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News aus der EU

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Ein Jahr EU-Kommissionschefin  

Die Wiederholungstäterin

Ursula von der Leyen ist seit einem Jahr Präsidentin der EU-Kommission – und begeht in Brüssel die gleichen Fehler wie vorher in Berlin. Die geringe Lernfähigkeit gefährdet nun sogar ihr wichtigstes Projekt. 

Als Ursula von der Leyen EU-Kommissionschefin wurde, hatte sie gerade erfolgreich einen Untersuchungsausschuss im Bundestag ausgesessen. Der hatte ihr nachgewiesen, dass sie als Chefin im Verteidigungsministerium von 2013 bis 2019 ein System der Vetternwirtschaft etabliert hatte, das die Steuerzahler laut Bundesrechnungshof einen dreistelligen Millionenbetrag kostete. Profiteur war vor allem McKinsey, das größte Beratungsunternehmen der Welt.

Nach knapp einem Jahr in ihrem neuen Amt zeichnet sich ab: Die CDU-Politikerin ist Wiederholungstäterin.

Am vergangenen Mittwoch kassierte von der Leyen eine scharfe Rüge, bezeichnenderweise von der Bürgerbeauftragten der EU. Emily O’Reilly kritisierte die Vergabe eines Auftrags der EU-Kommission an Blackrock, den größten Investmentfonds der Welt. Blackrock soll der Kommission Vorschläge machen, wie die europäischen Banken dazu gebracht werden können, stärker in nachhaltige Energien statt in Kohle, Gas und Öl zu investieren. Die neuen Regeln sind zentraler Bestandteil des "Green Deal", von der Leyens eine Billion Euro schweren Investitionsprogramms gegen die Erderwärmung – und ihr Prestigeprojekt.

"Bock zum Gärtner gemacht"

O'Reilly bemängelte, dass die Kommission bei der Auftragsvergabe mögliche Interessenskonflikte bei Blackrock nicht genau geprüft hat. Und auch die Nichtregierungsorganisation "Change Finance" klagte in einem offenen Brief an von der Leyen, dass hier "der Bock zum Gärtner gemacht wird".

Tatsächlich ist Blackrock größter Anteilseigner an vielen europäischen Großbanken, darunter Deutsche Bank, Société Générale, Unicredit, ING. Zugleich gehört das Unternehmen zu den weltweit größten Investoren in fossile Energien, wie der britische "Guardian" recherchiert hat. Dort ist auch zu lesen, dass Blackrock bislang gar kein Interesse an einer Abkehr von Kohle und Öl zeigt.

Ausverkauf der demokratischen Kontrolle über die Wirtschaft

Es ist absurd, dass dieser Konzern jetzt wesentlichen Einfluss darauf hat, wie seinen eigenen Banken die Lust am Fossilen auszutreiben ist. Von der Leyen betreibt den Ausverkauf der demokratischen Kontrolle über die Wirtschaft, wenn sie an dem Auftrag für Blackrock festhält. Und es entlarvt ihren "Green Deal" als Propaganda-Coup, der vor allem privatwirtschaftlichen Interessen dient – und das im wichtigsten Politikfeld der kommenden Jahrzehnte.

 

Schon ins Verteidigungsministerium startete von der Leyen mit dem großen Versprechen, die Bundeswehr "attraktiver" und familienfreundlicher zu machen, um das Personalproblem der Truppe zu lösen. Umsetzen sollte das ihre Staatssekretärin Katrin Suder, die von der Leyen von einem hohen Posten bei McKinsey abwarb. Es folgte die Millionensause für Suders Beraterfreunde, es blieb das Personalproblem. Immerhin: Von der Leyens Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer beendete das Berater-Unwesen im Ministerium.

Von der Leyen muss den Auftrag an Blackrock zurückziehen

In der Blackrock-Affäre sollte von der Leyen nun selbst einen Schlussstrich ziehen. Sie muss zeigen, dass sie aus dem Debakel im Verteidigungsministerium gelernt hat, denn das Schadenspotenzial ist diesmal größer.

Hier geht es nicht um ein paar mehr versenkte Euro in einem ohnehin notorisch löchrigen Ministerium. Es geht darum, ob sich 448 Millionen EU-Bürger fragen müssen, wessen Interessen ihre oberste Behördenchefin eigentlich vertritt.

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Jagt die Alte endlich zum Teufel!

Die hätte den Posten niemals bekommen dürfen. Schluss mit den Quotenfrauen!!!

Beim angerichteten Schaden sind diese immerhin spitzenklasse!!!

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Blockade des Wiederaufbaupakets  

EU will Corona-Hilfen ohne Polen und Ungarn verabschieden

Die EU-Finanzhilfen gegen die Corona-Krise sind an Bedingungen geknüpft: Geld bekommt nur, wer sich an Rechtsstaatsprinzipien hält. Polen und Ungarn blockieren das Paket deshalb. Und könnten nun leer ausgehen.

Die EU erwägt bei einer weiteren Blockade von Ungarn und Polen gegen das EU-Finanzpaket einen Weg ohne die beiden osteuropäischen Länder. "Wir brauchen eine Zustimmung von Ungarn und Polen heute oder spätestens morgen", sagte ein EU-Diplomat am Montag der Nachrichtenagentur Reuters. "Ansonsten werden wir zu Szenario B wechseln müssen." Dabei wollen die anderen 25 EU-Staaten das 750 Milliarden schwere Corona-Wiederaufbaupaket als intergouvernementalen Vertrag organisieren.

Polen und Ungarn, die zu den größten Profiteuren von Zahlungen aus dem EU-Haushalt gehören, gingen dann leer aus und könnten eine Entscheidung nicht mehr blockieren. Vertreter beider Länder erklärten am Montag, sie blieben bei ihrem Veto.

Blockade schadet Polen und Ungarn enorm

Auslöser des Streits ist die Weigerung der beiden nationalkonservativen Regierungen, das insgesamt 1,8 Billionen schwere Finanzpaket aus Corona-Fonds und EU-Haushalt bis 2027 mit Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit zu verbinden. Der ungarische Außenminister Peter Szijjarto erklärte nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen in Brüssel, dass das Bündnis der beiden Länder in dieser Frage Bestand habe. "Wir werden Bemühungen, diese Kooperation zu beenden, nicht nachgeben", sagte Szijjarto in einem Video auf Facebook. Polens Vize-Außenminister Pawel Jablonski betonte im polnischen Rundfunk, sein Land bleibe ebenfalls bei seiner Position.

Polen und Ungarn können mit ihrem Veto das Inkrafttreten des normalen EU-Haushalts ab 2021 blockieren. Dann würde die EU mit einem Notfallbudget weiterarbeiten, könnte aber keine neuen Projekte mehr beschließen. Auch dies würde Polen und Ungarn als Nehmerländer besonders schaden.

 

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 EU stellt Polen und Ungarn Ultimatum: Streit über Haushalt und Rechtsstaat

 

Polen und Ungarn sollen sich entscheiden: Lassen sie ihr Veto gegen den Haushalt nicht sofort fallen, legen die anderen 25 EU-Staaten das Corona-Wiederaufbaupaket ohne sie auf. Doch die beiden Ost-Länder bleiben stur.

Im Streit um den EU-Haushalt und den Schutz des Rechtsstaats zeichnet sich keine Lösung ab, im Gegenteil: Drei Tage vor dem entscheidenden Treffen der Staats- und Regierungschefs verschärft sich der Ton gegenüber Ungarn und Polen. Die anderen 25 EU-Staaten stellen den beiden Ländern jetzt ein Ultimatum: Entweder, sie lassen ihr Veto gegen den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU fallen, oder die anderen 25 Länder werden das Corona-Wiederaufbaupaket aus dem Budget herauslösen und unter sich neu auflegen.

»Wir brauchen heute oder spätestens morgen eine Vereinbarung oder klare Signale von Ungarn und Polen«, sagte ein hochrangiger EU-Diplomat am Montag. Geschehe das nicht, »werden wir zu Szenario B übergehen«. Das bedeute, dass die anderen EU-Länder das Corona-Paket entweder mithilfe des Instruments der verstärkten Zusammenarbeit oder aber im Rahmen einer multilateralen Vereinbarung neu auflegen. Polen und Ungarn würden dann leer ausgehen.

Beim Gipfel am Donnerstag und Freitag wurde zunächst mit dem Showdown gerechnet. Nun aber soll das Thema nach dem Willen der EU-Führung dort gar nicht mehr groß diskutiert werden. Polen und Ungarn müssten schon vorher einlenken, sagte der Diplomat. Geschehe das nicht, müsse man eben Vorbereitungen treffen, »die in eine andere Richtung gehen«.

»Nukleare Option« wird EU-Politik

Warschau und Budapest blockieren derzeit mit ihrem Veto den nächsten Sieben-Jahres-Haushalt und damit auch das Corona-Wiederaufbaupaket der EU. Sie wollen die restliche EU so dazu zwingen, den geplanten Rechtsstaatsmechanismus fallenzulassen. Er soll es ab 2021 ermöglichen, Verstöße gegen rechtsstaatliche Standards mit der Kürzung von EU-Geldern zu ahnden.

Die Idee, im Gegenzug das Corona-Paket aus dem Gesamthaushalt herauszulösen und ohne Polen und Ungarn neu aufzulegen, war zunächst von Hardlinern als letzte Möglichkeit vorgeschlagen worden, Warschau und Budapest zum Einlenken zu zwingen. Dass dieses auch als »nukleare Option« bezeichnete Szenario nun zur offiziellen Linie der EU wird, markiert nicht nur eine deutliche Eskalation des Streits. Es zeigt auch, dass man in Brüssel die Geduld mit Ungarn und Polen verliert. Nachdem die nationalkonservativen Regierungen beider Länder in den vergangenen Jahren systematisch kritische Medien ausgeschaltet, die Unabhängigkeit der Justiz untergraben und Minderheiten sowie kritische Organisationen schikaniert haben, ist die EU zu weiteren Kompromissen offenbar nicht mehr bereit – sondern dazu, die Sache auszufechten.

Sollten die anderen 25 Länder Ernst machen und das 750 Milliarden Euro schwere Corona-Paket unter sich neu auflegen, würde Ungarn nicht nur sechs Milliarden und Polen rund 24 Milliarden Euro verlieren, die sie nach bisherigen Planungen aus dem Programm bekämen. Ihnen würde auch ihr Druckmittel aus der Hand genommen, das darin bestand, die anderen EU-Länder mit der Not der Corona-Krisenländer zu erpressen.

Zwar stünde dann immer noch das Veto Ungarns und Polens gegen den regulären Sieben-Jahres-Haushalt der EU im Raum, der mit 1074 Milliarden Euro noch umfangreicher ist als das Corona-Paket. Doch auch hier droht Brüssel mit harten Maßnahmen. Schon arbeitet die Kommission an einem Notbudget für 2021. In einem Gespräch mit den Fraktionschefs des EU-Parlaments hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich nach Angaben von Teilnehmern erklärt, dass ihre Behörde im nächsten Jahr 50 bis 75 Prozent der für Polen und Ungarn besonders wichtigen Strukturfördermittel zurückhalten könnte.

Polens Regierungschef spricht Machtwort

Budapest und Warschau aber zeigen sich bisher unbeeindruckt, zumindest rhetorisch. Beide Länder würden bei ihrem Veto gegen den Haushalt bleiben, sagte Ungarns Außenminister Peter Szijjarto am Montag nach einem Treffen mit seinem polnischen Amtskollegen. "Wir haben bekräftigt, dass wir uns gegenseitig bestehen", erklärte Szijjarto in einem auf Facebook verbreiteten Video. Versuchen, dieses Bündnis aufzubrechen, werde man "keinen Raum geben".

Einen solchen Bruch aber hatte kürzlich ausgerechnet Polens Vize-Ministerpräsident Jaroslaw Gowin signalisiert: Er hatte angedeutet, dass Polen sein Veto fallen lassen könne, wenn die EU den Rechtsstaatsmechanismus mit einer zusätzlichen Erklärung versehe, die sicherstelle, dass er nicht ungerechtfertigt gegen einzelne Länder zum Einsatz komme.

Das Lager um Justizminister Zbigniew Ziobro war anderer Meinung. Regierungschef Mateusz Morawiecki sah sich daraufhin genötigt, ein Machtwort zu sprechen: In der angespannten Verhandlungssituation dürfe Polen mit nur einer Stimme sprechen, sagte sein Berater Krzysztof Szczerski. "Es darf jetzt keine Vorschläge von irgendjemand anderem geben."

Auch in Budapest hält man wenig von der Idee der Zusatzerklärung. "Dass man irgendeine Erklärung hinzufügt, wie man auf eine Wandzeitung mit einer Reißzwecke irgendein kleines Memo anbringt – das wird nicht gehen", sagte Orbán einem ungarischen Radiosender. Zugleich übte er scharfe Kritik an Manfred Weber, dem Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament – zu der auch Orbáns Fidesz gehört.

Orbán wirf Weber »Eselei« vor - und bietet Fraktionsaustritt light an

Der CSU-Politiker Weber hatte gesagt, dass kein Land, das sich an Recht und Gesetz hält, Angst vor dem Rechtsstaatsmechanismus haben müsse – und sich notfalls an den Europäischen Gerichtshof wenden könnte. "Jeder erzählt irgendeine Eselei. Das gilt auch für Herrn Weber", sagte Orbán. "Die Ungarn sind zahlenmäßig vielleicht nicht so viele wie die Deutschen, aber wir sind nicht blöd, und wir sind nicht naiv."

Am Sonntag ging Orbán noch einen Schritt weiter und bot Weber eine Art Fraktionsaustritt light an. Die Mitgliedschaft der Fidesz in der EVP ist bereits seit einiger Zeit ausgesetzt; zuletzt gab es in der Fraktion im EU-Parlament Forderungen nach dem Rauswurf von Tamás Deutsch, dem Leiter der Fidesz-Delegation, weil er Weber in die Nähe von Nazi-Ideologie gerückt habe. In dem Brief an Weber, der dem SPIEGEL vorliegt, bietet Orbán nun eine "neue Form der Zusammenarbeit" an, ähnlich der Allianz zwischen der EVP und den Europäischen Demokraten (ED), die von 1999 bis 2009 bestand.

Was Orbán damit bezweckt, war zunächst unklar. Das EVP-ED-Bündnis war vor allem dazu gedacht, die britische Konservative Partei, die Teil der ED war, an die EVP zu binden. Der Austritt der Tories aus der Fraktion im Jahr 2009 war nach Meinung vieler in der EVP der erste Schritt zum Brexit. Will Orbán die EVP also mit dem Gespenst eines EU-Austritts Ungarns ängstigen? Vielleicht, sagt es ein EVP-Insider. Vielleicht wolle Orbán aber auch nur den Eindruck erwecken, Herr des Geschehens zu sein – und dass ein paar Tage lang alle über ihn sprechen.

 

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Brexit, Orban und der Europagipfel: Was ist schlimmer für die EU – Großbritanniens Abschied oder Ungarns Bleiben?

 

Was der Brexit wirklich bedeutet, wird sich erst in fünf bis zehn Jahren zeigen. Bis dahin wird auch die EU vielleicht schon ganz anders aussehen. Ein Gastbeitrag.

'Brexit bedeutet Brexit' - das Mantra der ehemaligen britischen Premierministerin Theresa May verdient einen Platz in den Philosophie-Lehrbüchern als bedeutungslosester Satz, der je das Wort 'bedeuten' enthielt. Aber machen wir uns nicht vor, dass wir - wenn wir endlich herausfinden, ob es ein minimales oder gar kein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU gibt - wüssten, was Brexit heißt.

Es wird sicher fünf Jahre dauern, wahrscheinlich sogar zehn, bis wir klar umreißen können, wie die neuen Beziehung zwischen den vorgelagerten Inseln und dem Kontinent aussehen. Bis dahin wird die EU vielleicht eine ganz andere Gemeinschaft als heute sein, und das Vereinigte Königreich wird vielleicht gar nicht mehr existieren.

In einem nächsten Referendum, das in den kommenden Jahren folgen dürfte, werden die Schotten entscheiden, ob sie die 300 Jahre alte Union mit England verlassen und der europäischen wieder beitreten wollen. Stimmen sie trotz der damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Unabhängigkeit, wird das Vereinigte Königreich faktisch aufhören zu existieren. Jeder britische Politiker, der will, dass die Schotten bei den Engländern bleiben, muss also - als Alternative zur Unabhängigkeit - möglichst bald ein anderes, föderales Modell der britische Union vorlegen. Es würden also entweder das Ende des Vereinigten Königreichs oder ein neues föderales Königreich Britannien zur Auswahl stehen.

Der Weg vom Referendum 2016 bis zu diesem harten Brexit ist übersät mit gebrochenen Versprechen - von Boris Johnsons Artikel im “Daily Telegraph” in dem fröhlich behauptete, dass "es weiterhin freien Handel und Zugang zum Binnenmarkt geben wird", bis zu dem Handelsminister Liam Fox, der sagte, das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union "sollte eines der einfachsten in der Geschichte der Menschheit sein".

Den “Brexiteers” gelang es in einem Meisterstück von kognitiver Dissonanz, zwei unvereinbare Gedanken gleichzeitig zu vertreten: dass einerseits "Europa" ein abscheuliches deutsch-französisches Komplott sei, um England in ein napoleonisches Imperium zu versenken, dass aber andererseits dieselben neuen Napoleons - auf Anweisung der deutschen Autoindustrie - verpflichtet wären, dem Vereinigten Königreich privilegierten, ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt zu gewähren, damit die Briten – wie Boris Johnson so gern sagt - ihren Kuchen haben und gleichzeitig essen können. Die Frage ist nun, ob sich eine Annäherungs- und eine Trennungsdynamik zwischen Großbritannien und der EU entwickeln wird.

Jede andere als die derzeitige populistische britische Regierung würde einen weicheren Brexit bevorzugen. Das könnte auch eine konservative Regierung sein, aber nur eine pragmatischere und kompetentere, etwa unter Führung von Rishi Sunak, dem derzeitigen Finanzminister. Und noch mehr würde das natürlich für eine Labour-Regierung - oder eine von der Labour-Partei geführte Koalitionsregierung - unter Keir Starmer gelten. Diese Aussicht wie auch die Logik des wirtschaftlichen Eigeninteresses legt nahe, dass Großbritannien nach dem Brexit allmählich, Sektor für Sektor, Thema für Thema, wieder näher an die EU heranrücken wird.

Andererseits gilt: Je härter der Brexit wird, desto mehr muss Großbritannien nach einem alternativen Geschäftsmodell suchen. Wie der Oxford-AstraZeneca Covid-Impfstoff zeigt, haben England und Wales auch allein noch Stärken: Finanzdienstleistungen, großartige Universitäten, Biotechnologie, Deepmind, alternative Energien, kreative Industrien.

Die Hoffnung, ohne die nervigen Briten sei die EU einiger, trügt

Die Wirtschaft würde nach einem Brexit kleiner sein als ohne ihn, aber mit der Zeit könnte sie ein neues, wettbewerbsfähiges Profil entwickeln. Das allein deutet schon auf Divergenzen hin. Überdies dürften das böse viele Blut und die gegenseitigen Beschuldigungen rund um einen "No-Deal'"-Brexit-Streit, wenn es dazu kommt, zunächst auch die Zusammenarbeit auch in Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik belasten und behindern.

Doch die Zukunft nach dem Brexit wird ebenso stark von den Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals abhängen. Die Menschen in Deutschland, Frankreich oder Italien sprechen nur noch selten über Brexit, und das nicht nur, weil sie die Schnauze voll haben. Sondern auch, weil die EU vor zwei weiteren enormen Krisen steht, die auf dem europäischen Gipfel in dieser Woche sicherlich diskutiert werden.

Die EU muss dringend ihr Haushaltsbudget und ihren Coronahilfsfonds - insgesamt nicht weniger als 1,8 Billionen Euro – verabschieden, denn sonst wird die Erholung nach der Krise schwierig. Zudem könnten die Nord-Süd-Spannungen innerhalb der Eurozone wieder akut werden. Doch vor der Verabschiedung muss das angedrohte Veto von Ungarn und Polens überwunden werden. Die beiden Länder hielten den Rest der EU als Geisel, um den vorgeschlagenen Rechtsstaatsmechanismus zu schwächen, der die Verteilung der Gelder an rechtsstaatliche Bedingungen knüpfen will.]

Es wurden inzwischen sogar Stimmen laut, die im Brexit eine Chance für die EU sehen, weil deren restliche Mitgliedstaaten dann – befreit von den nervigen Angelsachsen – weitere Integrationsschritte anpeilen können. Aber das ist eine Illusion. Es bedurfte in diesem Sommer eines fünftägigen Gipfel-Marathons, um sich gegen den heftigen Widerstand der "sparsamen Vier" (Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande) auf den Haushalt und den Coronarettungsfonds zu einigen, wobei der niederländische Premierminister Mark Rutte die Margaret Thatcher in Anzughosen gab.

Und das, was der ungarische Premierminister Viktor Orbán und der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki ihren EU-Partnern jetzt antun, lässt die ehemalige britische Premierministerin regelrecht wie einen Europa-Fan aussehen. Ja, sie hat “Ich will mein Geld zurück" gerufen, aber immerhin war Großbritannien ein bedeutender Nettozahler für den europäischen Haushalt. Und nachdem Thatcher ihren Rabatt erhalten hatte, hat sie ein zentrales Projekt der europäischen Integration energisch vorangetrieben: den Binnenmarkt, dessen "level playing field' – eine sehr britische Metapher für "gleiche Wettbewerbsbedingungen" – die EU nun von Großbritannien einfordert.

Ungarn und Polen sagen: Geben Sie uns Ihr Geld, wir machen damit, was wir wollen!

Ungarn und Polen dagegen sind große Nettoempfänger (Ungarn beispielsweise könnte aus dem EU-Haushalt und dem Konjunkturfonds Summen erhalten, die zusammen mehr als sechs Prozent seines BIP ausmachen). Dennoch weigern sich die beiden Länger, einige recht minimale rechtsstaatliche Bedingungen zu akzeptieren, ohne die die EU allmählich aufhören wird, eine Gemeinschaft von Demokratien und eine gemeinsame Rechtsordnung zu sein.

Vielmehr sagen die ungarische und die polnische Führung den deutschen und niederländischen Steuerzahlern: “Wir werden nicht zulassen, dass Sie die dringend benötigten Geldtransfers an Länder der südlichen Eurozone wie Italien und Spanien vornehmen, die beide von Covid hart getroffen wurden, es sei denn, Sie gestatten uns, große Mengen Ihres Geldes ohne nennenswerte Einschränkungen weiter zu verwenden.” Und in Ungarn bedeutet das, dass EU-Gelder verteilt werden, um Orbáns zunehmend undemokratisches Regime zu stützen, ganz zu schweigen von seiner Familie und seinen Freunden.

Derzeit scheint diese schamlose Erpressungstour erfolgversprechend zu sein, da die deutsche EU-Präsidentschaft offenbar bereit ist, den Rechtsstaatsmechanismus weiter abzuschwächen. Dann können die populistischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen Regierungsparteien in Ungarn und Polen auch weiter tun, was ihnen gefällt, dafür von den deutschen und niederländischen Steuerzahlern großzügig bezahlt werden - und obendrein die Hand beißen, die sie füttert.

Also Vorspulen zu Hungexit oder Polexit? Nichts von beidem. Warum sollten die zwei Länder so dumm sein? Johnson kann von seinem Kuchen reden, den er haben und essen will - Orbán macht es aber, anstatt nur davon zu reden. Nein, die unmittelbare Bedrohung für die EU besteht nicht darin, dass Ungarn und Polen Großbritannien vor die Tür folgen, sondern dass sie Vollmitglieder des Clubs bleiben - Hungstay und Polremain sozusagen - und dabei weiterhin gegen dessen wichtigste Regeln verstoßen. Es ist schwer zu sagen, was jetzt die größere Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union ist: ein demokratisches Großbritannien, das ausgetreten ist, oder ein undemokratisches Ungarn, das bleibt.

 

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Brexit, Orban und der Europagipfel: Was ist schlimmer für die EU – Großbritanniens Abschied oder Ungarns Bleiben?

 

Was der Brexit wirklich bedeutet, wird sich erst in fünf bis zehn Jahren zeigen. Bis dahin wird auch die EU vielleicht schon ganz anders aussehen. Ein Gastbeitrag.

'Brexit bedeutet Brexit' - das Mantra der ehemaligen britischen Premierministerin Theresa May verdient einen Platz in den Philosophie-Lehrbüchern als bedeutungslosester Satz, der je das Wort 'bedeuten' enthielt. Aber machen wir uns nicht vor, dass wir - wenn wir endlich herausfinden, ob es ein minimales oder gar kein Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU gibt - wüssten, was Brexit heißt.

Es wird sicher fünf Jahre dauern, wahrscheinlich sogar zehn, bis wir klar umreißen können, wie die neuen Beziehung zwischen den vorgelagerten Inseln und dem Kontinent aussehen. Bis dahin wird die EU vielleicht eine ganz andere Gemeinschaft als heute sein, und das Vereinigte Königreich wird vielleicht gar nicht mehr existieren.

In einem nächsten Referendum, das in den kommenden Jahren folgen dürfte, werden die Schotten entscheiden, ob sie die 300 Jahre alte Union mit England verlassen und der europäischen wieder beitreten wollen. Stimmen sie trotz der damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten für die Unabhängigkeit, wird das Vereinigte Königreich faktisch aufhören zu existieren. Jeder britische Politiker, der will, dass die Schotten bei den Engländern bleiben, muss also - als Alternative zur Unabhängigkeit - möglichst bald ein anderes, föderales Modell der britische Union vorlegen. Es würden also entweder das Ende des Vereinigten Königreichs oder ein neues föderales Königreich Britannien zur Auswahl stehen.

Der Weg vom Referendum 2016 bis zu diesem harten Brexit ist übersät mit gebrochenen Versprechen - von Boris Johnsons Artikel im “Daily Telegraph” in dem fröhlich behauptete, dass "es weiterhin freien Handel und Zugang zum Binnenmarkt geben wird", bis zu dem Handelsminister Liam Fox, der sagte, das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union "sollte eines der einfachsten in der Geschichte der Menschheit sein".

Den “Brexiteers” gelang es in einem Meisterstück von kognitiver Dissonanz, zwei unvereinbare Gedanken gleichzeitig zu vertreten: dass einerseits "Europa" ein abscheuliches deutsch-französisches Komplott sei, um England in ein napoleonisches Imperium zu versenken, dass aber andererseits dieselben neuen Napoleons - auf Anweisung der deutschen Autoindustrie - verpflichtet wären, dem Vereinigten Königreich privilegierten, ungehinderten Zugang zum Binnenmarkt zu gewähren, damit die Briten – wie Boris Johnson so gern sagt - ihren Kuchen haben und gleichzeitig essen können. Die Frage ist nun, ob sich eine Annäherungs- und eine Trennungsdynamik zwischen Großbritannien und der EU entwickeln wird.

Jede andere als die derzeitige populistische britische Regierung würde einen weicheren Brexit bevorzugen. Das könnte auch eine konservative Regierung sein, aber nur eine pragmatischere und kompetentere, etwa unter Führung von Rishi Sunak, dem derzeitigen Finanzminister. Und noch mehr würde das natürlich für eine Labour-Regierung - oder eine von der Labour-Partei geführte Koalitionsregierung - unter Keir Starmer gelten. Diese Aussicht wie auch die Logik des wirtschaftlichen Eigeninteresses legt nahe, dass Großbritannien nach dem Brexit allmählich, Sektor für Sektor, Thema für Thema, wieder näher an die EU heranrücken wird.

Andererseits gilt: Je härter der Brexit wird, desto mehr muss Großbritannien nach einem alternativen Geschäftsmodell suchen. Wie der Oxford-AstraZeneca Covid-Impfstoff zeigt, haben England und Wales auch allein noch Stärken: Finanzdienstleistungen, großartige Universitäten, Biotechnologie, Deepmind, alternative Energien, kreative Industrien.

Die Hoffnung, ohne die nervigen Briten sei die EU einiger, trügt

Die Wirtschaft würde nach einem Brexit kleiner sein als ohne ihn, aber mit der Zeit könnte sie ein neues, wettbewerbsfähiges Profil entwickeln. Das allein deutet schon auf Divergenzen hin. Überdies dürften das böse viele Blut und die gegenseitigen Beschuldigungen rund um einen "No-Deal'"-Brexit-Streit, wenn es dazu kommt, zunächst auch die Zusammenarbeit auch in Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik belasten und behindern.

Doch die Zukunft nach dem Brexit wird ebenso stark von den Entwicklungen jenseits des Ärmelkanals abhängen. Die Menschen in Deutschland, Frankreich oder Italien sprechen nur noch selten über Brexit, und das nicht nur, weil sie die Schnauze voll haben. Sondern auch, weil die EU vor zwei weiteren enormen Krisen steht, die auf dem europäischen Gipfel in dieser Woche sicherlich diskutiert werden.

Die EU muss dringend ihr Haushaltsbudget und ihren Coronahilfsfonds - insgesamt nicht weniger als 1,8 Billionen Euro – verabschieden, denn sonst wird die Erholung nach der Krise schwierig. Zudem könnten die Nord-Süd-Spannungen innerhalb der Eurozone wieder akut werden. Doch vor der Verabschiedung muss das angedrohte Veto von Ungarn und Polens überwunden werden. Die beiden Länder hielten den Rest der EU als Geisel, um den vorgeschlagenen Rechtsstaatsmechanismus zu schwächen, der die Verteilung der Gelder an rechtsstaatliche Bedingungen knüpfen will.

Es wurden inzwischen sogar Stimmen laut, die im Brexit eine Chance für die EU sehen, weil deren restliche Mitgliedstaaten dann – befreit von den nervigen Angelsachsen – weitere Integrationsschritte anpeilen können. Aber das ist eine Illusion. Es bedurfte in diesem Sommer eines fünftägigen Gipfel-Marathons, um sich gegen den heftigen Widerstand der "sparsamen Vier" (Österreich, Dänemark, Schweden und die Niederlande) auf den Haushalt und den Coronarettungsfonds zu einigen, wobei der niederländische Premierminister Mark Rutte die Margaret Thatcher in Anzughosen gab.

Und das, was der ungarische Premierminister Viktor Orbán und der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki ihren EU-Partnern jetzt antun, lässt die ehemalige britische Premierministerin regelrecht wie einen Europa-Fan aussehen. Ja, sie hat “Ich will mein Geld zurück" gerufen, aber immerhin war Großbritannien ein bedeutender Nettozahler für den europäischen Haushalt. Und nachdem Thatcher ihren Rabatt erhalten hatte, hat sie ein zentrales Projekt der europäischen Integration energisch vorangetrieben: den Binnenmarkt, dessen "level playing field' – eine sehr britische Metapher für "gleiche Wettbewerbsbedingungen" – die EU nun von Großbritannien einfordert.

Ungarn und Polen sagen: Geben Sie uns Ihr Geld, wir machen damit, was wir wollen!

Ungarn und Polen dagegen sind große Nettoempfänger (Ungarn beispielsweise könnte aus dem EU-Haushalt und dem Konjunkturfonds Summen erhalten, die zusammen mehr als sechs Prozent seines BIP ausmachen). Dennoch weigern sich die beiden Länger, einige recht minimale rechtsstaatliche Bedingungen zu akzeptieren, ohne die die EU allmählich aufhören wird, eine Gemeinschaft von Demokratien und eine gemeinsame Rechtsordnung zu sein.

Vielmehr sagen die ungarische und die polnische Führung den deutschen und niederländischen Steuerzahlern: “Wir werden nicht zulassen, dass Sie die dringend benötigten Geldtransfers an Länder der südlichen Eurozone wie Italien und Spanien vornehmen, die beide von Covid hart getroffen wurden, es sei denn, Sie gestatten uns, große Mengen Ihres Geldes ohne nennenswerte Einschränkungen weiter zu verwenden.” Und in Ungarn bedeutet das, dass EU-Gelder verteilt werden, um Orbáns zunehmend undemokratisches Regime zu stützen, ganz zu schweigen von seiner Familie und seinen Freunden.

Derzeit scheint diese schamlose Erpressungstour erfolgversprechend zu sein, da die deutsche EU-Präsidentschaft offenbar bereit ist, den Rechtsstaatsmechanismus weiter abzuschwächen. Dann können die populistischen, fremdenfeindlichen, nationalistischen Regierungsparteien in Ungarn und Polen auch weiter tun, was ihnen gefällt, dafür von den deutschen und niederländischen Steuerzahlern großzügig bezahlt werden - und obendrein die Hand beißen, die sie füttert.

Also Vorspulen zu Hungexit oder Polexit? Nichts von beidem. Warum sollten die zwei Länder so dumm sein? Johnson kann von seinem Kuchen reden, den er haben und essen will - Orbán macht es aber, anstatt nur davon zu reden. Nein, die unmittelbare Bedrohung für die EU besteht nicht darin, dass Ungarn und Polen Großbritannien vor die Tür folgen, sondern dass sie Vollmitglieder des Clubs bleiben - Hungstay und Polremain sozusagen - und dabei weiterhin gegen dessen wichtigste Regeln verstoßen. Es ist schwer zu sagen, was jetzt die größere Gefahr für die Zukunft der Europäischen Union ist: ein demokratisches Großbritannien, das ausgetreten ist, oder ein undemokratisches Ungarn, das bleibt.

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Brexit: Die Hamsterkäufe haben schon begonnen

 

Die EU und Großbritannien verhandeln weiter. Während Unternehmen bereits für den No Deal vorsorgen, schafft das Boris Johnsons' Regierung nicht. Das hat Auswirkungen.

Boris Johnson strahlte am Sonntag in die Kamera: "Wir sind mehr als ausreichend vorbereitet. Wir arbeiten daran seit viereinhalb Jahren: Was immer jetzt entschieden wird, Großbritannien wird es sehr, sehr gut gehen", sagte der britische Premierminister. In Wirklichkeit wären die Konsequenzen eines sogenannten No Deal für das Vereinigten Königreich gravierend. Der droht, wenn sich die britische Regierung und die EU bis Ende des Jahres nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen können und ab Januar der Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich schlagartig mit Zöllen belegt wird.

Am Sonntag hatten die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, und Johnson bekannt gegeben, dass vorläufig weiterverhandelt wird. Aber Johnson redete wieder davon, dass es wunderbar sei, wenn das Vereinigte Königreich nach der einjährigen Übergangsphase zu den "australischen Bedingungen" aus der EU treten werde. Es ist bewusste Irreführung: "Wir haben gar kein Abkommen mit der EU und deshalb massive Schwierigkeiten im Handel", warnte der ehemalige Premierminister Australiens, Malcolm Turnbull, britische Fernsehzuschauer vergangene Woche.

Aber Johnson spielt Gelassenheit, was sich die britische Wirtschaft eigentlich nicht leisten kann. "Wir haben noch wenige Arbeitstage Zeit und wissen nicht einmal, ob Zölle auf uns zukommen", schimpfte beispielsweise Ian Wright vom Verband der britischen Getränke- und Lebensmittelindustrie kürzlich mit Blick auf das Ende der einjährigen Übergangsphase: "Viele Unternehmen wissen nicht, ob sich ihre Produktion im neuen Jahr überhaupt noch rechnen wird." Die britischen Zeitungen waren am Wochenende gefüllt mit Sonderseiten, die auflisteten, was den Britinnen bei einem No Deal droht: 14 Prozent Zoll auf Tomaten aus der EU, 16 Prozent auf Gurken, 48 Prozent auf Rindfleischhack, 57 Prozent auf Käse; Großbritannien importiert im Winter 60 Prozent seiner Lebensmittel.

Hamsterkäufe britischer Unternehmen sorgen für Schlangen an der Grenze

In der Automobilindustrie würden die Halbfertigprodukte zwei bis vier Prozent mehr kosten. Die fertigen Kraftfahrzeuge würden um einen Zoll von zehn Prozent teurer. Die durchschnittlichen Gewinnmargen in der Branche betragen nach Angaben des Automobilverbandes SMMT nur etwa vier Prozent. "Bei einem No Deal würde sich unsere britische Produktion nicht mehr rechnen. Ganz einfach", warnt der Betriebschef des Nissan-Konzerns, Ashwani Gupta.

Vor einem Jahr hatte Johnson dem Betrieb von Nissan im Wahlkampf einen Besuch abgestattet und behauptet: "Mein (Brexit-)Deal garantiert, dass die Lieferketten gesichert sind, dass wir die Industriestandards einhalten. Für die Automobilindustrie ist alles getan." Dabei wusste Johnson genau, dass die Einhaltung der EU-Standards mit Brüssel noch verhandelt werden musste und dass davon die Frage der Zölle abhing. Mehr noch: Zu dem Zeitpunkt hatte der Premier der EU bereits geschrieben, dass er nicht daran denke, die EU-Standards des fairen Wettbewerbs einzuhalten.

Damals tönte Johnson auch, das Risiko, dass das Land ohne Deal aus der EU stolpern würde, läge bei "eins zu einer Million". Jetzt ist die Angst im Land vor einem No Deal so groß, dass Tausende Unternehmer aus Sorge vor den höheren Zöllen und Grenzkontrollen so viel Ware vorbestellen wie möglich. Im Hafen von Calais werden für die Überfahrt nach Großbritannien täglich nicht 9.000, sondern 12.000 Sattelschlepper abgefertigt. Auf der Gegenseite, in Kent, kriechen ebenfalls Tausende Lastwagen auf den Autobahnen langsam Richtung Dover und Folkestone. Die von der britischen Regierung angekündigten Ausweichparkplätze sind nicht fertig. Bagger buddeln noch im Schlamm, das System der digitalen Zollabfertigung ist nicht online. "Ich weiß nicht, wie lange ich das nächste Mal auf die Abfertigung warten werde, wenn ich komme. Stunden – vielleicht Tage", sagt ein rumänischer Lastwagenfahrer. Damit sie weiterliefern, egal wie müde, hat die britische Regierung die EU-Vorschriften für Fahrpausen außer Kraft gesetzt.

Die Sattelschlepper aus der EU liefern, was die britische Wirtschaft bestellt: Der britische Produzent von Chips aus Trockenfrüchten, Nim’s Fruit Crisps, hat allein acht Tonnen Zitronen geordert. Die Supermärkte horten für das Weihnachtsgeschäft und den Übergang zum drohenden No Deal, was sie bekommen können. Jede Branche stockt ihre – während des Corona-Lockdowns geschmolzenen – Lager auf. Der größte Containerhafen des Landes, Folkestone, kommt nicht mehr mit. Der Grund: Die britische Regierung hatte aus China 11.000 Container mit Corona-Sicherheitsanzügen bestellt. Die stapeln sich nun am Hafen. Der ist so überlastet, dass Schiffe aus Asien nach Southampton, Rotterdam, Amsterdam und Liverpool umgeleitet werden, wohin die Ware aber nicht gehört. Das bringt die Lieferketten der Industrie nur noch mehr durcheinander.

"Eigentlich muss das alles reibungslos klappen. Es gibt Automobilkonzerne, für die fahren 80 Sattelschlepper am Tag für den Im- und Export. Wenn da das Lenkrad fehlt, dann wird das Auto eben nicht fertig", warnt Lloyd Mulkerrins vom britischen Automobilverband SMMT. Honda musste die Produktion im Werk Swindon vergangene Woche bereits wegen Lieferschwierigkeiten stoppen. Die Branche fürchtet, dass ihre Jahresproduktion bei einem No Deal von 1,7 Millionen Einheiten zur Zeit der Brexit-Volksabstimmung auf 800.000 Einheiten sinken wird. Der 2016 noch lautstark für den Brexit werbende Unternehmer Jim Ratcliffe entschied vergangene Woche, dass er seinen neuen Landrover jetzt doch lieber in Frankreich produzieren lassen will.

Die andere Folge der Lieferverzögerungen: Spielzeug, Barbies, Lego-Star-Wars-Baukästen, Scooter, Kaffeemaschinen und Bauwerkzeug, vieles, das unter dem Weihnachtsbaum liegen sollte, ist ausverkauft und wird jetzt erst im Januar geliefert. Damit die Medizin nicht fehlt, hat die Regierung Sonderflüge und Fähren organisiert.

Dass die britische Regierung auf einen No Deal nicht vorbereitet ist, zeigt sich auch an den fehlenden zusätzlichen Zollbeamten. "Die wollen ja hier alle nicht arbeiten", meint ein Beamter der Zollstation im Hafen von Dover. "Und was meinen Sie, was hier im Januar los ist. Wir schaffen die Arbeit jetzt schon nicht mehr."

Von Schatzkanzler Rishi Sunak werden bereits Milliardenhilfen gefordert – für den Fall, dass Landwirte, Automobilbauer und andere Betriebe bei einem No Deal schlagartig mit Zöllen konfrontiert werden. Eine Notkommission der Regierung arbeitet fieberhaft daran, das größte Chaos wegzuorganisieren. Schließlich haben die Ministerien in vertraulichen Papieren gewarnt, dass es bei Preiserhöhungen, Lieferverzögerungen, fehlender Medizin und mangelnder Entschädigung gar zu Unruhen kommen könnte.

Kriegsschiffe gegen französische Fischer?

Im neuen Jahr wollen die britischen Behörden bei der Einreise der Lastwagen aus der EU erst einmal monatelang auf Grenzkontrollen verzichten, egal wie viele illegale Einwanderer sich im Laderaum zwischen den Tomaten verkriechen. Auch wenn die Regierung es öffentlich nicht zugeben will: Sie ist auf die "Minideals" angewiesen, die die EU angeboten hat und mit denen im Falle eines No Deal zumindest die Flugzeuge fliegen würden, die Lastwagen fahren und die Fischereiboote auslaufen könnten. Alles freilich vorausgesetzt, dass sich Großbritannien an die damit verbundenen EU-Standards des fairen Wettbewerbs hält.

Gleichzeitig haben der für die Brexit-Vorbereitungen verantwortliche Minister, Michael Gove, und EU-Kommissar Maroš Šefčovič Details veröffentlicht, wie der Handel über die neue Zollgrenze in der Irischen See funktionieren soll. Normalerweise braucht die Industrie für die Planung grenzüberschreitender Lieferungen einige Wochen Zeit. "Was glauben die eigentlich, wie wir planen? Das ist alles zu spät", sagt Wright vom britischen Lebensmittelverband.

Das stört die Brexit-Presse nicht, sie schürt lieber die Stimmung. Die Zeitung The Daily Mail freute sich am Wochenende bereits, dass vier britische Kriegsschiffe es demnächst mit den Franzosen aufnehmen würden, "wenn deren Fischer unsere Meere plündern". Die Zeitung gab ihren Leserinnen schon mal einen Rat, wie sie die Nation in dieser schweren Stunde des Verrats durch die "kleinkarierte" und "paranoide" EU stützen könnten: Die Leser sollten jetzt statt des importierten Lachses besser einheimische Sardinen essen, statt des EU-Fleisches lieber japanisches Kobe-Rindfleisch (denn die haben mit uns einen Handelsvertrag abgeschlossen). Da die Zinsen in der Wirtschaftskrise jetzt so niedrig seien, sollten die Leserinnen doch einfach ein zweites Haus kaufen und englischen Wein trinken.

 

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EU-Kommission will Europas Firmen besser vor US-Sanktionen schützen

 

 

Die EU-Kommission will europäische Firmen besser vor Sanktionen durch Drittstaaten wie den USA schützen. Dies geht nach AFP-Informationen aus einem Aktionsplan zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des europäischen Wirtschafts- und Finanzsystems hervor, den die Behörde am Dienstagnachmittag verabschieden will. Sanktionen von Drittstaaten können demnach nicht nur Folgen für europäische Firmen haben, sondern auch die Fähigkeit der EU "ernsthaft beeinträchtigen, außenpolitische Ziele voranzubringen".

Einen Tag vor dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden verweist Brüssel insbesondere auf die Erfahrungen mit der Politik seines Vorgängers Donald Trump. Er war 2018 aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen und hatte US-Wirtschaftssanktionen gegen Teheran wiedereingeführt. Europäische Finanzinstitute und Firmen mussten damals fürchten, selbst Ziel der US-Sanktionen zu werden, wenn sie weiter Geschäfte mit dem Iran machten.

Die Europäer wollten das Atomabkommen retten und gründeten deshalb eine Zweckgesellschaft, um indirekt weiter die Abwicklung von Handelsgeschäften mit dem Iran zu ermöglichen. Zudem wurde eine Verordnung aktiviert, die europäische Unternehmen vor einem juristischen Vorgehen durch die US-Behörden schützen sollte.

Da die Wirkung begrenzt blieb, will die Kommission dieses sogenannte Blocking Statute nun überarbeiten und schlagkräftiger machen. Dabei sollen auch Gegenmaßnahmen außerhalb des Handelsbereichs in Betracht gezogen und der rechtliche Schutz von EU-Unternehmen vergrößert werden.

Darüber hinaus will die Kommission in diesem Bereich die Prüfung von Übernahmen europäischer Unternehmen durch ausländische Investoren ausweiten. Den Angaben zufolge will sie im Verbund mit den Mitgliedstaaten prüfen, "ob das EU-Zielunternehmen dadurch anfälliger für die Einhaltung solcher extraterritorialer Sanktionen wird".

Umgekehrt plant die EU, die Durchschlagskraft ihrer eigenen Sanktionen zu erhöhen und damit ihr außenpolitisches Gewicht in der Welt zu stärken. Dazu will sie in diesem Jahr zunächst die bisherige Wirkung ihrer Strafmaßnahmen analysieren und dann Praktiken zur Umgehung ins Visier nehmen. Dabei will die Kommission auch ein System aufbauen, das es Informanten ermöglicht, anonym Verstöße gegen EU-Sanktionen zu melden.

Zur besseren Abstimmung mit den Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung von Sanktionsbeschlüssen soll dieses Jahr zudem eine Datenbank entwickelt werden. Darüber hinaus will Brüssel besser sicherstellen, dass EU-Gelder an Drittstaaten, internationale Organisationen oder Finanzinstitutionen nicht zur Umgehung von EU-Sanktionen genutzt werden.

Die Kommission betont daneben auch die Notwendigkeit, die "internationale Rolle des Euro" zu stärken. Denn die Corona-Krise habe "Schwachstellen im Dollar-dominierten internationalen Finanzsystem aufgezeigt". Ziel sei es, "die Wirtschaft vor Wechselkursschocks zu schützen und die Abhängigkeit von anderen Währungen zu verringern sowie niedrigere Transaktions-, Finanzierungs- und Risikomanagementkosten zu gewährleisten".

 

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Jüngster Patzer wird Zweifel an von der Leyens Führungsqualität verstärken“

 

Der Impfstoff in Europa ist knapp – und Großbritannien macht bei der Impfung stetig Fortschritte. Hier haben bis Sonntag mehr als 8,9 Millionen Menschen die erste Impfdosis erhalten, in Deutschland waren es 1,9 Millionen. Die ungleiche Verteilung in Europa sorgt für immer größeren Unmut, der Druck auf die Politik in Deutschland und Europa wächst.

Doch wer ist schuld an dem „Impfstoff-Debakel“? EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, früher Verteidigungsministerin in Deutschland, beharrt, Brüssel habe gute Fortschritte erzielt. Die Meinungen der europäischen Kommentatoren dazu gehen indes auseinander.

Der britische „Observer“ macht eindeutig von der Leyen als Verantwortliche aus und kritisiert Brüssel scharf für einen Fehler in der vergangenen Woche, als die EU einen Kontrollmechanismus für Ausfuhren von Impfstoffen eingeführt hatte. Für Irritationen sorgte, dass die EU in einem am Freitagabend veröffentlichten Dokument die Auslösung eines Notfallmechanismus aus dem Brexit-Abkommen erwägte. Damit sollte auch die Kontrolle der Ausfuhren vom EU-Mitglied Irland in die britische Provinz Nordirland ermöglicht werden. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ spricht dagegen bei der Frage der Impfungen von einem „kollektiven Versagen“.

Ein Überblick über die Pressestimmen:

„The Observer“: Zweifel an von der Leyens Führungsqualität

„Die Kehrtwende der EU-Kommission bezüglich ihres rücksichtslosen Plans, die Grenze zwischen Irland und Nordirland praktisch zu blockieren, ist die jüngste Demütigung, die Brüssel inmitten eines eskalierenden Feuersturms erlitten hat, der durch Engpässe bei der Versorgung mit Covid-19-Impfstoffen in ganz Europa ausgelöst wurde. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sind im vergangenen Jahr eine Reihe von Fehlern und Fehleinschätzungen im Umgang mit der Pandemie unterlaufen. Dieser jüngste Patzer wird die Zweifel an ihrer Führungsqualität verstärken.

Es ist außergewöhnlich, dass von der Leyen und hochrangige Kollegen nicht zu erkennen scheinen, wie unklug und potenziell gefährlich für das Karfreitagsabkommen ihr Vorstoß war, das Nordirland-Protokoll des Brexit-Abkommens zu nutzen, um durch die Hintertür Impfstoff-Importkontrollen für Großbritannien einzuführen. Das musste ihr von Boris Johnson und dem irischen Premierminister Micheál Martin persönlich klargemacht werden. Beide drückten ‚tiefes Unbehagen‘ aus – ein Code für äußerste Wut und Verwunderung.“

„The Times“: Downing Street hat auf Impfstreit intelligent reagiert

„Regierungen und Millionen von EU-Bürgern sind wütend auf die EU-Kommission, weil sie die Verträge und Lieferungen von Corona-Impfstoffen falsch gehandhabt hat. Aber die EU-Mitglieder sind ebenso entsetzt über den idiotischen Vorschlag, dass Brüssel deshalb den Export von in der EU hergestellten Impfstoffen verbieten sollte, und über die plumpen Versuche, Großbritannien zu zwingen, Lieferungen des Impfstoffs von Oxford-AstraZeneca auszuhändigen. (...) Großbritanniens Reaktion seither war maßvoll, intelligent und effektiv. Aus der Downing Street gab es keine Schadenfreude und keine Sticheleien gegen die EU. (...)

Boris Johnson hat mit begrüßenswerter Zurückhaltung weiter über ‚unsere europäischen Freunde und Partner‘ gesprochen und hat nicht in gleicher Weise auf einige törichte Kommentare von belgischen oder deutschen Ministern und Beamten über die Sicherheit des AstraZeneca-Impfstoffs oder die Standards der britischen Gesundheitsvorschriften reagiert.“

„Frankfurter Allgemeine Zeitung“: Wenn es so etwas wie ein Impfversagen gab, dann war das Versagen kollektiv

„Es bleibt wohlfeil, Ursula von der Leyen für die späten Impfstoff-Bestellungen der EU verantwortlich zu machen. Wenn es so etwas wie ein ‚Impfversagen‘ gab, dann war das Versagen kollektiv: Alle EU-Staaten waren sich im Sommer einig, dass die EU als Ganzes mit den Herstellern verhandeln solle. Soweit über die Verhandlungen diskutiert wurde, überwogen Forderungen, die EU dürfe nicht zu viel Geld ausgeben und müsse dafür sorgen, dass die EU-Staaten nicht für mögliche Nebenwirkungen haftbar gemacht würden. Noch im Herbst gab es Kritik, dass die EU viermal so viel Impfstoff bestellte, als sie Einwohner hat. Wer der Kommissionschefin die ‚Impfstrategie‘ der EU vorhält, muss fast die ganze europäische Politik in Mithaftung nehmen.“

„Spiegel“ : Die Leute verlieren die Geduld

„Die wachsende Unzufriedenheit nährt sich aus vielen, vielfach benannten Problemen. Dasjenige mit dem Impftempo bedrängt die Verantwortlichen dieser Tage am ärgsten, denn die hämmernde Kritik hört nicht auf, weil man die Unzulänglichkeiten täglich neu an verschiedenen Ranglisten ablesen kann. Ministerpräsidenten, Kanzlerin und Gesundheitsminister haben eine sehr eigene Art gewählt, damit umzugehen: Sie beklagen sich. Die Deutschen sollten sich doch bitte mehr über das Rekordtempo freuen, in dem der Impfstoff herbeigeforscht und produziert worden sei. (...)

Angesichts der stetig fallenden Infektionszahlen und der entschlossenen Abwehr gegen Einreisen aus sogenannten Mutationsgebieten ist es an der Zeit, den Lockdown zu lockern und seinen weiteren Verlauf an kontrollierbaren Kriterien auszurichten. Der Lockdown erreicht bundesweit deutlich besser seine Ziele als das Impfen, doch er bleibt der tiefste Eingriff in die Grundrechte seit dem Zweiten Weltkrieg. Größte Anstrengung darauf zu richten, ihn abzuschütteln, ist gesellschaftlich gewiss wichtiger, als Schaukämpfe mit Impfstoffherstellern zu veranstalten.

„Süddeutsche Zeitung“ : Es braucht jetzt ein klares Eingeständnis, was schiefgelaufen ist

„Tatsächlich wäre es interessant zu erfahren, wer dafür verantwortlich ist, dass zu wenig in Impfstoff investiert, nicht ausreichend davon bestellt und nicht klug genug verhandelt wurde, sodass die Hersteller jetzt zwar als moralisch zwielichtig, aber juristisch sauber dastehen. Wenn der wichtigste Rohstoff dieses Landes seine Köpfe sind, würde man gerne wissen, ob während der Vertragsverhandlungen vielleicht unnötig Ressourcen gespart wurden. Seit Tagen beteuern Politiker, dass sie nicht daran teilgenommen haben. Wer war eigentlich dabei? Und was sagt Mangelminister Jens Spahn dazu, der es trotz fehlender Masken im Frühjahr, fehlender Tests im Herbst und fehlenden Impfstoffs im Winter immer wieder schafft, Bella Figura in der Selbstdarstellung zu machen? (...)

Allerdings müssen auch die Grenzen des Impfprojekts anerkannt werden, so schmerzlich das sein kann. Wenn Substanzen für die Herstellung fehlen, kann dies die Produktion zum Stillstand bringen. (...) Nichtsdestotrotz braucht es jetzt ein klares Eingeständnis, was schiefgelaufen ist. Und dann den in die Tat umgesetzten Willen, aus den Fehlern zu lernen, es besser zu machen und das zu retten, was auch jetzt noch zu retten ist.“

„Rzeczpospolita“: Impfstoff-Debakel gibt Euroskeptikern Aufwind

„In Großbritannien sind schon 14 Prozent der Erwachsenen geimpft. Das sind proportional fünfmal so viel wie in den Ländern des vereinten Europas. Da man auf den Effekt der Impfungen ein paar Wochen warten muss, wird sich dieser Unterschied erst in der Zukunft auf die Zahl der Toten und der Infizierten auswirken. Und auf die Möglichkeit, die Wirtschaft wieder anzuschieben. So eine Niederlage darf Brüssel natürlich nicht schweigend hinnehmen – und sucht Schuldige.

Der Streit mit dem Hersteller AstraZeneca findet sicher eine Lösung vor Gericht. Viel früher aber könnte sich die Verzögerung bei den Impfstofflieferungen auf die politische Lage innerhalb der EU auswirken. Vor einer Woche ist unter dem Einfluss der Pandemie und der Wirtschaftskrise bereits die Regierung in Italien zerfallen. Im Fall vorgezogener Wahlen könnte ihren Platz eine Koalition harter rechter Euroskeptiker einnehmen. In den Niederlanden sah sich die Regierung von Mark Rutte (der auch zurückgetreten ist) mit den größten Unruhen seit 40 Jahren konfrontiert. Und in neuesten Umfragen finden die Franzosen zu ihrer Beunruhigung heraus, dass ein Sieg von Marine Le Pen bei den Präsidentenwahlen in 15 Monaten nicht ausgeschlossen ist. Die Unzufriedenheit wächst.“

„Hospodarske noviny“: Ist eine Kriegswirtschaft für Impfstoffe nötig?

„Die Europäer müssen denken, dass die Kommission in Brüssel und die Firma AstraZeneca sie zum Narren halten. Die Unfähigkeit demokratisch gewählter Regierungen, mithilfe des freien Marktes die Sicherheit der eigenen Bürger in der größten Krise seit 1945 sicherzustellen, ist zum Haare ausraufen. Zur gleichen Zeit hat Ungarn die Nutzung des Impfstoffs des chinesischen Staatsunternehmens Sinopharm zugelassen. Die Propaganda des illiberalen Regimes in Budapest nutzt das gehörig aus.

Es ist legitim zu fragen, warum die EU nicht Ähnliches leisten kann. Warum stellt Europa nicht in großen Mengen selbst Impfstoff her und verteilt ihn, eingehüllt in eine europäische Fahne? (...) Was muss erst geschehen, damit Politiker und Beamte zu so etwas wie einer Kriegswirtschaft übergehen? In Peking genügt der Befehl eines Generalsekretärs. Der Bürger sieht nur das Ergebnis, wie es dazu kommt, interessiert ihn weit weniger. Für die Demokratie ist es gefährlich, wenn ihr auf diese Weise der Spiegel vorgehalten wird.“

„Le Monde“: EU ist für Gesundheitskrisen dieses Ausmaßes schlecht ausgestattet

„Die Dauer der Pandemie versetzt die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft in eine ebenso außergewöhnliche wie unvorhersehbare Situation. Die Gesellschaft ist erschöpft, die Grenzen schließen erneut. Die Europäische Union ist für Gesundheitskrisen dieses Ausmaßes schlecht ausgestattet. Alles geht nur tastend voran und so werden unvermeidbar Fehler begangen. Dass wirtschaftliche Interessen und geopolitische Rivalitäten die Überhand gewinnen, ist bedauernswert. Niemand sollte das eigentliche Thema aus den Augen verlieren: So viele Menschen wie möglich in Europa und im Rest der Welt zu impfen.“

„de Volkskrant“: Impfstrategie hat Image der EU beschädigt

„Der gemeinsame europäische Einkauf von Corona-Impfstoffen, der letztes Jahr so stolz präsentiert wurde, entwickelt sich zu einem politischen Alptraum, denn die EU verfügt über weit weniger Impfstoffe als Großbritannien und die USA. In solchen Fällen ist die EU-Kommission immer schnell der Sündenbock. Zu Unrecht: Von Anfang an waren die Mitgliedstaaten eng in die Verhandlungen mit der Pharmaindustrie eingebunden. Aber das zeigt, dass ein Nationalstaat bei ausreichender finanzieller und politischer Schlagkraft schneller agieren kann als eine Allianz von 27 souveränen Staaten. (...)

Ironischerweise dauerten die Gespräche länger, weil die EU gut verhandelte. Sie handelte einen niedrigeren Preis aus und weigerte sich, die Haftung für etwaige Probleme mit dem Impfstoff von der Pharmafirma zu übernehmen, wie es Großbritannien und die USA taten. Unter normalen Umständen wäre diese Strategie lobenswert. Aber angesichts der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Kosten der Pandemie wäre es besser gewesen, wenn die EU mehr auf Tempo gesetzt hätte und dafür einen höheren Preis und Haftungsrisiken in Kauf genommen hätte. Nun wird die Pandemie wahrscheinlich länger dauern und das Image der EU ist beschädigt.“

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Impfverzögerungen kosten EU-Länder bis zu 90 Milliarden Euro

 

Für längere Verzögerungen bei der Corona-Impfaktion müssen EU-Länder einer Studie zufolge einen hohen Preis zahlen.

Nach einer Untersuchung des Kreditversicherers Euler Hermes liegen die Staaten beim Impfen derzeit fünf Wochen hinter ihrem Plan. Sollten sie diese Zeit nicht aufholen, entstünde in der EU in diesem Jahr ein Schaden von bis 90 Milliarden Euro aufgrund zu erwartender weiterer Corona-Einschränkungen.

Den Studienautoren zufolge erspart jeder investierte Euro, mit dem die Länder den Impfprozess beschleunigen, vier Euro an Ausfällen durch die Folgen der Beschränkungen des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft. Bei der momentanen Impfgeschwindigkeit werde eine Herdenimmunität erst Ende 2022 erreicht, heißt es in der Studie. Das Ziel der EU-Kommission, bis zum Sommer 70 Prozent der Erwachsenen geimpft zu haben, sei nur zu erreichen, wenn das gegenwärtige Tempo beim Impfen um das Sechsfache erhöht werde.

Das wird vermutlich noch viel mehr, und keine Konsequenzen von den drei Verantwortlichen?

Nur leere Versprechen im Superwahljahr welche offensichtlich nicht zu halten sind!