr in den Beruf oder ein Aufstocken der Stunden vorstellen. Mindestens 300.000 stünden damit zusätzlich zur Verfügung.“ Dafür, so der Patientenschützer, müssten sich allerdings die Arbeitsbedingungen verbessern – unter anderem die Planbarkeit der Arbeitszeiten.

Und das ist das Hauptproblem. Solange sich die Arbeitsbedingungen nicht ändern, kann man den Markt mit noch so vielen immer neuen Arbeitnehmergruppen versuchen zu fluten – man wird sie alle vergrätzen. Über kurz oder lang.

Zitat

Verspielter Vorsprung

Arzneimittelhersteller und Ökonomen fordern bessere Bedingungen für Investitionen und Innovationen am Standort Deutschland. Die beste Versicherung gegen Lieferengpässe sei eine international wettbewerbsfähige und hochmoderne Pharmaproduktion hierzulande, sagen die Experten.

Kritischer Blick ins Reagenzglas: Forscher im deutschen Biotech-Bereich sehen sich ausgebremst Getty Images/Porta

Kritischer Blick ins Reagenzglas: Forscher im deutschen Biotech-Bereich sehen sich ausgebremst Getty Images/Porta© Bereitgestellt von WELT

Erinnern wir uns: In der Corona-Pandemie hatten binnen Jahresfrist mehrere Pharmaunternehmen Impfstoffe gegen das Virus entwickelt. In vorderster Linie mit dabei: Unternehmen aus Deutschland. Virologen wiesen damals darauf hin, dass der schnelle Erfolg auch dem wissenschaftlichen Fortschritt in anderen Bereichen wie etwa der Krebsforschung zu verdanken war. Auf deren Erkenntnisse konnte man in der Not rasch zugreifen.

Zeigte sich eben noch der Triumpf der pharmazeutischen Biotechnologie, folgte wenig später an anderer Stelle ein Bild des Elends: Im Verlauf der Pandemie kam und kommt es bis heute zu Lieferengpässen bei vielen wichtigen Medikamenten. Han Steutel, Präsident des Verbandes der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA), veranlasst das zu harscher Kritik:

„Fehlende Medikamente sind eine Bankrotterklärung für unser Gesundheitswesen. Die Engpässe sind das Ergebnis einer jahrelang verfehlten Spar- und Regulierungspolitik bei Arzneimitteln.“ Seine Forderung: Die beste Versicherung gegen Lieferengpässe seien eine innovative, international wettbewerbsfähige und hochmoderne Pharmaproduktion am Standort. „Wir sollten alles dafür tun, damit Investitionen hierher gelenkt werden und die Abwanderung von Produktionsstätten nicht noch beschleunigt wird.“

Jedoch könnten die Fehlentwicklungen der letzten Jahre „leider nicht von heute auf morgen“ korrigiert werden. Die vergangenen zehn Jahre habe die Gesundheitspolitik „mit nichts anderem verbracht, als an der Regulierungsschraube für die Pharmaindustrie zu drehen“. Das Ergebnis sei ein Mangel, der in Deutschland in Teilbereichen zur Normalität werde, auch bei so genannten Generika.

Inflation und Energiepreisschock

Ein Problem benennt Thomas Weigold, Deutschlandchef beim Pharmaunternehmen Sandoz. Er ist Mitglied im Vorstand des Branchenverbands Pro Generika. Die Preise für viele Medikamente seien auf niedrigem Niveau zementiert, Kostensteigerungen durch Inflation, Energiepreisschock und steigende Löhne könnten die Unternehmen nicht weitergeben: „Preiserhöhungen sind nicht vorgesehen.“ Als Beispiel nennt er das Mittel Tamoxifen. Drei der ursprünglich fünf Hersteller seien aus der Produktion ausgestiegen.

Sandoz decke nun etwa 85 Prozent des deutschen Bedarfs ab. Das Unternehmen war auf diese Situation nicht vorbereitet, gibt Weigold zu, musste die Produktion hochfahren, um die Versorgung sicherzustellen. Er mahnt, für Investition bräuchten die Unternehmen zumindest eine verlässliche Minimumauskömmlichkeit. „Zurzeit bekommt der billigste der billigsten Anbieter den Zuschlag.“ Rabattforderungen der Kostenträger drücken die Preise weiter.

„Selbst günstig in Asien hergestellte Wirkstoffe gehen manchmal in andere Länder statt nach Deutschland oder Europa, weil dort mehr gezahlt wird“, sagt auch Uwe May. Der Volkswirt und Gesundheitsökonom warnt: „Wir machen uns abhängig von Asien.“ Etwa 70 Prozent der Produktionsstätten für Arzneimittel oder deren Vorprodukte befinden sich in China oder Indien. „Der Markt der Wirkstoffproduktion ist global unheimlich konzentriert.“

Man müsse die Preise auf ein volkswirtschaftlich vernünftiges Niveau bringen und Anreize schaffen für Unternehmen, mit ihrer Produktion wieder nach Europa zurückzukehren, so May. Das erfordere langfristige Investitionen – schnell lasse sich das Problem nicht lösen. Immerhin: „Die Gefahr ist nun erkannt, wir haben jetzt die Chance, etwas zu verändern.“

Gute Rahmenbedingungen

Dem Geschäftsführer bei Bristol Myers Squibb (BMS) in Deutschland, Neil Archer, geht das noch nicht weit genug: „Der medizinische Fortschritt, den wir gerade erleben, ist enorm.“ Man habe in den vergangenen Jahren für Menschen mit schweren Erkrankungen viel erreichen können. Arzneimittel zur Behandlung von Herzkreislauf-Erkrankungen, von chronisch-entzündlichen Krankheiten, HIV und Hepatitis C und natürlich die CAR-T-Zelltherapien bei Krebs gehörten dazu.

Archer treibt deshalb die Sorge: „Nur wenn wir weiter konsequent in Spitzenforschung investieren, werden wir den Fortschritt fortschreiben können.“ Forschung benötige gute Rahmenbedingungen. „Es braucht ein Klima, in dem Ausgaben für Gesundheit nicht als Problem, sondern als Investition in die Zukunft gesehen werden.“

Im Mittelpunkt der Kritik von Unternehmen wie BMS steht ein Gesetz, das Finanzreformen in allen Bereichen der gesetzlichen Krankenversicherung regelt. Archer dazu: „Das im vergangenen Herbst verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz hat einen ausgesprochen innovationsfeindlichen Charakter. Es entwertet Schrittinnovationen und Kombinationstherapien mit preislichen Abschlägen.“ Dabei stehen gerade sie für eine kontinuierliche Verbesserung und Vielfalt in der Arzneimittelversorgung, besonders in der Krebstherapie.

Die Pharmaindustrie leiste schon heute „mit über 20 Milliarden Euro im Jahr einen hohen Sparbeitrag“ und trage damit zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenkassen bei, meint Archer. „Letztlich ist dies das Geld, was in der Forschung fehlt.“ Derartige Gesetze bremsten den Fortschritt aus und würden die Versorgung in Deutschland mit innovativen Arzneimitteln verschlechtern. Und es gebe noch eine zusätzliche Entwicklung, sagt BMS-Chef Archer:

Schwere Krankheiten

„Vor wenigen Jahren noch Vize-Weltmeister bei der Durchführung klinischer Studien, ist Deutschland auf Platz sechs abgerutscht.“ Weniger klinische Studien aber heiße, dass Menschen mit schweren Krankheiten erst später an neue Therapien kommen. Eine lebendige Studienlandschaft sei jedoch der „Gradmesser für die Qualität eines Wissenschaftsstandortes“.

Für Han Steutel ist das die einzig mögliche Chance, auf die massiven Herausforderungen am Standort Deutschland zu reagieren: „Auf Innovationen, Forschung, Entwicklung und auf das Wissen setzen.“ Es gebe hierzulande nicht viele Branchen, in denen die Voraussetzungen für ein wissensgetriebenes Wachstum so gut sei: „Der Pharmaindustrie kommt dabei die Rolle einer Schlüsselindustrie zu.“

Wachstumstreiber am deutschen Pharmamarkt ist dabei laut VFA die Biotechnologie, wie schon die Entwicklung der Corona-Vakzine zeigte. 59 Prozent aller neu zugelassenen Medikamente im vergangenen Jahr waren laut einer neuen Studie Biopharmazeutika (2021: 46 Prozent). Insgesamt stieg ihr Marktanteil am Gesamtmarkt auf 32,9 Prozent (31,4 Prozent). Der Umsatz mit Medikamenten aus gentechnischer Herstellung betrug 2022 17,8 Milliarden Euro (16,1 Milliarden Euro).

Auch die Zahl der Beschäftigten wuchs demnach um 8,7 Prozent auf rund 50.000 im Vergleich zu 2021. Die Studie Biotech-Report kompakt „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2023“ wurde im Auftrag des Verbandes von der Strategieberatung Boston Consulting Group erstellt. Matthias Meergans, Geschäftsführer Forschung und Entwicklung des VFA, erläutert:

Innovative Wirkstoffe

„Die ‚biopharmazeutische Pipeline’ hat sich seit 2005 weit mehr als verdoppelt. Von 256 klinischen Entwicklungskandidaten im Jahr 2005 stieg sie auf 672 Ende vergangenen Jahres und erreichte damit das Niveau von 2021 mit 669.“ Viele neue innovative Wirkstoffe seien aus der Forschung in die Phase der klinischen Entwicklung gebracht worden. „Diese Stabilisierung steht für bislang sehr hohe und kontinuierliche Investitionen in die Biopharmazeutika.“

Darauf setzen auch Unternehmen wie BMS. „Moderne Arzneimittel haben sehr lange Entwicklungszeiten. Deshalb braucht diese Industrie wie kaum eine andere einen verlässlichen Entscheidungsrahmen“, so Neil Archer. Noch sei Deutschland ein guter Standort für biopharmazeutische Forschung. Davon würden nicht nur Menschen profitieren, die frühzeitig mit neuen Therapien behandelt werden könnten. „Davon profitiert der Wirtschafts-, Wissenschafts-, und Innovationsstandort. Und damit das ganze Land.“

Zitat

Karl Lauterbach erhält Brandbrief: 71 Landräte kritisieren Krankenhausreform

Kritik aus Bayern an der Krankenhausreform: In einem Schreiben an den Bundesgesundheitsminister warnen 71 Landräte vor »irreparablen Schäden in der akutstationären Grundversorgung« und »willkürlichen Krankenhausschließungen«.

Karl Lauterbach erhält Brandbrief: 71 Landräte kritisieren Krankenhausreform

Karl Lauterbach erhält Brandbrief: 71 Landräte kritisieren Krankenhausreform© Jörg Carstensen / dpa

71 bayerische Landräte haben in einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach vor dramatischen Folgen infolge der geplanten Krankenhausreform gewarnt. »Die Lauterbachsche Ausgestaltung wird allerdings irreparable Schäden in der akutstationären Grund- und Regelversorgung in den ländlichen Regionen verursachen und zu willkürlichen Krankenhausschließungen führen«, heißt es in dem Schreiben von Thomas Karmasin, dem Präsidenten des Bayerischen Landkreistages.

Bund und Länder hatten sich auf die Grundzüge der Krankenhausreform geeinigt – nur Bayern hatte gegen die Reform gestimmt, während Schleswig-Holstein sich enthalten hatte. Unter anderem soll das Vergütungssystem mit Fallpauschalen geändert werden, um die Krankenhäuser vom finanziellen Druck zu entlasten, immer mehr Fälle zu behandeln. Sie sollen künftig einen großen Anteil der Vergütung schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen.

Rettungsdiensten werde Erfüllung ihres Auftrags erschwert

Die Reform könnte laut Kritikern zur Folge haben, dass schwierige Behandlungen in ländlichen Kreiskrankenhäusern nicht mehr möglich wären. Nach den Angaben von Karmasin würden Krankenhausärzte bereits 80 Prozent der Noteinsätze im ländlichen Raum übernehmen und somit in den Kliniken fehlen.

Sollte es zu Krankenhausschließungen kommen, würde das Netz der Zielkliniken auf unkoordinierte und drastische Weise ausgedünnt – und damit den Rettungsdiensten die Erfüllung ihres Auftrags erschwert, hieß es weiter in dem Schreiben. »Bei Herzinfarkten und Schlaganfällen zählt jedoch jede Minute«.

Die Notwendigkeit einer Reform des Gesundheitswesens sei allerdings richtig sowie notwendig und würde von keinem der Landräte bezweifelt, betonte Karmasin. Die Eckpunkte seien allerdings übereilt. Deshalb appellierte Karmasin im Namen der Landräte an den Bundesgesundheitsminister, die »Sorgen um die Versorgungssicherheit im ländlichen Raum bei der Ausgestaltung des Gesetzentwurfs zu berücksichtigen«.

Zitat

„So nicht, Karl!“ – so soll Lauterbachs Reform doch noch verhindert werden

Deutschlands Privatkliniken wollen die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform im Kern abändern – und warnen in ihrer Kampagne vor dramatischen Szenarien. Wo heute Kliniken schließen sollen, würden sie schon in wenigen Jahren dringend gebraucht.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) picture alliance/photothek/Thomas Trutschel

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) picture alliance/photothek/Thomas Trutschel© Bereitgestellt von WELT

Das Video ist dramatisch. Eine schwangere Frau mit schmerzendem Gesichtsausdruck wird in einem Krankenwagen in eine Klinik transportiert. Dazu der Kommentar aus dem Off: „Wenn die Krankenhausreform von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in ihrer aktuellen Fassung in Kraft tritt, dann müssen wichtige Krankenhäuser aus dem Land schließen.“

Für Patienten wie die Schwangere würde das längere Strecken zur nächsten Klinik bedeuten. Dabei würden „im Notfall schon Sekunden über Leben oder Tod entscheiden.“

Der kurze Zeichentrickfilm findet sich auf der Kampagnen-Website krankenhausretten.de, die der Bundesverband Deutscher Privatkliniken (BDPK) am Mittwoch der Öffentlichkeit vorstellen will. Die Website ist Teil einer umfassenden Kampagne, die der BDPK gegen Lauterbachs Reform startet.

Damit unternehmen die privaten Krankenhausträger einen neuerlichen Versuch, das Reformwerk in wesentlichen Punkten abzuändern. Zugleich erhöhen sie damit vor den kommenden Landtagswahlen in Hessen und Bayern den Druck auf den Bundesgesundheitsminister.

Die umfassende Krankenhausreform soll der große Wurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werden. Nachdem eine Expertenkommission unter Leitung des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) die Reform erarbeitet hatte, haben sich Bund und Länder nach zähen Verhandlungen vor wenigen Wochen auf die Eckpunkte geeinigt.

So sollen Kliniken etwa nicht mehr ausschließlich nach der Anzahl der behandelten Fälle vergütet werden, sondern auch Pauschalen zur Vorhaltung von Leistungen erhalten. Zudem sollen bestimmte Leistungen wie etwa die Behandlung bestimmter Krebsformen künftig nur noch von Krankenhäusern geleistet werden, die darauf mit Fachabteilungen spezialisiert sind. Derzeit wird der Gesetzesentwurf erarbeitet. Das Gesetz soll Anfang 2024 in Kraft treten.

Warnung vor planlosem Klinik-Kahlschlag

Lauterbachs Reform ist seit der ersten Präsentation im vergangenen Dezember von vielen Seiten teils vehement kritisiert worden. Vor allem private und konfessionelle Krankenhausträger warnen vor einem planlosen Kahlschlag von Kliniken und daraus folgenden Versorgungsengpässen, insbesondere im ländlichen Raum. Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) stellte sich immer wieder gegen das Reformwerk.

Dass der BDPK mit seinem neuerlichen Vorstoß ein breites Publikum abseits von Fachkreisen adressieren will, verdeutlicht dessen Kampagnen-Website. Dort finden sich Slogans wie „So nicht, Karl!“ oder „Nein zum ‚Karlschlag‘“, die auch gleich im Poster-Format heruntergeladen werden können.

Zudem können Benutzer über einen Button auf der Website eine vorgefertigte E-Mail mit Kritik an der Reform direkt an Bundestagsabgeordnete ihres Wahlkreises oder die Gesundheitsminister ihres Landes schicken.

Ein zentraler Kritikpunkt des BDPK an der Reform sind deren Auswirkungen auf die Patientenversorgung. „Die Reform führt zu einem Kahlschlag der Kliniklandschaft ohne jede Rücksicht auf die medizinischen Versorgungsbedürfnisse der Bevölkerung“, sagt BDPK-Hauptgeschäftsführer Thomas Bublitz gegenüber WELT.

Bublitz kritisiert, dass der medizinische Bedarf der Bevölkerung von der Expertenkommission des BMG gar nicht evaluiert worden sei. Während große Kliniken in Ballungsräumen gestärkt würden, würde die Versorgung im ländlichen Raum ausgedünnt.

„Der demografische Wandel ist in den Plänen gar nicht berücksichtigt. Wo heute Kliniken schließen sollen, werden wir diese in wenigen Jahren dringend brauchen. Zumal viele ländliche Regionen bereits jetzt einen akuten Mangel an niedergelassenen Ärzten haben“, so Bublitz.

Zudem warnt der BDPK vor längeren Wartezeiten für Patienten. „Ungeordnetes Krankenhaussterben würde das ohnehin schon überlastete Gesundheitssystem strapazieren und zu langen Wartezeiten für planbare Behandlungen und Operationen führen“, heißt es auf der Kampagnen-Website. Der Verband sieht zudem die Wahlfreiheit der Patienten eingeschränkt, da die Schließung von Kliniken diese in „das verbleibende Krankenhaus zwingen“ würden.

Ministerium spricht von „Existenzgarantie“ für kleine Kliniken

Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) widerspricht diesen Kritikpunkten. So verweist das Ministerium auf frühere Aussagen von Minister Lauterbach, wonach die Reform die kleinen Kliniken im ländlichen Raum, die für die bedarfsgerechte Versorgung notwendig sind, erhalten blieben. „Kleine Kliniken auf dem Land haben durch die Vorhaltepauschale eine Art Existenzgarantie“, so Lauterbach in einer früheren Stellungnahme.

Zudem teilt das BMG mit, dass die Wahlfreiheit der Patienten durch die Reform „nicht eingeschränkt, sondern verbessert“ würde. „Da das Bundesministerium für Gesundheit die Qualität der Häuser transparent machen wird, werden Patienten in Zukunft besser entscheiden können, welche Klinik in ihrem Fall überhaupt infrage kommt und welche sie am besten versorgt“, heißt es aus dem BMG.

Brisant könnte die Kampagne in den anlaufenden Wahlkämpfen in Hessen und Bayern auch deshalb werden, da möglicherweise auch andere Krankenhausträger aufspringen könnten. „Wir führen derzeit Gespräche mit konfessionellen Betreibern von Krankenhäusern, die sich unserer Kampagne eventuell anschließen werden“, sagt Bublitz. Sollte die Kampagne eine breitere Unterstützung erfahren, droht Lauterbach möglicherweise ein heißer Herbst in Sachen Krankenhausreform.

Zitat

Lauterbach-Gesetz: Pharmafirmen nehmen Arzneimittel in Deutschland vom Markt

Vier Fälle von Therapieeinschränkungen habe es bereits gegeben, seit das Gesetz die Erstattungsregeln im vergangenen Jahr verschärft habe oder dies zumindest absehbar war. Foto: dpadata-portal-copyright=

Vier Fälle von Therapieeinschränkungen habe es bereits gegeben, seit das Gesetz die Erstattungsregeln im vergangenen Jahr verschärft habe oder dies zumindest absehbar war. Foto: dpadata-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

In Deutschland sind innovative Medikamente gegen HIV oder Krebs nicht erhältlich. Als Grund nennt die Branche neue Preisregeln – mit ungewollten Folgen. 

Die Pharmabranche sieht erste Anzeichen dafür, dass das vor rund einem Jahr beschlossene Krankenkassen-Spargesetz der Versorgung mit innovativen Medikamenten schadet. Deutschland zählt zwar nach wie vor zu den Ländern mit der weltweit besten Versorgung mit Arzneimitteln. Patienten müssten aber mit „Therapieeinschränkungen leben, weil Arzneimittel aus dem Markt gehen oder gar nicht erst in Verkehr gebracht werden“, sagte der Vorsitzende des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA), Han Steutel, dem Handelsblatt.

Vier solcher Fälle habe es bereits gegeben, seit das Gesetz die Erstattungsregeln im vergangenen Jahr verschärft habe oder dies zumindest absehbar war. Dazu zählt das HIV-Medikament Lenacapavir, dessen Hersteller Gilead sich gegen eine Markteinführung in Deutschland entschied – genauso wie BMS mit seinem Hautkrebsmedikament Opdualag.

Das Unternehmen Janssen wiederum nahm das Medikament Amivantamab gegen Lungenkrebs hierzulande aus dem Sortiment. Erst vor wenigen Tagen entschied sich auch der deutsche Hersteller Boehringer Ingelheim, das Arzneimittel Spevigo gegen die seltene Hauterkrankung Psoriasis vom Markt zu nehmen.

Als Grund führen die Hersteller in vielen Fällen an, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) keinen oder keinen hohen Zusatznutzen eines Medikaments in der Behandlung feststellen kann. Ein hoher Zusatznutzen ist unter den neuen gesetzlichen Regeln aber vereinfacht gesagt die Voraussetzung dafür, dass Pharmaunternehmen einen höheren Preis für ein Medikament in der Erstattung verlangen können als für ein Vergleichspräparat. Ist dies nicht möglich, lohnt sich der Verkauf aus Sicht der Pharmafirmen in der Regel nicht.

Die Deutschlandchefin von Boehringer Ingelheim, Sabine Nikolaus, bemängelte zudem, dass die Anforderungen des GBA an Studien nicht mehr zeitgemäß seien, um einen Zusatznutzen nachzuweisen. Bei Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen wie Psoriasis mit wenigen Hundert Patienten könnten klinische Studien, die alle geforderten Parameter liefern, nur schwerlich erfüllt werden. Ausnahmen gelten für sogenannte Orphan Drugs, also Medikamente für seltene Erkrankungen. Als solches wurde die Boehringer-Ingelheim-Arznei aber nicht eingestuft.

„Das starre Nutzerbewertungssystem in Deutschland ist ein großes Problem, da es den Innovationsstandort in unserem Land sowie den Zugang von Patienten zu wichtigen Arzneimitteln gefährdet“, sagte Nikolaus dem Handelsblatt. Es brauche mehr Flexibilität im Verfahren. VFA-Chef Steutel wiederum forderte, dass „moderne Gen- und Zelltherapien besser in das Gesundheitswesen integriert“ werden müssten.

Keine weiteren Sparmaßnahmen in Sicht

Ähnlich äußerte sich der Roche-Deutschlandchef Hagen Pfundner. „Ich bin als Unternehmer zutiefst besorgt, dass die einstige ‚Apotheke der Welt‘ jetzt einer schleichenden Deindustrialisierung zum Opfer fällt“, sagte er. Die Politik werde „in zehn, zwanzig Jahren“ alles daransetzen, mit viel Geld solche Wirtschaftszweige wieder ins Land zurückzuholen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Heike Baehrens, nannte es gegenüber dem Handelsblatt „bedauerlich, wenn sich ein Unternehmen dafür entscheidet, aus dem Markt zu gehen“. Dies gehe zulasten der Patientenversorgung. Gleichzeitig verteidigte sie das derzeit geltende Verfahren, durch das ein „fairer Ausgleich zwischen Innovation und Bezahlbarkeit“ hergestellt werde. Es sei eine „nachhaltige Finanzierung“ der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nötig.

Der Bundestag hatte Ende Oktober 2022 Sparmaßnahmen für die GKV auf den Weg gebracht, um einem milliardenschweren Defizit entgegenzuwirken. Die Maßnahmen treffen neben der Pharmabranche unter anderem auch Krankenkassen, Versicherte und Ärzte. Ziel im Arzneimittelbereich war es, die hohen Medikamentenausgaben von 50 Milliarden Euro pro Jahr zu senken.

Hinweise auf weitere Einschnitte gibt es derzeit keine. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte mehrmals mit Blick auf das Defizit im kommenden Jahr betont, Pharmafirmen verschonen und einzig die Beitragszahler belasten zu wollen. Mit der jüngsten Gesetzgebung hat Lauterbach gar höhere Preise für Generika und bessere Forschungsbedingungen für Pharmaunternehmen auf den Weg gebracht.

Zitat

- Bundesrechnungshof fordert Lauterbach zur Kürzung der Arzthonorare auf

Sie wollten den Minister entführen: Mehrere Festnahmen in Umfeld mutmaßlicher Lauterbach-Verschwörer Foto: dpa/JOHN MACDOUGALL

Sie wollten den Minister entführen: Mehrere Festnahmen in Umfeld mutmaßlicher Lauterbach-Verschwörer Foto: dpa/JOHN MACDOUGALL© Foto: dpa/JOHN MACDOUGALL

Der Bundesrechnungshof hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) aufgefordert, die zur Senkung der Wartezeiten Mitte 2019 eingeführten Zuschläge für Ärzte wieder komplett zu streichen.

In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags, der dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vorliegt, heißt es, nicht nur die sogenannte Neupatientenregelung, sondern alle zusätzlichen Vergütungen, die zur Senkung der Termin-Wartezeiten unter Lauterbach-Vorgänger Jens Spahn (CDU) eingeführt wurden, sollten abgeschafft werden.

„Sie führen zu hohen Mehrausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung, ohne dass sie bislang die Versorgung der Versicherten nachweislich verbessern“, heißt es in dem Bericht. Allein bis Ende 2021 hätten die Kassen über eine Milliarde Euro mehr an die Ärzte gezahlt. Der Rechnungshof habe „keinerlei Nachweise“ dafür gefunden, dass zum Beispiel die zusätzliche Vergütung von „offenen“ Sprechstunden ohne Terminvereinbarung zu geringeren Wartezeiten geführt habe. „Der Bundesrechnungshof hält es für verfehlt und unwirtschaftlich, die Erfüllung ohnehin bestehender gesetzlicher und vertraglicher Verpflichtungen mit GKV-Mitteln in Milliardenhöhe zu vergüten“, so der BRH weiter.

Der Rechnungshof forderte Lauterbach zudem auf, die Pläne für die generelle Aufhebung der Budgets für Hausärzte fallen zu lassen. Es bestünden Zweifel, ob sich durch die jährlichen Mehrausgaben in dreistelliger Millionenhöhe die Versorgungsqualität signifikant erhöhe. Allenfalls sollte sich die Budgetaufhebung auf unterversorgte Regionen beschränkt werden, mahnten die Rechnungsprüfer.

Zitat

Gesundheitsexperten: „Karl Lauterbach macht sein eigenes Ding und irgendwer muss die Folgen ausbügeln“

Hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch den Durchblick?

Hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach noch den Durchblick?© Andreas Arnold/dpa

Die Folgen der Corona-Pandemie, Arzneimittel-Engpässe, Kliniksterben, niedergelassene Ärzte in Not – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat viele Baustellen. Als Nächstes steht sein Gesetz zur Digitalisierung zur Abstimmung. Ist er seiner Aufgabe gewachsen? Nein, sagen Kathrin Vogler und Ates Gürpinar, die Gesundheitsexperten der Linken im Bundestag. Der 60-Jährige sei ein Ankündigungsminister, der nicht halte, was er verspreche. Ein Gespräch über Karl Lauterbachs Politikstil.

Frau Vogler, Herr Gürpinar, Karl Lauterbach hat bei seinem Amtsantritt versprochen, etwas gegen den wirtschaftlichen Druck in der Medizin zu tun. Hält er Wort?

Kathrin Vogler: Definitiv nein. Karl Lauterbach ist ja in erster Linie Gesundheitsökonom. Auch wenn er stets betont, dass er Arzt ist, hat er einen stark ökonomisierten Blick auf das Gesundheitswesen. Alle seine groß angekündigten Reformen, sei es die Krankenhausreform, die Digitalisierung oder andere Vorhaben, kranken daran, dass dafür keine Steuergelder ausgegeben werden dürfen. Die gesetzlichen Krankenkassen können sich ohnehin schon kaum über Wasser halten. Wir werden die zweite Beitragserhöhung in Folge haben.

Ates Gürpinar: Schein und Sein klaffen bei Karl Lauterbach maximal auseinander. Ihm geht es in erster Linie darum, sich selbst zu inszenieren.

Vogler: Er ist da, wenn es eine Kamera in der Nähe gibt. Ansonsten ist er nie da. Er arbeitet nicht im Team. Das ist meine Erfahrung, ich kennen ihn ja nun schon seit 2009.

Gürpinar: Zu Beginn der Pandemie wusste er, dass er mit dem Thema Corona bei der Bevölkerung gut ankommen würde. Er hat mit seiner Art und seinen Vorschlägen die Menschen angesprochen. Seit er selbst Minister ist, hat er so gut wie nichts von dem, was er zuvor gefordert hat, in die Wege geleitet.

Zum Beispiel?

Gürpinar: Bei Long Covid, Post-Covid zum Beispiel. Die Betroffenen haben sehr große Hoffnungen in Lauterbach gesetzt.

Vogler: Er verspricht 100 Millionen Euro für Forschung, daraus werden knappe 20.

Gürpinar: Im Kabinett kann er sich nicht durchsetzen. Finanzminister Christian Lindner hat seinen Etat drastisch zusammengestrichen. Wenn das Thema Gesundheit noch derart im Fokus stehen würde wie vor zwei Jahren, könnte sich Karl Lauterbach als Minister nicht mehr halten.

Vogler: Ich nenne ihn immer den Ankündigungsminister. Sobald es darum geht, Dinge umzusetzen, ist er weg. Im Gesundheitsausschuss müssen wir regelrecht betteln, dass wir den Minister mal zu Gesicht bekommen.

Verhält er sich generell so?

Vogler: Das höre ich unter anderem von Verbänden. Und sogar in der Ampelkoalition hat offenbar kaum jemand Zugang zu ihm.

Gürpinar: Es geht ihm um Selbstinszenierung. Die funktioniert leider so gut, dass in der Öffentlichkeit nicht durchsickert, was ihn tatsächlich antreibt.

Was treibt ihn denn an?

Gürpinar: Man muss sich nur anschauen, wie die Kommission zur Krankenhausreform besetzt wurde. Es war von vornherein klar, was dabei herauskommt. Boris Augurzky und Reinhard Busse sind zwei Gesundheitsökonomen, die seit Jahren Kliniken schließen wollen. Im Einklang mit Karl Lauterbach.

Welches Motiv hat Lauterbach aus Ihrer Sicht?

Gürpinar: Die Reform wird zu einer starken Privatisierung führen. Das passt im Übrigen zu den Posten, die Karl Lauterbach in der Vergangenheit hatte.

Vogler: Er war Aufsichtsrat beim privaten Krankenhauskonzern Rhönkliniken.

Gürpinar: Seine Biografie und die Menschen, auf die er hört, ergeben einen gemeinsamen Nenner für sein Handeln.

Lauterbach will den Einfluss der Fallpauschalen zurückdrängen, die Krankenhäuser wirtschaftlich unter Druck setzen. Oder etwa nicht?

Gürpinar: Das ist eine glatte Lüge. Er reduziert zwar die Zahl der direkten Fallpauschalen, die Krankenhäuser werden aber immer noch davon abhängig sein, wie viele Fälle sie haben. Bei den Vorhaltekosten zeichnet sich ab, dass sie von Behandlungsfällen abhängig sein werden. Es geht also für die Kliniken weiter darum, dass sie möglichst viele Fälle haben.

Vogler: Es ist sogar so, dass die Fallpauschalen über sogenannte Hybrid-DRGs auf den ambulanten Bereich ausgedehnt werden. Das ist ein typisches Beispiel dafür, dass Karl Lauterbach genau das Gegenteil von dem macht, was er verspricht.

Gürpinar: Hinzu kommt, dass eine solche Reform Geld kostet. Es sollen ja Kliniken schließen. Die Krankenhäuser, die deren Aufgaben übernehmen, müssen ausgebaut werden. Das gilt auch für den Transport von Patienten und andere Infrastruktur. Dafür ist im Haushalt aber kein Geld eingestellt. Deshalb wird es in den kommenden zwei Jahren ein kaltes Krankenhaussterben geben. Schon jetzt sind viele Träger finanziell am Ende. Kliniken melden Insolvenz an.

Wer profitiert von dieser Entwicklung?

Gürpinar: Wenn jemand etwas davon hat, dann wohl die privaten Träger. Sie können am ehesten finanziell durchhalten. Ihr Einfluss steigt. Im stationären, aber auch immer mehr im ambulanten Bereich.

Was bedeutet das für die Patienten und das medizinische Personal?

Vogler: Es wird immer so getan, als gäbe es zu wenig Geld, um in Technik, Gebäude und Personal zu investieren. Das Geld befindet sich aber lediglich in den falschen Händen. Nämlich von Finanzinvestoren, die nach attraktiven Anlagemöglichkeiten suchen und jetzt auch in den Bereich der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte vordringen. Seit Jahrzehnten wird das ideologisch begleitet, beispielsweise von der Bertelsmann-Stiftung. Die entwickelt für das Gesundheitswesen immer wieder Konzepte für solche attraktiven Geschäftsmodelle. Leider erliegen zu viele Politiker den Einflüsterungen und halten sie für eine gute Idee.

Aber sind Bund, Länder und Kommunen nicht finanziell klamm?

Vogler: Man spart den öffentlichen Bereich systematisch klein, sodass er nicht mehr investieren kann. Dadurch steigt der Druck, die soziale Infrastruktur für private Investoren zu öffnen, um die nötigen Investitionen leisten zu können. Das müssen die Beitragszahlerinnen und Beitragszahler der Krankenkasse finanzieren. Ein Teil ihres Geldes fließt Aktionären zu. Allein bei den Krankenhäusern sind das pro Jahr rund zwei Milliarden Euro.

Stichwort Beitragszahler der Krankenkassen: Kritiker der von Lauterbach geplanten Digitalisierung sagen, der Minister überlasse den Versicherungen die Macht über die Patientendaten. Stimmt das?

Vogler: Es ist ein riesiges Problem, wenn die Versicherten nicht mehr entscheiden können, wer ihre Daten bekommt und was aus ihrer Krankengeschichte gemacht wird. Es gibt immer wieder Vorstöße im politischen Raum und von Lobbyverbänden, Beitrage zur Krankenversicherung danach zu staffeln, ob Versicherte ein bestimmtes Risikoverhalten an den Tag legen. Wenn solche Rückschlüsse aus Patientendaten gezogen werden, würde das Prinzip der Solidarität und der Beiträge nach Höhe des Einkommens unterlaufen.

Künstliche Intelligenz entscheidet dann, wie viel ich für die Krankenversicherung bezahle?

Vogler: Das wäre ein mögliches Szenario. Deshalb beurteilen viele Ärztinnen und Ärzte das von Karl Lauterbach vorgelegte Konzept der Digitalisierung zurückhaltend.

Weil Algorithmen und nicht Ärzte entscheiden?

Gürpinar: Die Hoheit über die eigenen Daten muss bei den Patientinnen und Patienten liegen, die Entscheidung über die Therapie bei den Ärztinnen und Ärzten und nicht bei einer Krankenversicherung. Ich sehe außerdem die Gefahr, dass große Datensätze in die Hände der Pharmaindustrie gelangen.

Ist es nicht gut für Patienten, wenn die Industrie dank vieler Daten neue Medikamente entwickelt?

Vogler: Ja und nein. Nicht alles, was die forschende Pharmaindustrie macht, liegt im Interesse der Patientinnen und Patienten. Das Forschungsinteresse richtet sich danach, womit das meiste Geld zu verdienen ist. Das ist angesichts der Marktbedingungen nachvollziehbar. Ich sehe aber das Problem, dass die Pharmaindustrie das Verschreibungsverhalten von Ärztinnen und Ärzten steuern kann. Sie kontrolliert es ja jetzt schon in gewissem Umfang über die Daten der Apotheken.

Mit den Apotheken liegt Lauterbach über Kreuz, unter anderem wegen der seit Jahren eingefrorenen Honorare. Das Apothekennetz schrumpft. Warum reagiert der Minister darauf nicht?

Vogler: Lauterbach ist ein großer Freund der Online-Apotheken, der Online-Versandhändler. Aus welchen Motiven heraus auch immer. Langfristig ist das ein fataler Irrweg.

Warum?

Vogler: Ein Beispiel: Die Erkältungssaison hat begonnen. Wenn ich am Wochenende in meinem ländlichen Kreis Steinfurt ein fieberndes Kleinkind, aber keine Medikamente zu Hause habe, kann mich kein Versandhandel zeitnah mit der nötigen Arznei versorgen. Dann brauche ich in vertretbarer Nähe einen Apothekennotdienst. Wenn wir die Versorgung nach dem Amazon-Prinzip ausrichten, wird das Menschenleben kosten. Außerdem ist es sinnvoll, sich in einer Apotheke am Ort zu versorgen, weil es sehr gute lokale Netzwerke mit Praxen gibt und die vorherrschenden Engpässe viel besser gemanagt werden können.

Apropos Engpässe: Wenn noch mal eine gesundheitliche Krise wie die Corona-Pandemie kommt, fängt Deutschland dann wieder bei null an?

Vogler: Ja.

Ja?

Vogler: Im Haushaltsplan 2024 ist die nationale Pandemie-Reserve, die unter der letzten Bundesregierung beschlossen wurde, mit null Euro angesetzt. Das heißt: Die wenigen Lehren, die aus der Pandemie gezogen worden sind, werden sträflich vernachlässigt. Wo ist jetzt der große Corona-Mahner Karl Lauterbach?

Was sollte er tun?

Vogler: Die Kurzsichtigkeit dieser Politik kann man gar nicht oft genug kritisieren. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Die Millionen gelagerten FFP2-Masken werden vernichtet, statt in jeden Bahnhof eine Kiste davon hinzustellen, damit sich die Menschen dort bedienen können. Die schützen ja auch vor Influenza, RSV oder einer einfachen Erkältung. Schulen, sofern sie Luftfilter haben, werden nicht dazu angehalten, diese zu benutzen, was angesichts der gerade angesprochenen Engpässe bei Arznei eine gute Idee wäre. Und was Corona betrifft: Es wird nicht mehr getestet, die Erkenntnisse aus den Abwasseruntersuchungen werden nicht beachtet. Die Kommunikation, die schon während der Pandemie eine Katastrophe war, ist unter Lauterbach nicht mehr existent.

Aber er ist doch in den Medien sehr präsent?

Vogler: Wie gesagt: Karl Lauterbach macht sein eigenes Ding und irgendwer muss die Folgen dann ausbügeln.

Zitat

Krankenversicherungen erhöhen Beiträge: Hier bleiben die Preise weiter stabil

Krankenversicherungen erhöhen Beiträge: Hier bleiben die Preise weiter stabil

Krankenversicherungen erhöhen Beiträge: Hier bleiben die Preise weiter stabil© Getty Images

Alljährlich passen die Krankenkassen in Deutschland ihre Beiträge an. Versicherte müssen auch 2024 mit höheren Kosten rechnen. Ein Anbieter jedoch will den Zusatzbeitrag stabil halten.

Dem allgemeinen Trend zum Trotz hat die Techniker Krankenkasse angekündigt, den Zusatzbeitrag stabil zu halten und so keine Erhöhung der Versicherungsbeiträge anzustreben. Jens Baas, der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, erklärte der "Rheinischen Post": "Wir empfehlen unserer Selbstverwaltung, dass der Zusatzbeitrag der Techniker Krankenkasse bei 1,2 Prozent stabil bleibt". Damit würde die TK laut dem Krankenkassen-Chef auch weiterhin deutlich unter dem Durchschnitt liegen. Eine finale Entscheidung soll aber erst im Dezember getroffen werden.

So wird der Zusatzbeitrag der Krankenkassen festgelegt

Die BeiträgeTechniker Krankenkasse sind 2024 deutlich unter dem Durchschnitt

Die BeiträgeTechniker Krankenkasse sind 2024 deutlich unter dem Durchschnitt© Bild: Techniker Krankenkasse

Der Bund legt den Orientierungswert für den Zusatzbeitrag fest, der 2024 um 0,1 Prozentpunkte auf 1,7 Prozent ansteigen wird. In Deutschland sind 58 Millionen Mitglieder in den Krankenkassen registriert, dazu kommen 16 Millionen beitragsfrei Mitversicherte. Die genaue Höhe der zu zahlenden Beiträge wird von den Krankenkassen individuell festgelegt und kann somit vom Durchschnitt abweichen. Die Gesamtsumme für beitragspflichtige Mitglieder setzt sich aus diesem Wert und dem allgemeinen Satz zusammen, welcher 14,6 Prozent des Bruttolohns beträgt und von Arbeitgebern sowie Arbeitnehmern jeweils zur Hälfte getragen wird.

Zitat

Gesundheit: Wo sollen die 50 Milliarden Euro für Lauterbachs Klinikreform herkommen?

Pressestatement des Bundesgesundheitsministers zum Fortgang der Krankenhausreform und der Cannabis R data-portal-copyright=© Bereitgestellt von Handelsblatt

Der Minister will mit einem Fonds den Umbau der Krankenhauslandschaft finanzieren. In den Sparzwängen des Bundes sieht er kein Hindernis. Zahlen sollen andere.

Es sind gewaltige Summen, die Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für den Umbau der maroden Kliniklandschaft mobilisieren will: 50 Milliarden Euro sollen über einen sogenannten Transformationsfonds in Krankenhäuser fließen. Die Kosten – so will es zumindest der Minister – teilen sich Bund und Länder.

Dies sagte Lauterbach am Mittwochabend nach schwierigen Verhandlungen mit den Bundesländern über das Transparenzgesetz – einen Klinikatlas und ersten, wichtigen Schritt der Krankenhausreform.

Das Erstaunen über die Größenordnung war gewaltig, schließlich streitet der Bund wegen Sparzwängen durch die schwierige Haushaltslage um jede Ausgabe. Lauterbach will dennoch Milliarden lockermachen. Nur wie?

Wegen der leeren Haushaltskassen dürfte zumindest der Bundesanteil von 25 Milliarden Euro vollständig aus Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) finanziert werden. Weil der Fonds ab 2025 für zehn Jahre Geld ausschütten soll, wären das 2,5 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr.

Im Kassenlager herrscht deswegen Alarmstimmung, schließlich ist die finanzielle Lage der GKV nicht besser als die des Bundes. Im vergangenen Jahr rutschten die Kassen mit einem Defizit von knapp zwei Milliarden Euro ins Minus. Das Handelsblatt berichtete. Zur Stabilisierung hob Lauterbach den Zusatzbeitrag für dieses Jahr auf ein neues Rekordhoch an. Die Sorge: Die Rechnung für Lauterbachs Krankenhausreform zahlt am Ende wieder der Versicherte.

VorherigeSeite 2 von 2